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Olaf Scholz ist erstmals als Kanzler in der Sommerpressekonferenz der Bundespressekonferenz zu Gast.

© IMAGO/Emmanuele Contini

Die Sommer-PK des Bundeskanzlers: Wie eine alte Affäre Scholz fast aus der Fassung bringt

Der Kanzler will den Bürgern zeigen: Niemand wird in der Krise alleine gelassen. Doch dann holt ihn ein anderes Thema ein: Der „Cum-Ex“-Skandal.

Olaf Scholz hat es geschafft, die letzte Frage ringt ihm ein Grinsen ab. Ob er Angela Merkel denn vermisse? „Also ich telefoniere gerne mit ihr, aber ich bin jetzt auch gerne Bundeskanzler“, antwortet ihr Nachfolger.

Es ist das 33. Mal, dass der SPD-Politiker auf dem Podium der Bundespressekonferenz sitzt, er war als Arbeitsminister hier, als Finanzminister, als kommissarischer SPD-Chef, als Erster Bürgermeister Hamburgs - das letztere Amt holt ihn an diesem Tag ein, auch wenn er jetzt erstmals als Kanzler vor der blauen Wand sitzt.

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Er zeichnet das Bild vom ernsten Kanzler in ernster Zeit, der Bürgern gleich drei Mal schon zu Beginn verspricht: „You'll never walk alone.“ Der die Zeitenwende ausgerufen hat, mit bis zum 24. Februar undenkbaren Entscheidungen. „Ich habe sie bewusst so genannt. Das ist eine Veränderung der Wirklichkeit, in der wir leben.“

Der trotz der Risse in seinem als Fortschrittskoalition apostrophierten Ampel-Bündnis auf die Frage, ob das vier Jahre halten kann, betont: „Ja. Ich habe sogar eine Perspektive, die darüber hinausreicht“.

Der Koalitionsvertrag sei schließlich kein „Vereinigungsparteitag“ von drei Parteien, man modernisiere das Land durch den Krieg Russlands schneller als geplant, gerade beim Ausbau erneuerbare Energien.

Erste Koalitionäre fürchten dagegen schon den Bruch im Winter, falls die FDP trotz dramatisch steigender Energiepreisen die Schuldenbremse wieder einhalten will. Zu erleben ist hier ein Kanzler, der mit ruhiger Hand regiert und sich nicht kirre machen lassen will.

Das große Kanzlerversprechen - wie soll es finanziert werden?

Scholz bekennt sich zu dem Plan von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), die Schuldenbremse wieder einzuhalten; antwortet auch nicht klar, ob dann zumindest in diesem Jahr über einen Nachtragshaushalt nochmal mehr Schulden gemacht werden sollen. Mithin lässt er sich noch nicht in die Karten blicken, wie er sein „You'll never walk alone“-Versprechen finanzieren will. Aber das wird für die Koalition noch zur Kernfrage.

Er kündigt nach den bereits zwei Paketen mit einem Volumen von 30 Milliarden Euro, die auch eine erst noch im September kommende Energiepreispauschale von 300 Euro beinhaltet, ein drittes Paket an.

Scholz unterstützt Lindners Plan

Darin enthalten sind die Vorschläge von Lindner zur Dämpfung der sogenannten Kalten Progression, die rund zehn Milliarden Euro kosten werden. Die unterstützt er ausdrücklich, trotz Gemurre bei SPD und Grünen. „Der Bundesminister der Finanzen Olaf Scholz hat zwei Mal die kalte Progression ausgeglichen.“

Diese Inflationsanpassung der Steuersätze könne also „keine offensichtlich falsche Idee sein“, sagt der Kanzler. Gerungen wird noch um höhere Hartz-IV-Sätze, das heißt ab 2023 Bürgergeld. Zudem soll es noch mal eine Ausweitung bei dem Wohngeld geben.

Kämpferisch, seinen Kurs verteidigend: Kanzler Olaf Scholz (SPD).
Kämpferisch, seinen Kurs verteidigend: Kanzler Olaf Scholz (SPD).

© IMAGO/Emmanuele Contini

Keine Sorge vor Unruhen

Aber weitere Details bleiben offen. Scholz macht deutlich, dass Tankrabatt und 9-Euro-Ticket nicht verlängert werden. Vor allem sieht er einen Fokus bei Entlastungen auf Geringverdienern, erinnert an seinen Respekt-Wahlkampf. „Mein Fokus liegt auf denen, mit denen ich letztes Jahr ein großes Gespräch begonnen habe.“ Er habe zudem mit Banken und Sparkassen gesprochen, viele Bürger hätten keine Rücklagen. „Wir werden alles dafür tun, dass die Bürgerinnen und Bürger durch diese schwierige Zeit kommen.“ Niemand werde allein gelassen. „Ich glaube nicht, dass es in diesem Land zu Unruhen kommen wird“, betont der Kanzler.

Die Korrektur der Fehler

Von einer Aufarbeitung der Fehler in der Regierungszeit Merkel, als die Gasabhängigkeit von Russland auf über 55 Prozent angewachsen ist, hält er wenig. „Aber ich möchte auch niemanden dran hindern.“ Mit Blick auf die ebenfalls starke Abhängigkeit von China, das Taiwan akut bedroht, betont er, wie wichtig der Ausbau einer eigenen Halbleiterindustrie sei, etwa durch das Intel-Werk in Magdeburg.

Und um das Gas-Problem zu lösen, ist er für den Bau einer Pipeline von Portugal und Spanien über Frankreich nach Mitteleuropa. Diese könnte jetzt „einen massiven Beitrag zur Entlastung und Entspannung der Versorgungslage“ leisten. Er habe deshalb bei seinen Kollegen in Spanien, Portugal und Frankreich sowie bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen"sehr dafür geworben, „dass wir zum Beispiel ein solches Projekt anpacken“.

Prüfen, Atomkraftwerke länger laufen zu lassen

Das Projekt MidCat für eine Pipeline von Spanien nach Frankreich war vor einigen Jahren gestoppt worden, weil es wegen des billigeren Erdgases aus Russland für unwirtschaftlich gehalten wurde - darüber könnte etwas Erdgas aus Algerien nach Europa kommen. Es fehlen noch 226 Kilometer von Katalonien über die Pyrenäen bis nach Frankreich, Bauzeit mindestens zwei Jahre.

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Zudem verweist Scholz darauf, dass er schon als Erster Bürgermeister in Hamburg sehr für ein Flüssiggas-Terminal in Brunsbüttel geworben habe. Im Übrigen sei es ein Irrtum, dass der jetzige Ausbau der Flüssiggas-Strukturen fossile Energiestrukturen auf Jahrzehnte verfestigen würden.

Die Terminals und Leitungen könnten künftig für die Einfuhr von Wasserstoff genutzt werden. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass es zu einer befristeten Verlängerung der Atomlaufzeiten kommen könnte, um das Gas vor allem zu Heizen einzusetzen und die Preise zu dämpfen. „Wir prüfen, die drei Atomkraftwerke etwas länger laufen zu lassen“, sagt er. Die Entscheidung des Stressstets werde in Kürze vorliegen.

Nachdenklich: Olaf Scholz in der Bundespressekonferenz.
Nachdenklich: Olaf Scholz in der Bundespressekonferenz.

© IMAGO/Emmanuele Contini

Der Kanzler stellt Ukraine weitere Waffenlieferungen in Aussicht

Scholz bleibt sei seiner Einstellung, das sei „Putins Krieg“. Deshalb ist er auch gegen ein Einreiseverbot für russische Staatsbürger in der EU. Aber angesichts des großen Rückhalts für den Krieg in Russland halten Experten diese Sichtweise für zu simpel. Als er gefragt wird, ob Putin für ich ein Kriegsverbrecher sei, kommt in der Antwort ein typisches Merkmal des Kanzlers zum Vorschein.

Er mag nicht diese plakativen Zuschreibungen, um Schlagzeilen zu produzieren. Sondern Sacharbeit. Er listet Kriegsverbrechen auf, begangenen von russischen Soldaten, referiert die Unterstützung der deutschen Behörden bei der Beweissicherung und Aufarbeitung, die zu Anklagen führen sollen.

Lange stand er beim Thema Waffenlieferungen unter Druck, er kündigt hier weitere Lieferungen für die Ukraine an und betont, wie sehr gerade die nur von den USA, Großbritannien und Deutschland gelieferten Mehrfachraketenwerfer helfen würden, dazu die Panzerhaubitzen und die Gepard-Flugabwehrkanonenpanzer. „Deutschland wird solidarisch bleiben.“

Gerhard Schröder und die Nord-Stream-Turbine

Ob er denn auch glaube, dass Altkanzler Gerhard Schröder nochmal nützlich sein könnte, etwa als Vermittler? "Ich wüsste nicht", sagt Scholz. Mit Blick auf Schröder Tätigkeit als Chef des Aktionärsausschusses von Nord Stream sagte Scholz, es wäre aber „mal ein verdienstvolles Geschäft“, dafür zu sorgen, dass Russland die Einfuhr der Turbine für die Gasleitung Nord Stream 1 erlaube.

Die von Siemens Energy gewartete Turbine ist derzeit in Deutschland - Gazprom begründet mit der fehlenden Turbine die starke Drosselung der Gaslieferungen, und will sie scheinbar bisher nicht zurückhaben, begründet das auch mit Sanktionen gegen Russland.

Bundeskanzler Olaf Scholz SPD besichtigt die in Kanada für die Erdgas-Pipeline Nord Stream 1 gewartete Turbine , die für den Weitertransport nach Russland bereitsteht.
Bundeskanzler Olaf Scholz SPD besichtigt die in Kanada für die Erdgas-Pipeline Nord Stream 1 gewartete Turbine , die für den Weitertransport nach Russland bereitsteht.

© IMAGO/Reichwein

„Nichts“, sagt der Kanzler auf die Frage, was er von den 214.800 Euro im Schließfach des Hamburger SPD-Politiker Johannes Kahrs gewusst habe. Und grinst. Nächste Frage, haben Sie eine Vermutung, wo es herkommt? Antwort Scholz. „Keine Ahnung.“

Wer so dünnhäutig wie Scholz heute auf das Thema Cum-Ex reagiert, der wird einen Verdacht nur sehr schwer los. Er verstärkt ihn ungewollt.

schreibt NutzerIn purist

Es geht darum, ob in der Hamburger Regierungszeit von Scholz politisch Einfluss genommen wurde, um trotz des Cum-ex-Steuerbetrugs der Warburg Privatbank 2016 rund 47 Millionen Euro an zu Unrecht erhalten Kapitalertragssteuern nicht zurückzufordern.

Der Kanzler sieht den Cum-ex-Fall in Hamburg politisch als aufgeklärt an

Die Bank-Chefs warnten vor dem Ruin der Bank. 2016 ist der Fall juristisch längst noch nicht so klar wie heute, auch die zuständige Finanzbeamtin schwankt immer wieder, was zu tun ist. Im Oktober 2016 hat der Warburg-Gesellschafter Christian Olearius in sein Tagebuch notiert, dass die Schlüsselfigur Kahrs sich mit Scholz treffen wollte, um ihn für das anstehende Treffen mit den Bank-Gesellschaftern vorzubereiten.

Das Treffen der Warburg-Banker mit Scholz findet Ende Oktober statt, kurz danach wird das Geld nicht zurückgefordert. 2017 spenden die Warburg Bank und mit ihr verbundene Unternehmen rund 45.000 Euro an die Hamburger SPD.

Gab es ein Treffen von Scholz mit Kahrs zur Warburg-Bank?

Ob es denn dieses Vorbereitungstreffen von Kahrs mit Scholz gab, ja oder nein? Die Antwort des Kanzlers, ist aber interessanterweise nicht ja oder nein, sondern er weicht aus: „Alles, was ich berichten kann, habe ich bereits berichtet.“ Seit 2,5 Jahren sei doch nun alles durchleuchtet worden. Es habe keine politische Beeinflussung gegeben. „Ich bin mir sicher, dass sich diese Erkenntnis nicht mehr verändern wird.“

Scholz ist ein Politprofi, aus Sicht etwa von Fabio de Masi (Linke) war der Knackpunkt, dass der Warburg-Gesellschafter Olearius Scholz bei ihrem Treffen Ende Oktober einen Brief übergab, in dem die rechtliche Haltung der Bank dargelegt und vor dem Ruin bei einer Rückzahlung gewarnt wurde.

Der zeitliche Ablauf wirft bis heute Fragen auf

Am 9. November soll Scholz Olearius dann angerufen haben, er möge das Schreiben kommentarlos an Finanzsenator Peter Tschentscher schicken, der später Scholz nach dessen Wechsel nach Berlin im Amt des Ersten Bürgermeisters nachfolgte - wenig später kam die Nachricht: Keine Rückforderung.

Der Kanzler betont in der Bundespressekonferenz, im Übrigen sei später das Geld ja an den Staat zurückgeflossen. Das war durch ein Urteil des Landgerichts Bonn 2020 möglich, 176,5 Millionen musste Warburg zurückzahlen - nachdem die Hamburger Finanzverwaltung selbst die Zahlungsverjährungsfristen verlängert hatte.

Wortgefecht mit einem Journalisten: "Bedenken Sie das, wenn Sie so was sagen"

Als ein niederländischer Journalist von einer Tatsache spricht, dass es eine Anweisung gegeben habe, auf das „geklaute“ Geld zu verzichten, wird Scholz sehr deutlich. „Es ist keine Tatsache. Sie können sich darauf verlassen, dass ich nicht zu den Leuten gehöre, die so was machen. Aber Sie würden diese Tatsachenbehauptung nicht erhärten können, wenn Sie es müssten.“ Und dann fügt Scholz noch hinzu: „Bedenken Sie das, wenn Sie so was sagen.“

Am 19. August muss er erneut im Hamburger Untersuchungsausschuss dazu auftreten. Wann er das letzte Mal Kahrs gesprochen habe? Er wolle jetzt nicht sagen, was viele erwarten - dass er sich nicht erinnern würde (seine wiederholte Aussagen zu Gesprächen mit der Warburg Bank). Aber das müsse schon ewig her sein, er habe keinen Kontakt mehr zu Kahrs.

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