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Zuhören wollen die SPD-Größen um Olaf Scholz im Osten.

© Fabrizio Bensch/Reuters

Scholz, Barley & Co. auf Bustour: Wie die SPD im Osten die Wähler sucht

In den Städten im Osten sind die Umfragewerte der SPD desaströs. Spitzen aus der Bundespolitik wollen das vor den Landtagswahlen ändern. Ein Ortstermin.

Von Hans Monath

Muss Eckhard Schubert den sozialdemokratischen Vizekanzler unbedingt daran erinnern, dass ihre gemeinsame Partei schon einmal bessere Zeiten erlebt hat? „Im März 1990 hat Willy Brandt hier gesprochen, und der Marktplatz war voll“, erklärt der frühere Lehrer Finanzminister Olaf Scholz, der auf einer Bierbank am Rande des Marktplatzes von Eberswalde den Kontakt mit den Bürgern sucht. „Und in der Stadtverordnetenversammlung hatten wir 46 Prozent“, erinnert sich der Kommunalpolitiker, der die SPD in der Stadt nördlich von Berlin mitgegründet hat.

Seit der Kommunalwahl 2014 ist der Stimmenanteil der Sozialdemokraten hier auf 21 Prozent gefallen – weniger als die Hälfte des Ergebnisses aus der Wendezeit. Im übrigen Brandenburg sieht es auch nicht viel anders aus – und das wenige Monate vor der Landtagswahl. Dafür tragen offenbar viele Verantwortung. Zum Abschied rät Schubert dem Gast aus der Bundespolitik jedenfalls noch: „Nicht so viele Fehler machen!“

19 Jahre nach dem Auftritt Brandts locken Scholz, Justizministerin Katarina Barley, Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider und der Bundestagsabgeordnete Stefan Zierke an diesem Donnerstagmittag zumindest ein paar Dutzend Bürgerinnen und Bürger an den Rand des Markplatzes. Das Wetter meint es nicht allzu gut mit dem Start der  „Bus-Tour“ der SPD-Bundestagsfraktion. Gerade als Scholz seinem Dienstwagen entsteigt, setzt leichter Nieselregen ein.

Unter dem Zeltdach nehmen Scholz und Barley auf den Bierbänken Platz, hören zu und geben Antworten. Viele, die gekommen sind, haben ihr Erwerbsleben schon hinter sich und graue Haare. Mancher will den beiden Spitzenpolitikern nur allgemeine Lebensweisheiten mitgeben („Hören Sie genau zu, was die Zweifler sagen!“). Doch oft geht es um Probleme, um die sich die SPD intensiv kümmert, den Mindestlohn, die niedrigen Renten oder die hohen Pflegekosten.

Rentnerin Annegret Schwarz, die früher im öffentlichen Dienst war, empört sich darüber, dass sie ihre Rente versteuern muss. „Die SPD hat über Jahre erzählt, wir wollen die Reichensteuer einführen“, es ist aber nichts passiert“, wirft sie dem Finanzminister vor. „Sie sprechen ein Thema an, das viele ärgert, aber man kann dem nicht so richtig ausweichen“, kontert Scholz und verweist auf die Vorgaben der dritten Gewalt: „Der Gesetzgeber hat wegen des Bundesverfassungsgerichts keine Wahl gehabt.“ Annegret Schwarz ist das zu wenig. „Überhaupt nicht überzeugt“ hätten die Argumente des Politikers, sagt sie nach der Begegnung.

Die Tour führt in kleine und mittelgroße Städte

„Gekommen, um zu hören“, heißt das Motto der Bustour der SPD-Fraktion. Bis September wollen die Sozialdemokraten im Osten sowie in Bayern und Baden-Württemberg, wo die SPD ebenfalls besonders schwach ist, Kontakt mit den Wählern suchen. Dort nähern sich die Demoskopie-Zahlen der Ost-SPD an, die in Sachsen und Thüringen jüngsten Umfragen zufolge bei wenig über zehn Prozent, in Brandenburg mit Ministerpräsident Dietmar Woidke bei 21 Prozent, steht. In allen drei Ost-Ländern wird im Herbst gewählt. Nicht in die Zentren soll es bei der Bus-Tour gehen, sondern vor allem in mittlere und kleine Städte, in denen sich SPD-Abgeordnete sonst selten sehen lassen.

Barley ist auch Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Europawahl. Die Bus-Tour sei davon unabhängig, versichern Fraktionsvertreter, doch Synergieeffekte sind willkommen. Kommt die Kampfansage der Europakampagne gegen den Vormarsch der Rechtspopulisten im Osten an, wo die AfD in vielen Bundesländern die SPD weit hinter sich gelassen hat und manche Sozialdemokraten darauf verzichten, ihr moralische Vorhaltungen zu machen, weil sonst Zuhörer verprellen?

„Die AfD hat nicht mal ein eigenes Rentensystem“

Der Bundestagsabgeordnete Zierke ist überzeugt, dass er die Wähler mitnehmen kann, wenn er die Partei Alexander Gaulands und Alice Weidels frontal attackiert. „Es interessiert auch, wenn ich sage, dass der Tourismus hier mit Europageld aufgebaut worden ist“, sagt er. Außerdem habe seine Partei noch ein im Osten sehr wichtiges Angebot, bei dem die rechtspopulistische Konkurrenz völlig blank sei: „Wir wollen die Grundrente, die AfD hat nicht mal ein eigenes Rentensystem zu bieten.“

Bevor der Stadtverordnete Schubert den Vizekanzler vor weiteren Fehlern der Bundes-SPD warnt, schlägt er ihm vor, den Mindestlohn von zwölf Euro sofort einzuführen. Sein Argument: Die Aufstockung von Niedrigrenten durch Sozialhilfe koste ebenfalls Geld. Scholz muss nicht bekehrt werden. „Es ist logisch, was sie sagen“, sagt er und verspricht: „Wir arbeiten dran.“

Was aber tun, um in einem Jahr mit drei Landtagswahlen im Osten als SPD wieder Boden unter die Füße zu bekommen? Zumindest Katarina Barley glaubt sich auf dem richtigen Weg. „Es gab keinerlei Kritik an konkreten politischen Inhalten oder Personen“, sagt sie, bevor sie wieder in ihr Auto steigt. Sie habe auf dem Marktplatz von Eberswalde erfahren, „dass es das Wichtigste ist, tatsächlich vor Ort zu sein und die Anliegen der Bürger aufzunehmen“. Wenn sich das Angebot der SPD tatsächlich in steigenden Prozentzahlen niederschlagen soll, muss der Bus der Bundestagsfraktion wohl noch in sehr vielen kleinen Städten Station machen.

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