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"Mission accomplished"? SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sieht das so und kann loslassen.

© Leon Kuegeler/AFP

Schwesig, Kühnert, Klingbeil: Wer könnte Walter-Borjans an der SPD-Spitze beerben?

Nach zwei Jahren an der SPD-Spitze will Norbert Walter-Borjans bald aufhören. Die Partei reagiert gelassen. Nun ist der Weg für Jüngere frei.

Olaf Scholz schwebt über den Wolken, herrliches Sonnenlicht. Er wirkt nicht so, als würde die Eilmeldung, die Minuten nach seiner Landung in Rom aufploppt, irgendetwas an seiner geplanten Operation Kanzlerschaft ändern oder ihn beunruhigen. Der Bundesfinanzminister und Vizekanzler wird beim G20-Gipfel von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als ihr wahrscheinlicher Nachfolger präsentiert.

Zunächst stehen aber am Freitag Beratungen mit den G20-Finanz- und Gesundheitsministern an. Es geht darum, wie schneller Impfstoff an die Bürger in Entwicklungsländern verimpft werden kann.

Aber da platzt die Rückzugsankündigung von SPD-Chef Norbert Walter-Borjans herein. Der will nach zwei Jahren an der Spitze der Partei im Dezember nicht wieder antreten. Scholz lässt in Rom rasch von seinen Leuten verbreiten: Er selbst kandidiere definitiv nicht nochmal, eine Vereinigung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft in einer Hand wird es nicht geben. Dass nun ein Machtkampf drohen oder jemand übernehmen könnte, der ihm das Leben schwer macht, fürchtet Scholz nicht.

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Ausgerechnet in seiner Niederlage mit Ko-Kandidatin Klara Geywitz gegen Walter-Borjans und Saskia Esken bei der Bewerbung um den Vorsitz 2019 liegt der Ursprung des SPD-Wahlsiegs. Weil die beiden Vorsitzenden ihn für den geeigneten Kandidaten hielten und die Autorität hatten, ihn im linken Lager durchzusetzen, konnte die SPD den Wahlkampf mit einer lange nicht gekannten Geschlossenheit bestreiten.

Aber eine Rückzugsankündigung, während Scholz gerade auf internationaler Bühne glänzen will – ist das nicht wieder die alte Chaos-SPD? Es verhält sich anders: Scholz war vorab informiert, am Freitagabend wollte die nordrhein-westfälische SPD Walter-Borjans für die Wiederwahl auf dem SPD-Bundesparteitag nominieren. Da musste er sich zuvor erklären. Während Esken angekündigt hatte, wieder anzutreten, ließ der der Ex-NRW-Finanzminister das immer offen.

Sie können sich viele Sozialdemokraten an der Parteispitze vorstellen, falls Saskia Esken ein Regierungsamt übernimmt und aufhört: Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin in Schwerin.

© Jens Büttner/dpa

Seiner Heimatzeitung „Rheinischen Post“ erklärte er nun, dass er abtritt. Intern betont er in einem Brief an Parteipräsidium und Vorstand, der dem Tagesspiegel vorliegt: Er habe „nach reiflicher Abwägung eine Entscheidung getroffen“ und den NRW-Parteivorstand gebeten, auf seine Nominierung zu verzichten. Er tue das in dem guten Gefühl, „mit dazu beigetragen zu haben, dass es gut läuft“.

Gemeinsam habe man sich von der Überzeugung leiten lassen, „dass die Grundlage jeden Erfolgs darin besteht, in der Parteiführung zu einer Kultur des Vertrauens, des gegenseitiges Zuhörens und Ernstnehmens, aber auch der offenen Aussprache bei gleichzeitiger Diskretion zurückzukehren“. Neudeutsch ausgedrückt: „Mission accomplished“, sagt er.

Andere klammern sich an ihr Amt. Walter-Borjans aber gelingt ein souveräner, selbstbestimmter Abgang, der nach der Fraktion auch an der Parteispitze eine Verjüngung erlaubt. Wo früher sofort wild die Nachfolgeoptionen diskutiert und Finger gehoben worden wären, herrscht nun eine eher entspannte Stimmung. Scholz ist das beste Beispiel dafür.  Er braucht natürlich eine Parteiführung, die ihm den Rücken frei hält und schmerzhafte Kompromisse gerade im linken Lager durchsetzen kann. Aber die Frage soll in Ruhe und vor allem erneut im Team geklärt werden, heißt es.

Eine Option, die nun in der Partei häufig genannt wird: Saskia Esken wechselt in der Ampel-Koalition ins Kabinett, sie könnte für die Bereiche Frauen und Familie, Entwicklung oder ihr Lieblingsthema Bildung und Forschen in Frage kommen.

Viele in der SPD finden den Rat des scheidenden Parteichefs vernünftig, der sich für eine Trennung von Parteivorsitz und Regierungsamt auf Bundesebene ausspricht. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass dann die alte und bald wieder neue Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig, nach dem Vorsitz greifen könnte, zusammen mit dem schon jetzt in der Partei sehr einflussreichen Generalsekretär Lars Klingbeil. Schwesig ist 47, Klingbeil 43 – die SPD könnte von Verjüngung sprechen.

Würde ein Parteichef Kühnert ein Risiko für einen Kanzler Scholz?

Klingbeil würde aber gerne Verteidigungsminister werden, weshalb auch der Name Kevin Kühnert für den Vorsitz kursiert. Das wäre dann die nächste Volte in diesen etwas verrückten SPD-Jahren. Denn Kühnert war einst einer der größten Scholz-Gegner, wandelte dann aber seine Einstellung. Er hätte natürlich große Autorität, für Scholz unangenehme Dinge im linken Lager durchzusetzen.

Zugleich könnte er auch das größere Risiko sein. Möglich wäre, dass der linke Flügel unter seiner Führung eines Tages die Kompromisse leid wäre und Scholz herausfordert. Joe Biden erlebt gerade, wie schnell die Unterstützung des linken Parteiflügels wieder flöten gehen kann.

Wird schon als Verteidigungsminister gehandelt, aber auch als Nachfolger von Walter-Borjans an der Spitze der SPD: Generalsekretär Lars Klingbeil.

© Reuhl/imago images/Fotostand

Erklärtes Ziel der SPD ist in jedem Fall, dass es eine gemeinsame Teamlösung ohne Kampfkandidaturen werden soll. Die könnte es zeitlich parallel zur Einigung über einen Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen geben. Am 4. oder 5. Dezember könnte den ein SPD-Parteitag billigen, womöglich virtuell. Am 7. oder 8. Dezember könnte Scholz dann vom Deutschen Bundestag zum Kanzler gewählt werden.

Vom 10. bis 12. Dezember würde dann der reguläre SPD-Bundesparteitag folgen mit einer Rede des frisch gewählten Kanzlers, der Neuwahl der Spitze, großen Respektbekundungen für Walter-Borjans und, sollte sie nicht antreten, für Esken. Beide hatten sich im Wahlkampf zugunsten von Scholz zurückgenommen. Dessen Einfluss war, auch weil ihn Klingbeil den Laden entsprechend organisierte, auch ohne Amt an der Spitze der SPD größer als der mancher Parteichefs.

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