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Barbie-Puppen aus einer Sonderserie, die zum Internationalen Frauentag am 8. März nach Vorbildern aus aller Welt gestaltet wurden.

© dpa

Weltfrauentag 2019: Geschlechtergerechtigkeit in der Ära der Identitätspolitik

Ohne Demokratie keine rechtsstaatlich abgesicherte Geschlechtergerechtigkeit. Zum Frauentag ein Stück zum Nach- und Weiterdenken.

Von Caroline Fetscher

Mädchen oder Junge, darauf komme es ihnen nicht an. Angeblich wollen Herzogin Meghan und Prinz Harry, die britischen Königskinder, die ein Kind erwarten, dass ihr Nachwuchs, bisher als „Baby Sussex“ bekannt, „ohne Geschlechterklischees“ aufwächst. Soviel will das US-Magazin „Vanity Fair“ von Freunden der Schwangeren erfahren haben. Meghan habe das Wort „fluid“ verwendet, also von fließenden Geschlechtergrenzen gesprochen. Spielzeugautos und Puppenhaus würden dann nicht mehr Hellblau oder Rosa zugesellt, die herkömmliche Ordnung wäre gelockert.    

Offenbar wird auch im Palast der Ballast der Vergangenheit abgeworfen, zumindest bei der Fusion einer konstitutionellen Monarchie des Westens mit einer Person of Colour aus Kalifornien. Auch auf offiziellen Formularen demokratischer Rechtsstaaten setzt sich neben „Frau“ und „Mann“ identitätspolitisch ein drittes Geschlecht oder die Kategorie „divers“ durch. Zeitgleich schwillt die Gegenströmung des Neotraditionalismus an, der unter Vorzeichen wie „Nation“ und „Heimat“ an alten Symbolsystemen festhalten will.

Ob Annegret Kramp-Karrenbauers verrutschter Karnevalscherz über das dritte Geschlecht in dieser Gegenströmung treibt, scheint noch unklar. Glasklar hingegen sind rechtliche Rückschritte wie in Russland, wo 2017 männliche Gewalt gegen Frauen ein Stück weit entkriminalisiert wurde. Sind keine Knochen gebrochen, haben Schläge „nur“ Beulen oder Blutergüsse verursacht, drohen Männern jetzt zwei Wochen Haft statt, wie vorher, zwei Jahre. Indes lässt sich Saudi-Arabien dafür feiern, dass Frauen seit 2018 Autofahren dürfen. Und wie Donald Trump wird Brasiliens neuer Präsident für seinen Sexismus bejubelt, wenn er ausruft: „Ich sehe keinen Anlass für Feminismus!“    

Erheblich Reibung besteht zwischen den Strömungen, Beleg für ein ideologisches Labyrinth der Gegenwart, in dem die klassischen Ziele der Emanzipation unzeitgemäß wirken können: Gleiche Rechte, gleicher Lohn. In Deutschland wird dieses Jahr an 1919 erinnert, als Frauen zum ersten Mal wählen und gewählt werden konnten, vor hundert Jahren.

Eine der 37 Frauen unter den 423 Abgeordneten im Weimarer Parlament war Helene Weber, katholische Sozialpolitikerin, 1933 von Nationalsozialisten aus dem Amt geworfen. 1949 gehörte Weber, neben drei Frauen aus der SPD und 61 Männern zu denen, die das Grundgesetz erarbeiteten, das einer Initiative der Sozialdemokratin Elisabeth Selbert den Satz verdankt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Selbert war Anwältin, ein Beruf, der Frauen ab Dezember 1934 verboten wurde; die Nazis lehnten den „Einbruch in den altgeheiligten Grundsatz der Männlichkeit des Staates“ ab. 

Im ersten Bonner Bundestag 1949 saßen 28 Frauen, und Helene Weber, jetzt Abgeordnete der CDU, erklärte den 410 Herren und der Republik: „Der reine Männerstaat ist das Verderben der Völker!“ 1909 hatte Weber das Staatsexamen für das Lehramt abgelegt – ungewöhnlich, denn Professoren weigerten sich oft bis in die 1920er Jahre hinein, Frauen zu prüfen. Auch Universitäten waren „reine Männerstaaten“, das hatte Weber erlebt. An Schulen unterrichten durften lange nur unverheiratete Frauen, es galt das Lehrerinnenzölibat. Heirat bedeutete den sofortigen Verlust von Beruf wie Rentenanspruch. Die Zölibatsklausel war, mit kurzer Unterbrechung von 1919 bis 1923, bis 1951 in Kraft.

Auch heute sind die Abgeordneten im Bundestag zu 70 Prozent Männer

Heute sind im Bundestag noch immer 70 Prozent der Abgeordneten männlich, 490 von 709. Der Anteil an Frauen ging mit den vergangenen Wahlen - dafür sorgte die AfD - zum ersten Mal seit längerem zurück. Er fiel um gut sechs Prozent -  und das, obwohl seit 2005 eine Frau Kanzlerin ist und Gleichberechtigung weltweit auf der Agenda steht. Die aktuelle Reibung wird auch mitten in unserer Gesellschaft spürbar. 

Beim Tauziehen um Geschlecht und Gerechtigkeit sind zu beiden Enden des Seils neue, laute Kräfte aktiv, und das auf allen Kontinenten. Am reaktionären Ende zerren Neo-Traditionalisten ins vermeintlich ideale Gestern. Am kulturkritischen Ende ziehen die für Diversität Engagierten in ein kaum definiertes Ganzwoanders. Genuin politische Inhalte gehen in diesem  Kulturkampf verloren. Am rechten Ende verhärtet sich das Seil, am linken zerfasert es. Und der gesellschaftliche Boden, auf dem sich das Gerangel zuträgt, bebt, ein unsicheres Terrain mit ökonomischen wie sozialen Verwerfungen, die sich der Globalisierung und der Digitalisierung verdanken, der extrem „fluid“ gewordenen Weltwirtschaft.

Am 20. Februar 2019 stellten die Grünen den wackeren Antrag an den Bundestag, „feministische Außenpolitik konsequent umzusetzen“, da der Populismus weltweit „die Lage der Frauen zu verschlechtern droht.“ Tatsächlich kommen nicht einmal die Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich Geschlechtergerechtigkeit auf die Fahnen schreiben, einer akzeptablen Frauenquote nahe, konstatiert der Experte Burkhard Gnärig.

Am 8. März beginnt seine Kampagne „Fair Share“, die NGOs dazu bewegen will, eins der UN-Ziele für Nachhaltigkeit zu erfüllen: „Geschlechtergerechtigkeit und Ermächtigung aller Frauen und Mädchen bis zum Jahr 2030“. In den meisten internationalen Organisationen seien 70 Prozent der Angestellten weiblich, erklärt Gnärig, „aber 70 Prozent der Führungsriege männlich“, wie etwa beim Internationalen Roten Kreuz. Von Frauen geführt werden nur wenige der NGO-Riesen, darunter Oxfam.

Die zentrale Frage der Frauenrechte, das Gefälle bei Chancen, Gestaltungsmacht und Einkommen, gerät vor allem an Hochschulen in den Hintergrund. Dort, in den Zukunftswerkstätten demokratischer Gesellschaften, wird derzeit die westliche Welt auf ihre kolonialen und hegemonialen Spuren abgeklopft, von der Aufklärung über den Säkularismus und die universellen Menschenrechte bis zur Demokratie selber. Sogar der Einsatz gegen Verhüllungsgebote oder weibliche Genitalverstümmelung gilt oft als „westliche Arroganz“. Dass parallel für fluide Genderkategorien gestritten wird, die ohne Demokratie chancenlos sind, gehört zu den eklatanten Widersprüchen, die der ideologische Nebel tilgt.   

Entsolidarisierung ist der Effekt. Die Heimatfraktion kämpft, auch in Ungarn und Polen, in der Türkei und den Philippinen, für rückwärtsgewandte Utopien, für „Retrotopia“, wie der Soziologe Zygmunt Bauman es nannte. Der Film der Geschichte soll rückwärts laufen, bis die Frau wieder Frau, der Mann wieder Mann ist. Wer solchen Trends mit Identitätspolitik begegnen will, dringt heute vielleicht in den Buckingham-Palast vor, aber nicht nach Saudi-Arabien.  Frauenrechte, universelle Menschenrechte, werden nur in demokratischen Rechtsstaaten Wirklichkeit werden können. Das Bekämpfen frauenfeindlicher Politik braucht, wie zu Zeiten von Helene Weber, und mehr denn je, klares Engagement für Demokratie.

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