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Die AfD-Fraktion im sächsischen Landtag.

© dpa

Mit voller Kraft gegen den Lockdown: Wie die AfD versucht, aus dem Corona-Tief zu kommen

Am Anfang der Corona-Krise schien die AfD verstummt. Jetzt profiliert sie sich als Partei gegen den Lockdown. Doch sie könnte Konkurrenz bekommen.

Stephan Brandner sitzt im rotkarierten Hemd am Rande einer Wiese. Für sein wöchentliches Video-Format hat sich der AfD-Vizechef ein Ausflugsziel in seinem Wahlkreis ausgesucht. Thema am vergangenen Freitag: die Corona-Maßnahmen. „Was macht dir im Moment am meisten Sorgen?“, fragt die Moderatorin, Brandners Mitarbeiterin. „Dass die Leute – dass wir – zu wenig aggressiv in die Auseinandersetzung reingehen“, sagt Brandner. „Dass wir uns von oben einfach alles diktieren lassen, was die Regierenden uns vorschreiben.“ Das sei eine Mischung aus Angst und Unterwürfigkeit. Plötzlich wird es laut im Hintergrund: die Müllabfuhr. „Ich hoffe, die lassen uns hier sitzen“, sagt Brandner. „Ich hoffe, die nehmen die Regierung mit“, meint die Moderatorin und lacht.

Am Anfang der Corona-Krise schien es, als sei die AfD verstummt. Große Teile der Bevölkerung, auch der AfD-Anhänger, unterstützten die weitreichenden Maßnahmen, mit denen die Ausbreitung des Corona-Virus eingedämmt werden sollte. In der Politik gab es kaum Diskussionen darüber. Die AfD tat sich währenddessen schwer zu einer gemeinsamen Linie zu finden. Die Umfragewerte sanken.

Doch mit zunehmender Debatte über die Einschränkungen veränderte die AfD ihren Kurs – und versucht nun, ihre Strategie aus Flüchtlingskrise und Klimadebatte auch auf die Corona-Krise zu übertragen. Das heißt unter anderem: Der Regierung diktatorisches Handeln zu unterstellen und sich selbst als die einzig wahre Opposition zu präsentieren.

Anfangs warnte Fraktionschefin Weidel vor dem Coronavirus

Wie sehr sich die Rechten anfangs schwer taten mit der Pandemie ließ sich gut im Bundestag beobachten. Zunächst verzichtete die AfD – anders als üblich – auf eine radikale Anti-Position. Fraktionschefin Alice Weidel hatte Anfang März vor den großen Gefahren durch das Coronavirus gewarnt. Damals verlangte sie schnelle Maßnahmen wie die Ausweitung der Behandlungskapazitäten in Krankenhäusern und das Schließen der Grenzen.

Ihre Kritik bezog sich vor allem darauf, dass die Regierung nicht entschlossen genug handele. Anfang April stimmte die AfD für mehrere Maßnahmen der Bundesregierung, die die ökonomischen Folgen der Corona-Krise abmildern sollten. „Zusammenstehen ist jetzt erste Bürgerpflicht“, sagte sogar Fraktionschef Alexander Gauland.

In den sozialen Netzwerken – dem wichtigsten Kommunikationsmedium der AfD – liefen die Beiträge der AfD zu Corona unterdessen schlecht. Hier punkteten die Rechten normalerweise mit Krawall. Den konnten sie in der Corona-Krise nicht liefern. Schließlich erzwang ein Teil der AfD-Fraktion eine Präsenzsitzung im Bundestag.

Unter den Abgeordneten hatte sich Unmut geregt über die mangelnde Präsenz der AfD in der Corona-Krise. Weidel war in der Sitzung nur per Telefon zugeschaltet – und hatte deshalb kein Stimmrecht. Anwesend waren dagegen diejenigen, die fanden, die Furcht vor dem Virus sei übertrieben. Sie waren schon während der Plenarsitzungen durch demonstratives Nichteinhalten der Abstandsregeln aufgefallen.

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Nach langer Diskussion beschloss die Fraktion schließlich ein Positionspapier, in dem verlangt wurde, die wirtschaftlichen Restriktionen und Grundrechtseingriffe zu lockern und wenn möglich ganz aufzuheben. „Der Beschluss wäre anders ausgefallen, wenn Frau Weidel und der Rest der Hysteriefraktion anwesend gewesen wäre“, stichelt ein AfD-Abgeordneter.

Der Vorwurf: Erst Unfähigkeit, dann Panikmache

Mit zunehmenden Debatten über eine schnelle Lockerung der Maßnahmen forderte nun auch die AfD immer lauter deren Aufhebung. Weidel, Gauland und die Parteichefs Jörg Meuthen und Tino Chrupalla verkündeten Ende April die Forderung: „Sofortige Wiederaufnahme des wirtschaftlichen Lebens!“

Die AfD sei zur „Anti-Shutdown-Partei“ geworden, titelte dann kürzlich die „Welt“ - und einige bei den Rechten heften sich das Label gerne an. „Die Maßnahmen werden millionenfache Armut erzeugen. Das ist jetzt der entscheidende Faktor“, meint AfD-Vizechefin Beatrix von Storch.

Fragt man Fraktionschefin Weidel, wie die neue Haltung zu ihrer frühen Warnung vor dem Virus passt, sagt sie, sie sehe da keinen Widerspruch. Die Forderungen der AfD seien verbunden mit der Beachtung der bekannten Hygienemaßnahmen.

„Wir sind davon überzeugt, dass wenn Abstandsregeln und Maskengebote beachtet werden, unsere Wirtschaft wieder hochgefahren werden sollte“, sagte sie vergangene Woche dem Tagesspiegel. Mit den diese Woche beschlossenen Lockerungen haben sich die Forderungen der AfD nun zum Teil überholt.

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Weidels Fraktionskollege Brandner geht aber noch einen Schritt weiter: Er behauptet, der Lockdown sei völlig überflüssig gewesen. Die Regierung habe anfangs verschlafen, rechtzeitig zu reagieren. „Und jetzt wird hektisch versucht, mit völlig übertriebenen Maßnahmen gegenzusteuern, Stärke zu demonstrieren und so das eigene Versagen zu vertuschen.“ Der Regierung erst Untätigkeit und dann Panikmache vorzuwerfen – für viele AfD-Abgeordnete ist das kein Problem.

Und auch wenn die AfD mit ihrem fortwährenden Drängen nach einer Aufhebung der Einschränkungen bei Weitem nicht alleine dasteht, tut sie das doch in einer anderen Tonlage als andere Parteien. Sie versucht das Ganze mit ihren üblichen Narrativen an ihre Anhängerschaft anzupassen.

AfD griff Vorlage von FDP-Chef Lindner auf

Schon in der Flüchtlingskrise bezeichnete die AfD Kanzlerin Angela Merkel als „Kanzlerdiktatorin“, die das „Volk völlig umkrempelt“. Auch in der Corona-Krise unterstellt die AfD der Regierung autoritäres Handeln gegen die Interessen der Bevölkerung. Als Beleg wird herangezogen, dass Kanzlerin Merkel im April vor „Öffnungsdiskussionsorgien“ warnte. Das sei „dieselbe demokratieverachtende Haltung, die wir von ihr aus der Euro- und Flüchtlingskrise bereits kennen“, wetterte AfD-Vizechefin von Storch damals. Davon, dass die AfD anfangs selbst vielen der Regierungsmaßnahmen im Bundestag zugestimmt hat, ist keine Rede mehr.

Wie in der Klima-Debatte pickt sich die AfD auch in der Corona-Krise vor allem die Wissenschaftler und Studien heraus, die zu ihren Forderungen passen. In einem Video nennt die bayerische Landesvorsitzende Corinna Miazga etwa den Stanford-Professor John Ioannidis, der mit einer methodisch umstrittenen Studie belegen wollte, dass die Sterblichkeit bei Corona nicht höher sei als bei Influenza. Oder den emeritierten Mikrobiologen Sucharit Bhakdi, der auf Youtube die Politik der Bundesregierung als Panikmache verurteilte.

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Die AfD tut so, als würden in der Corona-Debatte abweichende Meinungen von der Regierung unterdrückt – wie sie das eben auch in der Flüchtlings- und Klimadebatte bereits behauptete. Dankbar griff die AfD eine Corona-Vorlage auf, die FDP-Chef Christian Lindner an Ostern lieferte. 

„Mundschutz ja, Maulkörbe nein“, verkündete der damals – und suggerierte, es gebe die „Regieanweisung“ der Regierung, über Lockerungen nicht zu sprechen. Die sächsische AfD-Fraktion postete kürzlich ein Bild auf Facebook, auf dem alle ihre Abgeordneten einen Mundschutz in Deutschlandfarben tragen. „Einen Maulkorb lassen wir uns aber nie anlegen“, hieß es dazu.

Kippt die Stimmung?

Außerdem macht die AfD den Versuch, die Corona-Krise mit ihrem Kernthema Migration zu verbinden. Das ist etwa zu beobachten, wenn sie in Thüringen versucht, Christen gegen Muslime auszuspielen. Da verweisen die Rechten darauf, dass das Feiern des Osterfestes nicht möglich gewesen sei, „pünktlich“ zu Beginn des Ramadan zwei Wochen später seien aber Gottesdienste wieder erlaubt.

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Die Hoffnung der AfD ist, dass es in den Umfragen demnächst wieder bergauf geht. „Am Ende wird die AfD profitieren“, meint von Storch. Sie ist überzeugt, dass Menschen „zu hunderttausenden ihre Jobs verlieren“ werden und die Stimmung kippen wird. „Die Unterstützung für die Regierungspolitik wird schwinden, wenn das ganze Ausmaß der wirtschaftlichen Katastrophe deutlich wird.“

„Widerstand2020“: Konkurrenz von der Straße

Ob die AfD von einer Wirtschaftskrise profitieren würde: Politikexperten sind davon nicht überzeugt. Denn wenn Menschen in Umfragen gefragt werden, welcher Partei sie die größte Wirtschaftskompetenz zutrauen, nennen nur wenige die AfD. Dazu kommt, dass sich die AfD intern in Wirtschaftsfragen keineswegs einig ist.

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Erstmal muss sich die AfD aber mit einem anderen Problem auseinandersetzen: Sie könnte Konkurrenz bei ihren Anhängern bekommen. Im Umfeld der Straßen-Proteste gegen die Corona-Einschränkungen hat sich eine selbsternannte Partei namens „Widerstand2020“ gebildet.

Diese versucht, aus dem losen Verbund von Rechten, Linken, Impfgegnern, Esoterikern und Verschwörungstheoretikern, die bei den Protesten auf die Straße gehen, eine Bewegung zu machen und deren Unmut zu kanalisieren. Die Gründer selbst behaupten, „Widerstand2020“ sei „nicht rechts, nicht links, sondern frei“. De facto bedient sich die Bewegung aber populistischer Narrative. Und zieht auch Personen an, die sich normalerweise von der AfD vertreten gefühlt hätten - denen die Partei aber zu Anfang der Krise zu zahm war.

Kein Wunder, dass einige in der AfD versuchen wollen, auf der Straße mitzumischen und vom aufkeimenden Unmut zu profitieren. In Magdeburg etwa meldete die AfD Ende April eine Demonstration an. Dass auch hier Verschwörungstheorien verbreitet wurden, kam in der Parteiführung allerdings weniger gut an.

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