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Im Staub. Eine Gruppe somalischer Flüchtlinge wartet, um sich im Flüchtlingslager Dadaab im Norden Kenias registrieren zu lassen.

© AFP

Hungersnot in Ostafrika: "Wir haben eine Riesenaufgabe vor uns"

Deutschland erhöht die Nothilfe für die Hungernden in Ostafrika. Unicef sieht insgesamt 500.000 Kinder bedroht. Kenia hat nun außerdem noch Angst vor Anschlägen.

Eine halbe Million Kinder in Ostafrika ist nach Angaben der UN-Kinderorganisation Unicef akut vom Hungertod bedroht. Am Sonntag mahnte auch Papst Benedikt XVI. mehr Hilfe für die rund elf Millionen Hungernden in Somalia, Äthiopien, Eritrea, Nordkenia, Norduganda und Djibouti an. „Es werden weitere vier oder fünf Monate vergehen, bevor es überhaupt eine Ernte geben kann. Wir haben eine Riesenaufgabe vor uns“, sagte Unicef-Direktor Anthony Lake nach einem viertägigen Besuch in Kenia. Am Sonntag kündigten deshalb Außenminister Guido Westerwelle und Entwicklungsminister Dirk Niebel (beide FDP) eine Erhöhung der Nothilfe für die Region um weitere fünf Millionen Euro an. Erst am Dienstag hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrem Besuch in Kenia eine Erhöhung der Nothilfe um eine Million Euro zugesagt.

Das deutsche Geld soll teilweise über das Welternährungsprogramm (WFP) und über Nichtregierungsorganisationen eingesetzt werden, heißt es in einer Presseerklärung der beiden Minister. Eine dieser Organisationen ist offenbar die deutsche Hilfsorganisation I.S.A.R. (International Search and Rescue Deutschland), die am Sonntag die Entsendung eines Expertenteams und einer Medikamentenlieferung durch die Partnerorganisation „Aktion Medeor“ ankündigte. Die bisher eher unbekannte Organisation wurde 2003 von Mitgliedern der Feuerwehrrettungshundestaffel Duisburg gegründet. In ihrer Pressemitteilung heißt es, dass vor Ort nach einem Partner gesucht werden solle, der die Medikamente übernehmen könne.

Zuvor war Deutschland vor allem von den Vereinten Nationen dafür kritisiert worden, bisher nur unzureichende Summen für die Nahrungsmittelhilfe bereitgestellt zu haben. Etablierte Nothilfeorganisationen berichten ähnliches.

Für Kenia ist der Exodus von Hungerflüchtlingen aus Somalia jedoch nicht nur ein humanitäres, sondern auch ein sicherheitsrelevantes Thema. Deshalb hat die Regierung in Nairobi lange gezögert, bis sie einer Erweiterung des Flüchtlingslagers in Dadaab um das Ifo-2-Camp zugestimmt hat. Wobei Premierminister Raila Odinga nach seinem ersten Besuch in Dadaab am vergangenen Dienstag behauptete: „Das Lager ist geöffnet. Es war immer offen. Wenn es nicht offen gewesen wäre, hätten wir nicht all diese Leute hier.“

Die neu ankommenden Flüchtlinge sollen jedoch nun an der Grenze einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden, bevor sie nach Kenia einreisen dürfen. Regierung und Sicherheitsbehörden in Kenia befürchten nämlich, dass die islamistische Miliz Al Shabbab mit den Flüchtlingen auch Kämpfer ins Nachbarland einschleusen könnten. Die Sicherheitsbehörden haben nicht nur Bedenken, dass das Flüchtlingslager selbst infiltriert werden könnte. Dort halten sich inzwischen mehr als 370 000 Menschen auf. Täglich kommen etwa 1400 neue somalische Flüchtlinge im Lager Dadaab an.

Wie dramatisch die Verhältnisse sind, zeigte sich vor wenigen Wochen, als zwei Flüchtlinge erschossen und zwölf weitere schwer verletzt wurden, als Krawalle zwischen Bewohnern und Vertretern des Flüchtlingsministeriums ausbrachen. Die Regierungsvertreter hatten provisorische Bauten zerstört, die vor dem Lagerkomplex von mittlerweile etwa 60 000 Menschen gebaut worden sind, die keinen Einlass in das eigentliche Camp gefunden hatten.

Nairobi hat die Übergangsregierung in Somalia (TFG) immer gestützt und war an ihrer Bildung aktiv beteiligt. Deshalb rechnet Innenminister George Saitoti auch in Kenia mit Al-Shabbab-Anschlägen, falls es Kämpfern gelingt, die Grenze zu überwinden. Die Übergangsregierung in Mogadischu hat den kenianischen Behörden nun zugesagt, Geheimdiensterkenntnisse über die Identität möglicher ausgereister Al-Shabbab-Kämpfer weiterzugeben. Kenia hatte die Grenze zu Somalia 2007 geschlossen, nachdem Al Shabbab mehrere Anschläge auf Grenzposten verübt hatte. Seither patrouillierte die kenianische Armee entlang der Grenze. Nun haben Innenminister Saitoti und Polizeikommandant Kinuthia Mbugua, die mit Odinga nach Dadaab gereist waren, der Wiedereröffnung zumindest eines Grenzpostens zugestimmt. „Wir werden einen Sicherheitsposten an der Grenze eröffnen“, sagte Raila Odinga.

Die überwiegend Frauen und Kinder, die derzeit das Lager Dadaab erreichen, haben unglaubliche Strapazen hinter sich. Viele sind wochenlang zu Fuß durch die Wüste gelaufen, immer bedroht von Durst, Hunger oder Angriffen von bewaffneten Räubern oder wilden Tieren. Wenn sie endlich ankommen, sind viele schon sehr geschwächt. Die meisten sind unterernährt. Das Mindeste, was man für sie tun müsse, argumentiert der Vertreter der Hilfsorganisation Oxfam in Kenia, Joost van de Lest, sei sie mit Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen.

Wochenlang hatten sich die Hilfsorganisationen mit der kenianischen Regierung über die Erweiterung des größten Flüchtlingslagers der Welt gestritten. Zunächst hatte die Regierung in Nairobi verlangt, die Hilfsgüter direkt nach Somalia oder in ein ebenfalls überlaufenes Flüchtlingslager nach Äthiopien zu liefern. Tatsächlich war es weder UN-Organisationen wie dem WFP noch privaten Hilfsorganisationen in den vergangenen zwei Jahren noch möglich gewesen, direkt in Somalia Lebensmittelhilfe zu leisten. Die islamistische Miliz Al Shabbab hatte vor einigen Monaten sämtliche westlichen Hilfsorganisationen aus dem Land geworfen. Al Shabbab kontrolliert inzwischen einen Großteil des Landes. Die Übergangsregierung hat mithilfe einer Friedenstruppe der Afrikanischen Union lediglich Teile der Hauptstadt Mogadischu unter ihre Kontrolle bringen können. Doch in der vergangenen Woche hat Al Shabbab erstmals wieder Hilfslieferungen nach Somalia erlaubt. Am Sonntag erreichte eine Unicef-Lieferung die Hauptstadt. Allerdings berichten Flüchtlinge in Dadaab, dass die Menschen zu Zeiten, als noch Lebensmittellieferungen in Somalia angekommen seien, von Al Shabbab oft dazu gezwungen worden seien, ihre Rationen an die Kämpfer abzugeben.

In Kenia selbst sind vor allem Nomaden im Norden des Landes von der Dürre und der Hungersnot betroffen. Diese Landesteile gelten von jeher als vernachlässigt von der Zentralregierung, obwohl es seit der Bildung der großen Koalition in Kenia 2008 immerhin ein Ministerium für sie gibt. Gleichzeitig verzeichnen die Bauern im Westen Kenias derzeit eine Rekordernte – und werden die Lebensmittel kaum los. Das große Problem der Kleinbauern in der gesamten Region ist, dass sie ihre Produkte nur direkt nach der Ernte zu sehr geringen Preisen verkaufen können.

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