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Wie lange geht es weiter allen gut in den Altbauvierteln der Städte?

© Kai-Uwe Heinrich

Debatte um Entlastungspakete: Wer gibt, wer kriegt, was ist gerecht?

Die Mittelschicht wird durch Preisexplosionen bedrängt, die Politik stellt Hilfsmaßnahmen in Aussicht. Das rührt nicht nur am Selbstverständnis. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Sie stehen nie im Fokus, wenn es um geplante Be- oder Entlastungen geht, außer irgendjemand verspricht die Abschaffung der kalten Progression, die dann doch bleibt. Sie sind nicht gemeint, wenn es um sozialen Wohnungsbau geht, weil sie dafür zu viel verdienen, und auch nicht, wenn es um Erbschaftsteuer geht, weil sie dafür zu wenig haben.

Sie mogeln nicht bei Sozialleistungen und nutzen keine Steueroasen, weil sie von beidem zu weit entfernt sind. Sie profitieren nicht, wenn Hartz IV erhöht wird, und ebenso wenig von abgesenkten Spitzensteuersätzen.

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Die „arbeitende Mitte“ hat Finanzminister Christian Lindner sie genannt, als er seine Entlastungsideen für die aktuellen Krisenzeiten skizzierte. Er hat die beiden Worte in einem Atemzug mit den Geringverdienern benutzt und dabei ganz kurz gezuckt, als ahne er, dass er damit etwas Unerhörtes zu sagen im Begriff ist: dass nämlich die „arbeitende Mitte“ ein Fall für Hilfsmaßnahmen wird.

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Gründe für die neue Lage sind explodierende Energiepreise, allgemeine Lebensverteuerungen durch Inflation und das nach vielen Nullzinsjahren. Zusammen wirkt sich das nun auch in den Portemonnaies von Normalverdienenden aus, viele müssen viel mehr als bisher rechnen. Die Politik hat speziell ihnen nicht allzu viel Entlastung anzubieten.

Lindner stellte Steuererleichterungen für 2023 in Aussicht, doch mahnte die Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, umgehend, dass jetzt bloß nicht „Menschen, die genug Geld haben“, entlastet werden sollten. Was „genug“ meint? Wurde aus ihren Worten nicht klar. Aber das ist ein entscheidender Punkt.

Für unten und oben gibt es Sonderregeln - und für die Mitte?

Man kennt Umverteilung von oben nach unten (als eher gerecht empfunden) und von unten nach oben (eher ungerecht). Die Umverteilung aus der Mitte nach oben und unten hat kein Attribut, sie wird kaum je thematisiert. Aber für einen großen Teil der Bevölkerung dürfte es sich erneut genauso anfühlen: dass es um die Nöte von jenen weiter unten viel Getöse gibt und meist auch Geld da ist, und sich für die diskreteren Interessen von jenen weiter oben auch immer ein Fürsprecher findet.

Und dass sie die doofen Zahlmaxe in der Mitte sind, deren Belange nicht weiter interessieren.

Bisher haben sie das so hingenommen. Vielleicht, weil es – zwar teuer erkauft, aber dennoch – eine Art Freiheit vom Staat war. Vielleicht auch, weil der Begriff Mittelschicht, der sie sich zuordnen, eine komfortable Kuscheligkeit ausstrahlt. Doch die Kuscheligkeit ist ein Trugbild, wenn man sich die Kriterien anschaut.

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Eine immerhin von der OECD gestützte Definition zählt jene zur Mittelschicht, die von über 75 bis 200 Prozent des Medianeinkommens verfügen. Das ist nicht nur absolut in Eurobeträgen wenig, sondern auch relativ, wenn man bedenkt, dass bei 60 Prozent des Medianeinkommens die Schwelle zur Armutsgefährdung liegt. Der Abstand ist keine Komfortzone, sondern eine Fata Morgana. Die aktuelle Krise zeigt das.

Dass man eine Stütze ist und keine Stütze braucht, gehört zum Selbstbild

Außer Lindner hat auch Bundeskanzler Olaf Scholz unkonkret gebliebene Entlastungsmaßnahmen angekündigt. Unter anderem eine Wohngeldreform, damit künftig mehr Menschen als bisher zugriffsberechtigt sind. Soll man nun hoffen, dass ein Teil der „arbeitenden Mitte“ reinkommt in diesen erweiterten Kreis, damit zumindest der mal etwas zurückbekommt von den enormen Pflichtabgaben, die die Bruttobezüge der Mittelschicht allmonatlich kleinhacken?

Oder gerade nicht? Weil es mit mehr Sozialleistungen nicht getan ist – und damit zudem das keinesfalls triviale Selbstverständnis beschädigt würde, dass man Stütze ist und nicht Stütze braucht.

Wer gibt, wer kriegt, was ist gerecht? Es ist sicher nicht allein an der Politik, das zu klären, auch die Gesellschaft ist gefragt. Deutschland ist den Zahlen nach ein reiches Land. Aber die aktuelle und vermutlich längerfristige Preiskrise wird den Kreis jener wachsen lassen, die sich davon nicht mehr gemeint fühlen. Auch das ist keine gute Nachricht.

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