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Das Wahlrecht soll reformiert werden.

© Gregor Fischer/pa/dpa

Widerstand gegen Wahlrechts-Vorschlag der AfD: „Wer Direktmandate kappt, verstößt gegen die Verfassung“

Der Bundestag soll wieder kleiner werden. Die AfD schlägt vor, schwache Wahlkreissieger zu streichen. Die anderen Fraktionen machen das nicht mit.

Wie groß wird der nächste Bundestag? Die Frage ist weiter offen, denn die Wahlrechtsreform, mit der eine Aufblähung wie 2017 – aktuell hat das Parlament 709 Abgeordnete – kommt nicht voran. Demnächst wird zwar ein Gesetzentwurf von Linken, FDP und Grünen eingebracht. Die drei Fraktionen streben eine Parlamentsgröße an, die zwar auch nicht fest ist, aber in aller Regel deutlich unter 700 Abgeordneten liegen soll. Dazu wird die bisherige Mindestsitzzahl von 598 auf 630 angehoben und die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250 gesenkt. So sollen Überhänge von Parteien reduziert werden, die über die Erststimmenergebnisse in den Wahlkreisen mehr Direktmandate gewinnen als ihnen nach dem – für die Sitzverteilung im Parlament entscheidenden – Zweitstimmenanteil zusteht. Weniger Überhänge bedeuten weniger Ausgleichsmandate, mit denen der Parteienproporz wieder hergestellt wird.

Die Reform des Wahlrechts zur Verkleinerung des Parlaments wird scheitern, weil jede Partei das Vehikel nutzen will, um sich selbst Vorteile zu verschaffen. Sich selbst die Diäten zu erhöhen, geht deutlich einfacher, das funktioniert sogar in Berlin.

schreibt NutzerIn Gophi

Auch die AfD hat einen Vorschlag gemacht, wenn auch nicht in Form eines Gesetzentwurfs. Sie will eine feste Größe des Bundestags, genügen würden ihr auch 500 oder sogar nur 450 Abgeordnete. Bestätigt fühlt sich die AfD-Fraktion dabei vom Bund der Steuerzahler, dessen Präsident Reiner Holznagel ebenfalls 500 Mandate für ausreichend hält. In ihrem Antrag im Bundestag geht die AfD aber von der bisherigen Regelgröße mit 598 Sitzen aus. Die feste Größe soll garantiert werden, indem eine Partei in einem Bundesland „höchstens so viele Direktmandate erhält, wie es dem Zweitstimmenanteil der Partei in dem Land entspricht“.

Wen trifft die Kappung?

Dafür will die AfD Direktmandate quasi aberkennen – indem „diejenigen Bewerber, welche die relativ schlechtesten Ergebnisse erzielt haben, nicht zum Zuge kommen“. Entscheidend ist die Prozentzahl der Erststimmen. Treffen würde dieses Kappungsmodell stets Bewerber, die dort antreten, wo ihre Partei zwar den Wahlkreissieger stellen kann, sie aber nicht so stark ist wie in ihren Hochburgen. Ein Beispiel: Bei der Bundestagswahl 2017, als die CSU in Bayern sieben Überhänge hatte, wären alle Direktmandate der Partei in München, Nürnberg und Augsburg gekappt worden.

Alle anderen Parteien weisen den AfD-Vorstoß zurück. Der Linken-Wahlrechtsexperte Friedrich Straetmanns sagte dem Tagesspiegel, der Vorschlag „ist hanebüchen und erkennbar verfassungswidrig“. Straetmanns vertrat seine Fraktion in der von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) geleiteten Kommission, die eine Reform des Wahlrechts vorbereiten sollte, sich aber im Frühjahr ergebnislos auflöste. Am Zug sind nun die Fraktionschefs im Bundestag.

„Wahlangebot soll eindeutig sein“

Straetmanns sagt mit Blick auf die AfD: „Wer angeblich ein Jahr in der Wahlrechtskommission des Bundestags mitgearbeitet und auch aufgepasst hat, darf solch einen Vorschlag eigentlich nicht vorlegen.“ Warum die AfD aus seiner Sicht gegen das Grundgesetz verstößt, erklärt der Linken-Politiker so: „In der jetzigen Variante der personalisierten Verhältniswahl, die der Entwurf von Linken, FDP und Grünen beibehält, ist die Personalisierungskomponente mit der Mehrheitswahl im Wahlkreis verbunden. Wer den Wahlkreis gewinnt, hat ein Direktmandat. Dieses Wahlangebot sollte eindeutig und nachvollziehbar sein.“ Der AfD-Vorschlag bringe aber einen „Unsicherheitsfaktor“ ins Wahlsystem. „Wenn nur die starken und nicht alle Wahlkreissieger ein Mandat erhalten, wird dem Ausgangsprinzip der Mehrheitswahl nicht entsprochen. Und dieses Mehrheitswahlprinzip hat eine Grundrechtsgarantie. Wer es nicht umsetzt, verstößt gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Wahl.“

Es gibt ein Für und Wider

Straetmanns stützt sich auf Einschätzungen des früheren Verfassungsrichters Michael Gerhardt, der in der Schäuble-Kommission angehört worden war. Gerhardt war in seiner Zeit beim Bundesverfassungsgericht für die Wahlrechtsverfahren zuständig. Doch gibt es auch prominente Juristen, die ein Kappungsmodell für unproblematisch halten. So empfiehlt der frühere Präsident der Humboldt-Universität, Hans Meyer, ein solches Vorgehen. mit Kappung der nach Erstimmenprozenten schwächsten Direktmandate.

Insbesondere Überhänge der CSU sind problematisch, weil sie - je nach Wahlergebnis - im aktuellen Wahlsystem jeweils zehn bis zwanzig Ausgleichsmandate nach sich ziehen. Das Problem einer Regionalpartei mit Überhängen kann auch nach dem Vorschlag der Linken, FDP und Grünen dazu führen, dass ein Bundestag doch deutlich größer ausfällt als die angestrebten 630 Sitze. Die Union lehnt beide Vorstöße ab – den der AfD, weil CDU und CSU die allermeisten Direktmandate gewinnen, und den der drei Fraktionen, weil er die Wahlkreiszahl zu stark verringert. Im Bundestag ist man daher gespannt, mit welchem eigenen Vorschlag die Unions-Fraktion nun aufwarten will.

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