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Nicolas Maduro, Präsident von Venezuela, formt ein Herz mit den Händen bei einer Kundgebung.

© dpa

„Wer nicht wählen geht, wird nichts essen“: Wie in Venezuela die Armen erpresst werden

Die soziale Lage in Venezuela ist katastrophal, die Pandemie hat das Elend noch verschärft. Trotzdem muss Maduro die Wahl am Sonntag nicht fürchten.

Diosdado Cabello drohte offen und wütend: „Wer nicht wählen geht, wird nichts essen!“ Die Nummer zwei der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) sprach auf einer Wahlkampfveranstaltung im Bundesstaat Bolivar. „Über diese Person wird eine Quarantäne verhängt“, rief er weiter, „und es gibt keine Nahrung mehr!“

Cabello meinte die Lebensmittelpakete und andere Sozialleistungen, die von der Regierung von Präsident Nicólas Maduro seit 2016 verteilt werden, insbesondere an ihre treuen Anhänger. CLAP heißen diese Hilfen. Die Regierung nutzt sie regelrecht, um die notleidende Bevölkerung in den Gehorsam zu zwingen.

Am Sonntag wählen die Venezolaner ein neues Parlament und die Chavisten wollen unbedingt eine überzeugende Mehrheit der 277 Sitze gewinnen. Sie könnten sich dann als demokratisch rehabilitiert bezeichnen, ist ihr Kalkül, nachdem sie die Parlamentswahl 2015 klar gegen das Oppositionsbündnis „Tisch der Demokratischen Einheit“ (MUD) verloren hatten. Es war der erste wichtige Sieg der konservativen Opposition seit 1998.

Die drastische Drohung von Diosdado Cabello ist deswegen auch als Ausdruck der Sorge der Chavisten zu verstehen, dass wegen der wirtschaftlichen Misere nicht genügend ihrer Anhänger an die Urnen gehen könnten. Die soziale Situation der Venezolaner ist seit Jahren katastrophal, insbesondere auf dem Land. Sie wurde durch die Corona-Pandemie noch verschlimmert, auch wenn die 30 Millionen-Einwohner-Nation mit offiziell rund 900 Toten bisher davongekommen sein soll.

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Während aber nun die kleine Elite der chavistischen Nomenklatura und ihre Familien vor allem in der Hauptstadt Caracas in Saus und Braus leben, leiden viele Venezolaner Hunger. Es mangelt an allem: von Lebensmitteln über Medikamente bis hin zu Strom und einfachen Dingen des täglichen Bedarfs. Sogar das Benzin ist knapp und es gibt lange Schlangen vor den Tankstellen, obwohl Venezuela selbst enorme Ölvorkommen hat.

Iran sandte Öltanker

Zuletzt sandte der Iran mehrere Öltanker, um die Engpässe zu beheben. Der Iran gehört neben Kuba, der Türkei, China und Russland zu den wenigen Ländern, die Venezuelas Regierung noch anerkennen und unterstützen, letztere auch mit Waffen. Sie haben ein strategisches Interesse an einem „anti-imperialistischen“ Verbündeten vor der Haustür der USA.

Zur schlimmen wirtschaftlichen Situation kommen gravierende Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte. Ein Bericht der Vereinten Nationen detailliert außergerichtliche Hinrichtungen, Entführungen, willkürliche Verhaftungen und Folter. Der Terror betrifft mittlerweile auch ehemalige Chavisten, die sich kritisch über Maduro und die Situation im Land äußern. Die Revolution frisst ihre Kinder.

Trotz eines für viele Menschen horrenden Alltags ist nicht damit zu rechnen, dass die Opposition bei den Wahlen große Chancen hat. Es liegt daran, dass das Oppositionsbündnis MUD die Wahlen boykottiert. Ihr Anführer ist Noch-Parlamentsführer und Alternativ-Präsident Juan Guaidó. Er sagt, dass die Wahlen nicht frei und fair seien.

Boykottiert die Wahl in Venezuela: Juan Guaidó.
Boykottiert die Wahl in Venezuela: Juan Guaidó.

© REUTERS/Manaure Quintero

Stattdessen treten nun unterschiedliche kleine Parteien an, deren größte Avanzada Progresista ist. Ihr wird Opportunismus vorgeworfen. Sie liefere dem Maduro-Regime einen Vorwand, um von demokratischen Wahlen reden zu können.

Der Fall Juan Guaidó unterstreicht derweil, wie verworren die politische Lage in Venezuela ist. Nachdem Nicolás Maduro 2018 in umstrittenen und von Betrug begleiteten Präsidentschaftswahlen offiziell wiedergewählt worden war, erklärte das Parlament ihn zum Usurpator.

Das Militär steht fest hinter Maduro

Es ernannte statt Maduro Parlamentsführer Guaidó zum legitimen Staatsoberhaupt. Allerdings hatten die Chavisten schon zuvor das Parlament de facto entmachtet und eine verfassungsgebende Versammlung berufen, die unter dem Vorsitz von Diosdado Cabello tagt.

Guaidó wird seitdem zwar von den USA sowie 19 EU-Ländern anerkannt, darunter Deutschland, Frankreich und Spanien; im restlichen Amerika genießt er die Unterstützung Brasiliens, Kanadas, Kolumbiens und Chiles. Aber faktisch ist er ein Staatsoberhaupt ohne Staat. Die USA und die EU haben bereits angekündigt, dass sie die Parlamentswahl nicht akzeptieren werden. Die USA werden wohl auch unter einem Präsident Joe Biden an ihrem Wirtschaftsembargo gegen Venezuela festhalten. Sie beschuldigen hohe chavistische Funktionsträger sowie Militärs des Drogenhandels und der Geldwäsche.

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Die Chavisten scheint all das kalt zu lassen. „Es ist uns egal, ob die USA oder die EU unsere Wahlen akzeptieren“, sagte Vize-Präsidentin Delcy Rodríguez. „Sie sind nicht die Herren der Welt!“

Was die Wahl für die Zukunft von Guaidó bedeuten wird, ist unklar. Fest steht, dass er danach nicht mehr Parlamentspräsident sein wird – und damit dann auch nicht mehr Alternativ-Präsident sein kann? Er wird wohl weiter herumreisen und für sich und die Sache der venezolanischen Opposition werben.

Solange das Militär und der gesamte bolivarische Sicherheitsapparat fest zu Nicolas Maduro stehen – und nichts deutet auf etwas anderes hin – wird an dem ehemaligen Busfahrer mit Stalin-Schnauzer ohnehin kein Weg vorbei führen.

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