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Führende Köpfe: Urban, Kalbitz, Gauland - und Meuthen.

© imago images/IPON

„Wie zwei Züge, die aufeinander zurollen“: Kommt es zum Showdown in der AfD?

Nach dem Rauswurf von „Flügel“-Strippenzieher Andreas Kalbitz spitzt sich der Machtkampf in der AfD weiter zu. Die Parteispitze ist tief gespalten.

Wenn es noch einen Beweis gebraucht hätte, wie tief gespalten die AfD in der Spitze ist, dann kam er am späten Donnerstagabend: Der AfD-Bundesvorstand verschickte einen Rundbrief an alle Mitglieder zur „Causa Andreas Kalbitz“. Denn in den Reihen der AfD brodelt es, seitdem die Parteispitze vergangene Woche beschlossen hat, den Brandenburger AfD-Chef wegen seiner rechtsextremen Vergangenheit aus der Partei zu werfen.

Unterzeichnet war der Mitgliederbrief aber nur von einem der beiden Parteichefs, nämlich Jörg Meuthen. Angehängt an die Mail fanden die Mitglieder eine weitere Stellungnahme, in der Meuthens Co-Parteichef Tino Chrupalla wiederum seine Sicht der Dinge darlegte. Beide Texte liegen dem Tagesspiegel vor. Sie zeigen, dass sich der Machtkampf in der AfD immer weiter zuspitzt.

Ein Signal der Zerrissenheit

Was war passiert? Auf Betreiben von Meuthen hatte der Bundesvorstand am vergangenen Freitag beschlossen, die Mitgliedschaft von Kalbitz zu annullieren. Die Begründung unter anderem: Kalbitz habe 2013 bei seinem Eintritt in die Partei nicht angegeben, dass er zuvor Mitglied in der rechtsextremen und mittlerweile verbotenen Vereinigung „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) gewesen war. Kalbitz bestreitet die Mitgliedschaft noch immer.

Gegen den Beschluss, Kalbitz sofort rauszuwerfen, wandten sich vergangene Woche unter anderem Co-Parteichef Chrupalla, Fraktionschefin Alice Weidel, Bundesvize Stephan Brandner und der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, der im Bundesvorstand aber kein Stimmrecht hat. Sie alle unterzeichneten auch Chrupallas Angriff auf Meuthens Mitgliederbrief. Darin kritisiert Chrupalla, man hätte zuerst ein Rechtsgutachten einholen müssen, bevor man Kalbitz die Parteimitgliedschaft aberkenne. Deutlicher als mit einem separaten Mitgliederschreiben hätte Chrupalla seine Opposition zu Meuthen nicht zum Ausdruck bringen können.

Es gibt nun also einerseits jene auf der Seite von Kalbitz, der gemeinsam mit Björn Höcke als Anführer im mittlerweile aufgelösten „Flügel“ in der AfD galt und als dessen wichtigster Strippenzieher. Und auf der anderen Seite die Unterstützer von Jörg Meuthen, der zwar früher selbst mit dem „Flügel“ paktierte, nun aber die AfD um jeden Preis vor der Gesamtbeobachtung durch den Verfassungsschutz bewahren will.

Im Meuthen-Lager ist man derzeit guter Dinge und überzeugt, dass der Rauswurf juristisch Bestand haben wird – obwohl bekannt wurde, dass Kalbitz’ Mitgliedsantrag von 2013 verschollen ist. „Der Mitgliedsantrag von Kalbitz muss nicht vorliegen“, sagte der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Pazderski dem Tagesspiegel. Er war früher Bundesgeschäftsführer der AfD. „Die Daten sind damals elektronisch erfasst worden. Wenn Kalbitz seine frühere Mitgliedschaft bei den Republikanern und in der HDJ angegeben hätte, würde das dort stehen.“

Läuft es auf eine Spaltung hinaus?

Unabhängig davon, wie der juristische Streit um die Mitgliedschaft um Kalbitz ausgeht, ist aber fraglich, ob die beiden verfeindeten Lager in der AfD jemals wieder zusammenfinden können. „Das ist, wie wenn zwei Züge aufeinander zurollen und man nicht weiß, wie man sie aufhalten soll“, sagt ein AfD-Insider. Kommt es also zum großen Crash? Der Insider hält es nicht für ausgeschlossen, dass es Meuthen vielleicht sogar auf eine Spaltung ankommen lassen will.

Der Parteichef hatte schon vor einigen Wochen eine Teilung der AfD ins Spiel gebracht. Diese Woche verkündete er, er sei bereit, den Richtungsstreit auf einem Sonderparteitag auszutragen. Sein Mitstreiter Pazderski hält das nicht für erforderlich. „Man kann nicht bei jeder nicht einstimmigen Entscheidung einen Parteitag einberufen.“ Tatsächlich wäre ein Parteitag in nächster Zeit schon wegen der Coronakrise nicht möglich.

Im „Flügel“ sinnt man unterdessen auf Rache. Björn Höcke hatte Meuthens Vorgehen als „Verrat“ bezeichnet. Und dem Thüringer „Flügel“-Mann Jürgen Pohl schwebt schon eine ganz andere AfD vor. „Andreas Kalbitz wird noch zu einer Parteivorsitzender der AfD sein, in der sich niemand mehr an Jörg Meuthen erinnert“, verkündete er auf Facebook.

Der Extremismusforscher Steffen Kailitz geht fest davon aus, dass es zum Showdown in der AfD kommen wird. Es sei „unvorstellbar“, dass die vom „Flügel“ dominierten Landesverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg einfach so akzeptierten, dass Kalbitz ausgeschlossen bleibt. Die Brandenburger AfD-Fraktion beschloss bereits, Kalbitz dürfe trotz seines Rauswurfs weiter Fraktionsmitglied bleiben.

Forscher Kailitz sieht zwei Möglichkeiten: Entweder es laufe auf eine Spaltung der AfD hinaus oder eine der beiden Strömungen in der Partei ziehe den Kürzeren. „Letzteres dürfte einen Abgang von Meuthen bedeuten“, sagt Kailitz. Sicher könne man sich aber nicht sein. Denn die Angst vor dem Verfassungsschutz verändere die Kräfteverhältnisse in der Partei – möglicherweise zu Gunsten von Meuthen.

Es geht auch um die Mandate

„Es steht immer noch die Gesamtbeobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz im Raum“, sagt Kailitz. „Das schreckt im Osten nur eine Minderheit, aber im Westen spielt es eine deutlich größere Rolle.“ Dort sorgten sich viele AfD-Politiker, dass die Gesamtbeobachtung nicht nur die eigene Vita beschmutzen, sondern auch Wählerstimmen und am Ende vielleicht das Mandat kosten könnte. „Die wahre Bruchlinie ist also die Angst vor dem Verfassungsschutz. Das hat letztendlich wenig mit einer echten Abgrenzung vom Rechtsextremismus zu tun, sondern vor allem mit Opportunismus.“ Zudem spiele programmatisch weiterhin die Frontlinie zwischen wirtschaftsliberalen und „sozialpatriotischen“ Positionen in der AfD eine bedeutende Rolle.

Vieles, was derzeit in der AfD passiert, muss man aber generell vor dem Hintergrund sehen, dass im kommenden Jahr Bundestagswahlen anstehen. In der Partei heißt es, dass sich Funktionäre und Abgeordnete bei der Positionierung in diesem Machtkampf genau überlegen, was ihre Chancen erhöht, wieder auf einen sicheren Listenplatz zu kommen.

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