zum Hauptinhalt
Zur von den Grünen geforderten Gemeinwohlorientierung in der Wirtschaft gehören Anreize für CO2-sparendes Wirtschaften.

© imago/Westend61

Pro und Contra: Soll der Staat Gewinne regulieren?: Wir müssen den zügellosen Kräften des Marktes Einhalt gebieten!

Nach der Coronakrise müssen wir uns dem Klimawandel stellen. Dafür brauchen wir eine sozial-ökologische Marktwirtschaft, die Unternehmensgewinne reguliert.

Lisa Paus ist Grünen-Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Finanzpolitik.

Noch im vergangenen Jahr empfahlen Gesundheitsökonomen, die Hälfte der Krankenhäuser in der Fläche zu schließen. Wo stünde Deutschland jetzt in der Coronakrise, wenn es diesem Rat gefolgt wäre? Am Abgrund. Das zeigt: Der neoliberale Kurs der vergangenen Jahrzehnte hat in die Irre geführt. Es war gut, dass nicht alles umgesetzt wurde, was erdacht wurde. Es reicht eben nicht, den Patienten als Kostenfaktor zu sehen. Ärzt*innen sind keine Kaufleute und sollen es auch nicht sein.

(Hier geht's zum Contra des FDP-Fraktionsvorsitzenden Marco Buschmann)

Die Coronakrise und die ökologische Krise führen uns deutlich vor Augen: Wir müssen unsere Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig und widerstandfähig machen. Das wird nur gehen, wenn wir statt auf Privatisierung künftig auf mehr Gemeinwohlorientierung setzen und massiv in unsere Infrastruktur sowie die sozial-ökologische Transformation investieren.

Dabei geht es nicht darum, einfach Märkte und Gewinne für Unternehmen abzuschaffen. Es geht darum, neue Wege des Wirtschaftens zu gehen und die Mischung von staatlichen, privaten und gemeinwohlorientierten Unternehmen neu auszutarieren.

Wie das Recht auf Wohnen oder auf Mobilität, so ist das Recht auf Gesundheit Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Um jeder und jedem einen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung zu ermöglichen, müssen wir in diesen Bereichen die Gemeinwohlorientierung stärken. Ich fände es daher richtig, die Gewinnausschüttungen von Kliniken zu beschränken, damit öffentliches und beitragsfinanziertes Geld im System bleibt.

Die Begrenzung von Renditen ermöglicht bezahlbares Wohnen

Das Gleiche gilt für den Bereich Wohnen: Hier sollte es neben staatlichen und privaten Bauträgern einen starken gemeinnützigen, häufig genossenschaftlichen Bereich für bezahlbares Wohnen geben. Bezahlbares Bauland ist dafür unverzichtbar. Deshalb müssen Renditen in diesem Bereich begrenzt sein und Grund und Boden verstärkt in öffentliches oder gemeinwohlorientiertes Eigentum überführt werden.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]

Aber auch über den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge hinaus brauchen wir eine Neuausrichtung der Wirtschaft. Und auch hier ist das zentrale Wort für mich: Gemeinwohlorientierung. Wer in das brandneue Grundsatzprogramm von Bündnis 90/Die Grünen hineinschaut, wird es an mehr als 30 Stellen quer durch alle Bereiche finden.

Der Weg dahin ist nicht, die Märkte abzuschaffen, sehr wohl aber, sie durch klare sozial-ökologische Leitplanken zu transformieren. Nur so wird ein Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen möglich sein. Ich bin überzeugt, dass fairer Wettbewerb innovative Problemlösungen schafft – gerade als Entdeckungsverfahren für neue Ideen. Aber auch kooperative und solidarische Formen des Wirtschaftens jenseits des Marktes fördern Kreativität und Innovation.

Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen)

© promo, Foto: Laurence Chaperon

Ich setze mich deshalb für die sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft mit einer klaren Gemeinwohlorientierung ein. Sie ist das Gegenmodell zu einem ungeregelten Kapitalismus einerseits und einem autoritären Staatskapitalismus andererseits. Sie fußt auch auf dem klaren Bekenntnis zum „Primat des Politischen“. Der Markt sollte nicht das alleinige Organisationsprinzip für unser Wirtschaften sein, schon gar nicht für unsere Gesellschaft.

Die Wirtschaft muss den Menschen dienen – nicht andersherum

Die Wirtschaft muss den Menschen dienen, nicht andersherum. In einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft steht der Mensch im Mittelpunkt und nicht maximale Gewinne um jeden Preis. Wohlstand definiert sich dabei nicht allein durch materiellen Reichtum, sondern meint Lebensqualität. Nachhaltiger Wohlstand im Sinne von Klimaneutralität, Vorsorge und Gerechtigkeit ist Kern eines zukunftsfähigen Wirtschaftssystems. Dafür brauchen wir einen umfassenden Wohlstandsindikator jenseits des Bruttoinlandsproduktes.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Praktikable Konzepte dafür gibt es – sie müssen nur von der Politik endlich umgesetzt werden. Die ökologische Krise zeigt uns zudem, dass unser Wirtschaftssystem ohne eine Transformation hin zu einer kohlendioxidneutralen Wirtschaft auf Sand gebaut ist.

Wir sollten deshalb die Chance nach der Coronakrise nutzen, durch ein groß angelegtes Investitionsprogramm die Grundlagen für ein krisenfestes und nachhaltiges Wirtschaftssystem zu schaffen. Zur Neuausrichtung gehört, die Klimarisiken ernst zu nehmen und unsere Wirtschaft entsprechend des Pariser Klimaabkommens aufzustellen.

Preise sollten auch die ökologische Wahrheit sagen

Zur sozial-ökologischen Transformation gehört auch, dass die Preise die ökologische Wahrheit sagen sollten. Die Einführung eines Bürgerenergiegeldes, das die Einnahmen aus dem CO2-Preis pro Kopf wieder auszahlt, wäre einfach, sozial gerecht und würde für alle die richtigen Anreize für CO2-sparendes Wirtschaften setzen. Es entlastet insbesondere Geringentlohnte und Familien.

Die sozial-ökologische Marktwirtschaft hat das Potenzial, uns entscheidend voranzubringen. Aber wir dürfen nicht naiv sein: Es braucht einen deutlich stärkeren Ordnungsrahmen, um den zügellosen und zerstörerischen Kräften des Marktes Einhalt zu gebieten. Und die richtige Mischung von staatlichen, privaten und gemeinwohlorientierten Unternehmen.

Im Wettbewerb soll erfolgreich sein, wer die übergeordneten gesellschaftlichen Ziele unterstützt und nicht die Zukunftsfähigkeit unseres Planeten in Frage stellt. Die Neuausrichtung hin zu einem gemeinwohlorientierten Wirtschafts- und Finanzsystem wird die entscheidende Aufgabe unserer Generation sein.

Lisa Paus

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false