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Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch während der Fragestunde im Bundestag.

© John MacDougall/AFP

Die Kanzlerin stellt sich: Wenn Frau Moll nicht fragt, aber Frau Merkel antwortet

Die Kanzlerin stellt sich im Bundestag eine Stunde lang den Abgeordneten – und lobt dabei demonstrativ ihren Wirtschaftsminister Peter Altmaier.

Von Robert Birnbaum

Claudia Moll kommt nicht so oft zu Wort im Bundestag, und mit der Kanzlerin hat es die SPD-Frau aus Aachen überhaupt zum ersten Mal im Parlament zu tun. Der Präsident übt denn auch Nachsicht im Rahmen des Möglichen, als die gelernte Altenpflegerin ein ausgewachsenes Plädoyer für bessere Bezahlung und Bedingungen für Pflegekräfte abspult. Doch die Uhr tickt bei der Regierungsbefragung. Als sie schon länger rot zeigt, schneidet Wolfgang Schäuble der Abgeordneten dann doch mal das Wort ab. „Nein“, ruft Moll aus, „ich muss ja noch fragen!“ Da könne sie ihr wohl zu Hilfe eilen, sagt die Kanzlerin: „Ich glaube, ich hab’ Ihre Frage erahnt.“

Als Angela Merkel im vergangenen Sommer zum ersten Mal eine Stunde lang den Abgeordneten Rede und Antwort stehen musste, war das Format für beide Seiten aufregend. Beim dritten Mal an diesem Mittwoch ist vieles schon Routine. Aber nicht alles. Schäubles Versuche, die Fragen nach Themen zu sortieren, missfielen manchen Abgeordneten; deshalb ruft er diesmal streng in der Reihenfolge der Fraktionen auf. Das kostet freilich noch etwas mehr von der Spontaneität, die das große Vorbild in seinen besten Momenten erreicht – die Befragung der Premierminister im britischen Unterhaus.

Das Vorbild: Die "Prime Minister's Questions" in London

Theresa Mays letzte „Question Times“ zählten indes nicht zu den guten Momenten. Merkel ist praktisch gezwungen, den Brexit-Sondergipfel am Abend in Brüssel zum Thema ihres Eingangsstatements zu machen. Ihre Botschaft nach London ist zweigeteilt: Die Briten sollen noch einmal einen Aufschub bekommen, diesmal gleich über mehrere Monate mit einer Flexi-Klausel – sobald sie sich über den Ausstieg einig sind, dürfen sie gehen.

Aber die Kanzlerin will sicher sein, dass das Großbritannien in der Zwischenzeit nicht die Rest-EU sabotiert, um bessere Ausstiegsbedingungen zu erpressen: Die Institutionen der Gemeinschaft müssten weiter „ordnungsgemäß funktionieren“ und das Vereinigte Königreich versprechen, „konstruktiv“ mitzuwirken.

In der Befragung wiederholt sich dann das Schema der beiden ersten Kanzlerinnen-Stunden: Die Fragesteller der Union bleiben brav bei Merkels Thema, die anderen tragen Anklagen vor, meist oft brav entlang der Parteilieblingsthemen. Der AfD-Mann Tobias Peterka etwa schafft es, sogar die Frage nach dem neuen EU-Urheberrecht und den umstrittenen Uploadfiltern mit einem Schlenker zum Flüchtlingsherbst 2015 zu garnieren.

FDP-Chef Christian Lindner will in strengem ordnungspolitischen Ton wissen, ob die Kanzlerin in der Klimapolitik einen „kompletten Paradigmenwechsel“ hin zu Preisen für CO2-Ausstoss plant – das am gleichen Tag zum ersten Mal einberufene „Klimakabinett“, sagt Merkel, schaue sich das jedenfalls mal an: „Wir wären ja ignorant, wenn wir neueste Gutachten nicht aufnehmen würden.“

„Zwei kranke Truthähne ergeben keinen Adler“

So geht es weiter. Linken-Abgeordnete beklagen „explodierende Mieten“ und warnen vor einer neuen Großbank aus Deutscher und Commerzbank – „Zwei kranke Truthähne ergeben keinen Adler“, schimpft der Linke Fabio De Masi, was sich Merkel aber verbietet: So über die Institute zu reden „tut nicht gut“. Grüne beklagen eine „desaströse Bilanz“ der Klimapolitik und wollen von Merkel wissen, ob sie die Studie über die seelischen Folgen von Abtreibungen, die ihr Gesundheitsminister Jens Spahn plant, nicht auch überflüssig findet. Merkel findet ersichtlich eher die Frage überflüssig: Soll sie jetzt etwa dem Parteifreund in den Rücken fallen?

Auch Versuche, sie gegen den Wirtschaftsminister in Stellung zu bringen, scheitert an ihrer stoischen Antworttechnik: Sie sei Peter Altmaier sehr dankbar, dass er mit seiner Industriestrategie für deutsche und europäische Champions und seinen Zweifeln am Kartellrecht „einen Stein ins Wasser geworfen“ habe.

Und dann wäre da noch die Antwort auf die erahnte Frage der Abgeordneten Moll: Der Plan, Tariflöhne für die Pflegebranche zu fördern werde „nicht auf die lange Bank geschoben“. Moll will mehr: Man müsse das ganze Pflegesystem „vom Kopf auf die Füsse stellen“. Da wird Merkel aber doch leicht biestig: „Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.“

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