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Gerettet - und dann? Viele Städte in Europa wollen helfen.

© Guglielmo Mangiapane/Reuters

Flüchtlingsaufnahme in Städten und Gemeinden: „Wir brauchen mehr Verantwortung für die Kommunen“

120 Städte wollen freiwillig mehr Geflüchtete aufnehmen, darunter Potsdam und Berlin. Düsseldorfs Integrationsbeauftragte spricht über die Motive ihrer Stadt.

Miriam Koch leitet das Amt für Migration und Integration der Stadt Düsseldorf.

Ihre Stadt, Frau Koch, war früh bereit, über die Quote hinaus Geflüchtete aufzunehmen und gehört zu den frühen Mitgliedern des Bündnisses von Städten, die sich als „Sichere Häfen“ erklären und mit den Seenotrettern der „Seebrücke“ zusammenarbeiten. Wie kam das?
Als im Sommer 2018 das Ende auch der privaten Seenotrettung nahte, immer mehr NGO-Schiffe festgesetzt wurden und die öffentliche Aufmerksamkeit dafür sehr stark war, argumentierte die Bundesregierung damit, die deutschen Kommunen schafften es eben nicht, noch mehr Menschen aufzunehmen. Da hat unser Oberbürgermeister schnell reagiert und klargestellt, dass das nicht das Argument gegen Seenotrettung sein könne. Unsere Nachbarinnen Köln und Bonn waren praktisch gleich mit dabei.

Miriam Koch leitet das Amt für Migration und Integration der Stadt Düsseldorf.

© Landeshauptstadt Düsseldorf

Ein parteiübergreifendes Bündnis – in Düsseldorf regiert ein OB der SPD, in Bonn die CDU und Kölns Oberbürgermeisterin ist parteilos. Hatte es Erfolg?
Alle drei zusammen schrieben der Bundesregierung, dass sie bereit seien, weitere Geflüchtete aufzunehmen. Wir hatten sehr genau ausgerechnet, wieviele Plätze wir anbieten konnten, da die Zuweisungen von Geflüchteten an die Kommunen seit 2016 drastisch zurückgegangen sind. Wir bekamen nie Antwort darauf – Bund und Kommunen kommunizieren in Deutschland ja sowieso nicht direkt. Die Landesregierung reagierte aber und teilte uns mit, dass sie uns zumindest dann bevorzugt berücksichtigen könne, wenn Geflüchtete zu verteilen wären, die mit Resettlementprogrammen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR kämen. Viele waren das nicht: 2018 kamen sieben Personen damit nach Düsseldorf, 2019 noch einmal eine größere Familie.

Sie sprachen es eben an: Der Bund und die Städte haben laut Grundgesetz keine direkten Beziehungen, die läuft über die Länder. Sehen Sie Lösungen dafür?
Das ist für mich nicht einmal das große Problem. Das Land Nordrhein-Westfalen könnte ein Landesprogramm auflegen, darüber Flüchtlinge übernehmen und sie dann bevorzugt an uns aufnahmereite Kommunen verteilen.

Tut es aber nicht, obwohl der Bund signalisiert, man würde sich nicht dagegenstellen. Woran liegt’s?
Das müssen Sie die Landesregierung fragen. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Und ich verstehe es auch nicht.

Sie sehen kein rechtliches Problem?
Nein. Das könnte auch im Land allein mit uns willigen Städten und Gemeinden gemacht werden. Die, die keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen wollen oder können, wären auch nicht betroffen.

Noch einmal zur Rolle der Kommunen: Die letzte große Fluchtkrise hat wieder drastisch darauf aufmerksam gemacht, dass viele gesellschaftliche Aufgaben letzten Endes in den Städten und Gemeinden landen und dort gelöst werden – die Kommunen aber kaum finanziellen und politischen Spielraum haben. Muss sich das verändern?
Wie gesagt, in der aktuellen Flüchtlingsfrage gibt es auch andere Wege. Persönlich meine ich aber, dass viele zentrale Herausforderungen nur kommunal zu bewältigen sind, darunter praktisch sämtliche UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung. Das gilt fürs Klima wie für ein anderes Ziel: bis 2030 alle Menschen mit bezahlbarem, angemessenem und menschenwürdigen Wohnraum zu versorgen. Das ist eine Verpflichtung, die Deutschland ebenfalls unterschrieben hat. Als Düsseldorfer Verantwortliche für die Belange von Obdachlosen, weiß ich, dass auch das nur kommunal funktioniert.

Engagement für mehr Flüchtlinge, brauchte das im Düsseldorfer Stadtrat eigentlich viel Überzeugungsarbeit? Oder gab es gleich Konsens?
Konsens kann man nicht sagen, der Stadtrat ist bunt. Aber lange Überzeugungsarbeit brauchte es überhaupt nicht. Eine Mehrheit aus SPD, Grünen und FPD stand dahinter, die Linke war mit dabei.

Wie kam das?
Ich denke, den Konsens haben wir schon vor vier, fünf Jahren hergestellt, hinzu kam die große ehrenamtliche Unterstützung in der Stadt, auch jenseits der üblichen Verdächtigen. Als wir Sommerzelte auf Schützenplätzen aufstellen mussten, da waren gerade die Schützenvereine die ersten, die Hilfe anboten. Echte Traditionsvereine schoben viel an, die Düsseldorfer Jonges zum Beispiel, ein reiner Männerclub. Und die Art und Weise, wie die Verwaltung die Flüchtlingsarbeit managte, hat wohl überzeugt. Die grundsätzliche Haltung der Stadt stand nicht einmal infrage, als eine Messehalle brannte, die ein Bewohner angezündet hatte. Wir konnten sogar daraus lernen.  Eine Messehalle würde ich heute so nicht mehr zur Unterkunft machen.  

Sie sprachen die Verwaltung an. Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit sie in einer besonderen Situation wie seinerzeit funktioniert?
Damals Koordination und ein Gesicht für das Thema. Mit den Flüchtlingen waren viele Ämter beschäftigt. Um Reibungsverluste zu vermeiden und ihre Arbeit zu koordinieren, hat der OB damals das Amt der Flüchtlingsbeauftragten geschaffen. Das war seit Februar 2015 ich. Ich war damit auch die, die sagen konnte: Ich bin für alles, was damit zu tun hat, die zuständige Stelle. Wendet euch an mich, auch mit Kritik. Das Netz, das daraus 2015/16 entstand, hält noch heute, da haben wir Prozesse einüben können.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel beim Thema Wohnraum. Die Ankunft der Flüchtlinge hat ein Problem auf die Spitze getrieben. Aber es war viel älter, wir hatten Jahre ohne eine einzige öffentlich geförderte Wohnung, andere fielen nach und nach aus der Förderung raus. Wir haben damals gesehen, wen wir bisher nicht auf dem Plan hatten: Dass wir über die Geflüchteten hinaus Menschen in der Stadt brauchen, die keine hohen Einkommen haben.

Die kommunalen Spitzenverbände sehen die Flüchtlingsfrage deutlich anders als die Koalition der willigen Städte und Gemeinden. Aus Sicht der Kommunallobby vergrößert sie nur die alten Probleme.
Die Spitzenverbände müssen uns alle vertreten, insofern habe ich da Verständnis. Aber ich freue mich auch, dass der Städtetag von NRW das Signal begrüßt, das wir im Verbund der Sicheren Häfen gegeben haben. Wenn man auf die Zahl der infrage kommenden Flüchtlinge schaut: Das sind alles Mengen, die sich bewältigen lassen. Und wir brauchen Zuwanderung. Dafür ist mehr  Offenheit nötig, deutlich übers Asyl hinaus – ich meine nicht nur gute Gesetze, sondern auch eine Behördenpraxis, die mehr Menschen den Weg nach Deutschland ermöglicht – und mehr Verantwortung für die Kommunen. Deren besondere Integrationsangebote, ihr Bedarf, ihr Wissen und die Wünsche der Menschen, die kommen, ließen sich so im Interesse beider Seiten zusammenbringen. 

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