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Seit Monaten tagt der Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags - so häufig wie selten ein Ausschuss zuvor.

© Hannibal Hanschke/Reuters

House of Wirecard: Wie Kontrolle und Verstand beim Untergang der Firma versagten

Erste Zweifel am Geschäftsmodell von Wirecard kamen bereits Anfang 2019 auf. Der Wirecard-Untersuchungsausschuss im Bundestag legt noch weitere Details offen.

Stephan von Erffa und Thomas Eichelmann haben etwas gemeinsam mit Christian Orth und Hubert Barth. Ihr Leben hat mit Wirecard zu tun. Weshalb sie am Donnerstag und Freitag in den Untersuchungsausschuss des Bundestags geladen wurden.

Der Untersuchungsausschuss soll klären, welche Verantwortung vor allem Behörden und Politik trifft bei der Pleite des einstigen Dax-Unternehmens, bei dem ein Milliarden-Wert an der Börse vernichtet wurde - und somit auch Anleger traf. Erffa und Eichelmann waren Wirecard-Manager. Orth und Barth sind Spitzenmanager der Wirtschaftsprüfungsfirma EY in Deutschland. Der Ausschuss ermittelt seit fast einem halben Jahr.

EY hat jahrelang die Bilanzen von Wirecard testiert, also als gut und rechtmäßig befunden – auch dann noch, als es längst Berichte gab, dass möglicherweise nicht alles mit rechten Dingen zuging bei dem rasant wachsenden Finanzdienstleister aus Aschheim bei München.

So trug EY dazu bei, dass bis weit ins Jahr 2020 hinein, bis kurz vor der Insolvenz, ein eher positives Bild er Firma in der Öffentlichkeit kursierte. Mittlerweile gibt es Anlegerklagen gegen die Bilanzprüfer, Barth wurde als Deutschland-Chef von EY abgelöst.

Immerhin ergab die Befragung von Orth am Freitag, dass erste Zweifel am Geschäftsmodell von Wirecard Anfang 2019 aufgekommen sind und sich Ende des Jahres und dann vor allem Anfang 2020 verdichteten.

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Orth – selbst kein Bilanzprüfer bei Wirecard, sondern als Manager für die interne Qualitätsprüfung zuständig – berichtete, dass exakt am 29. Januar 2020 „bei uns der Feueralarm anging“. In einer gemeinsamen Runde mit Fachleuten der Firma KPMG hatte man herausgefunden, dass Treuhandkonten, auf denen bis zu 1,9 Milliarden Euro geparkt sein sollten, von einer Bank in Singapur nach Manila transferiert worden waren.

„Das war der Wendepunkt“, sagte Orth, der noch im Dezember im Untersuchungsausschuss auf ein Aussageverweigerungsrecht gepocht hatte, das ihm der Bundesgerichtshof nach einer Klage nicht zugestand.

Nicht existierende Treuhandkonten

Es dauerte dann noch bis Mai, bis die Leute von EY und KPMG herausfanden, dass es diese Treuhandkonten gar nicht gab – und auch das viele Geld nicht. Wirecard-Chef Markus Braun behauptete bis zum bitteren Ende, dass das Geld – angelegt angeblich als Sicherheitsreserve – vorhanden sei. „Sie glauben doch nicht, dass ich mir zwei Milliarden Euro stehlen lasse“ – so zitierte Orth den derzeit in Untersuchungshaft sitzenden Braun aus einem Gespräch im Frühjahr 2020.

Dass EY und KPMG, harte Konkurrenten im Bilanzprüfungsgeschäft, gleichzeitig bei Wirecard beauftragt waren, hatte damit zu tun, dass 2019 im Aufsichtsrat von Wirecard auch die Zweifel wuchsen.

Eichelmann hatte im Juni als neuer Aufsichtsratschef begonnen und wollte das Unternehmen organisatorisch auf Vordermann bringen. Denn da stimmte einiges nicht. Eine Folge: Wirecard selbst beauftragte KPMG damit, einen Sonderbericht zur Lage des Unternehmens zu machen - parallel zur regulären Bilanzprüfung durch EY.

[Wenn Sie mehr wissen wollen zum Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Wirecard-Affäre - hier finden Sie unseren T-Plus-Dreiteiler: Rückblick Teil 1 und Teil 2 und den ausführlichen Ausblick.]
Aber aus dem Wirecard-Management heraus wurde, so muss man annehmen, auf Boykott geschaltet. Nach dem Verschieben der Treuhandkonten, auf denen immerhin ein Viertel der Bilanzsumme lag, wurde auch der Versuch der Prüfer gebremst, über Testtransaktionen zu erforschen, ob überhaupt Geld auf den Konten war. Als am 15. Juni klar war, dass weder Konten noch Geld existierten, sagte Eichelmann den EY-Prüfern, dass ihnen klar sein müsse, „dass wir dem Unternehmen den Stecker ziehen“, wie Orth berichtete.

Was wusste der Oberbuchhalter?

Erffa wiederum will wenig mitbekommen haben von Manipulationen und Betrügereien. Allerdings war er der oberste Buchhalter des Unternehmens, durfte sich sogar Vizevorstand für Finanzen nennen, was er im Ausschuss als „Grüßaugust-Titel“ bezeichnete. „Es war für mich unvorstellbar, dass so etwas passieren konnte“, sagte er.

Für die Staatsanwaltschaft auch, weshalb Erffa zu den Wirecard-Managern gehört, die derzeit in Untersuchungshaft sitzen. Dass er im Bundestag aussagte, jedenfalls zu Fragen außerhalb seines Ermittlungsverfahrens, dürfte als Signal für Aufklärungswillen zu erklären sein, was im Zweifelsfall strafmildernd wirken kann. Wie es bei Wirecard zuging, zeigt die gegenseitige Wertschätzung von Erffa und Eichelmann. Der neue Aufsichtsratschef kam zum Schluss, der Buchhaltungschef sei manchmal „völlig irre“ gewesen. Erffa wiederum sagte mit Bezug auf Eichelmann, sie beide würden wohl keine Freunde mehr.

Eichelmann war einerseits der Mann, der aufräumen wollte bei Wirecard. Er habe „den Anstoß für Prozesse gemacht, die letztlich den Raubzug der Wirecardgang beendet haben“, lautet die Einschätzung der SPD-Abgeordneten Cansel Kiziltepe. Erffa hingegen habe sich als das das ahnungs- und kompetenzlose Opfer dargestellt. „Das ist weder glaubhaft noch deckt es sich mit der Aktenlage.“

Aber auch der so forsche wie erfahrene Aufsichtsratschef Eichelmann hatte offenkundig auch keinen schnellen Durchblick. Das undurchsichtige Asiengeschäft des Finanzdienstleisters, das wegen fehlender Banklizenzen dort vor allem über so genannte Drittpartner lief, habe auch er zunächst nicht verstanden, ließ er durchblicken. Zuständig für das Asiengeschäft war der Vizevorstandschef von Wirecard, Jan Marsalek. Er ist seit Juni 2020 abgetaucht.

Dubioses Asiengeschäft

Bei Wirecard war es so, dass vor allem aus dem Asiengeschäft die Gewinne stammten. Zudem sollten die angeblich auf den Treuhandkonten geparkten fast zwei Milliarden Euro quasi als Cash-Reserve für mögliche Ausfälle gerade im Asiengeschäft dienen. Wie viele Kunden hinter den Drittpartnern standen, war unklar.

Der Wirecard-Manager Daniel Steinhoff sollte nach der Pleite eruieren, was es dort überhaupt an Geschäft gab. Seine Aussage im Ausschuss in der Nacht zu Freitag lief darauf hinaus, dass es weder viel Kommunikation mit angeblichen Kunden gab noch Preislisten noch Verrechnungsbelege für Einzahlungen auf den Treuhandkonten.

Zumindest ein Teil dieses Asiengeschäfts war also fingiert, machte aber einen Großteil der Bilanz aus, schon wegen der Treuhandkonten. Daneben hatte Wirecard auch sehr hohe Schulden, etwa zwei Milliarden Euro – was fragwürdig war, weil ein angeblich ertragskräftiges Unternehmen nicht unbedingt so viel Fremdkapital braucht.

Auch ein „Geschäft“ wie in Asien baut sich jedoch über Jahre auf. Wobei 2019 die Treuhandsumme schlagartig von etwa einer auf 1,9 Milliarden Euro sprang. Der Grünen-Abgeordnete Danyal Bayaz zieht als Fazit: „Bei Wirecard wurden wichtige Grundsätze des Prüfer-Einmaleins nicht beachtet.“ Wenn Milliarden auf Treuhandkonten nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden könnten, müsse das in einem Testat thematisiert werden. „Die nachlässige Prüfung von EY hat den Betrug so mitbegünstigt. Auf die Prüfer von EY kommen keine einfachen Zeiten zu.“

Wer hat Verantwortung?

Wie im Wirecard-Skandal versucht wird, die Verantwortlichkeiten hierhin und dorthin zu schieben, aber immer auf andere, zeigte sich auch in diesen beiden Ausschusssitzungen. Orth wie auch Eichelmann machten deutlich, dass sie ihre grundsätzlich positive Einschätzung von Wirecard im Jahr 2019 auch darauf bauten, dass die Finanzmarktaufsicht Bafin im Februar 2019 ein zweimonatiges Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien aussprach, was als Schutz für das Unternehmen zu werten war.

Die Bafin untersteht dem Bundesfinanzministerium (ihre frühere Spitze muss kommende Woche im Ausschuss auftreten). Finanz-Staatssekretär Jörg Kukies hatte, wie unlängst bekannt wurde, vorab von der Entscheidung für das Leerverkaufsverbot Kenntnis. Kukies war es auch, der – was nun ebenfalls aktenkundig ist – in den dramatischen Tagen der Wirecard-Pleite im Juni 2020 einen staatlichen Rettungsplan entwarf, inklusive eines neuen Kredits der Staatsbank KfW.

Noch am 23. Juni, also am Tag nach dem Eingeständnis von Wirecard, dass 1,9 Milliarden Euro fehlten, meldete sich Kukies für ein Telefonat bei der KfW-Tochter Ipex an. Deren Chef Klaus Michalak mailte daraufhin, wie der „Spiegel“ berichtete, seine Vorgesetzten an. Er sei bereits über das Vorhaben „vorgewarnt“: Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsministerium dächten offenbar darüber nach, für Wirecard eine „deutsche Lösung“ zu finden.

Offenbar wollte man das Unternehmen, das als nationaler Champion galt, mit Hilfe deutscher Banken über Wasser halten. Auch direkte Staatshilfe wurde nach einem Bericht der Agentur Reuters im Finanzministerium erwogen. Aber dazu kam es am Ende nicht mehr. Das "House of Wirecard", so betitelte die meist aufmerksame „Financial Times“ einmal eine Artikelserie, war rettungslos verloren.

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