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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD)

© Reuters/Markus Schreiber

Ein Bundeshaushalt für das zweite Krisenjahr: Welche Bürde die Koalition der nächsten Regierung aufbindet

Mit einer geplanten Neuverschuldung von 400 Milliarden Euro gehen Union und SPD ins Wahljahr. Ein beträchtlicher Teil davon muss getilgt werden.

Der Bundeshaushalt für 2021 steht. In einer langen Nachtsitzung haben sich die Haushälter im Bundestag bis am Freitagmorgen  gegen fünf Uhr durch den Wust der Zahlen gekämpft, aus dem ein Etatplan besteht. Es war eine historische Sitzung. Er habe noch nie solche Veränderungen am ursprünglichen Entwurf erlebt, sagte der Chefhaushälter der Unions-Fraktion, Eckhardt Rehberg, der seit 15 Jahren im Parlament sitzt.

Fürwahr: Dass eine Regierung in die so genannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses mal eben eine Erhöhung der Neuverschuldung um fast 20 Milliarden Euro hineinschiebt, ist ungewöhnlich – und zeigt die Unsicherheit, die wegen der weiteren Folgen der Coronakrise für das nächste Jahr besteht.

Von etwa 160 Milliarden Euro an neuen Krediten war vor wenigen Tagen noch die Rede gewesen, das war schon deutlich mehr als im Regierungsentwurf aus dem September. Dort hatte eine Neuverschuldung von 96 Milliarden Euro gestanden. Nun sind es 179,8 Milliarden Euro. Wie kam es dazu?

Mehr für fast alle Ressorts

Die Antwort findet sich zum einen bei den Einnahmen – man rechnet weiterhin mit einem erheblichen Steuerminus  im kommenden Jahr wegen der Krise. Zum anderen aber in der Ausgabenplanung. Alle Ressorts bekommen etwas mehr Geld, außer die für Umwelt und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Auch bei der Bundesschuld konnte die Koalition etwas kürzen – weil die Zinsen weiterhin niedriger sind, als in der Planung angenommen.

Ein hohes Plus dagegen verzeichnet Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Er kann mit elf Milliarden Euro mehr rechnen, vor allem für  Mehrausgaben wegen der Coronakrise, etwa für FFP2-Masken und Impfstoffe. Und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) werden gut sieben Milliarden mehr zugeschossen, das meiste davon für eine Kapitalerhöhung der Bahn AG. Aufgestockt wurden nochmals die Mittel für Corona-Unternehmenshilfen – um zwei Milliarden auf 39,5 Milliarden Euro.

Ein üppiger Leertitel

Aber der größte Posten, der mittels neuer Kredite gedeckt wird, ist ein Leertitel: 35 Milliarden Euro legt sich die Koalition als eine Art Vorsorge zurecht, sollte die Epidemie 2021 doch schlimmer verlaufen als gedacht und mehr Kosten verursachen.

Das spießte die Opposition auf. „Wahlkampfetat“ – so nannte die Linke Gesine Lötzsch das Zahlenwerk. Der FDP-Politiker Otto Fricke sprach von einem „Freifahrtschein“ mit Blick auf die „globale Mehrausgabe“, wie die frei verfügbaren 35 Milliarden Euro im Haushälterdeutsch heißen. Der Grüne Sven-Christian Kindler hat Zweifel, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) so noch seine Finanzplanung hinbekommt. Der AfD-Abgeordnete Peter Boehringer meinte, nur das Ende des Lockdowns könne „haushalterisch dieses Land retten“.

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Wie das Geld  im kommenden Jahr verteilt wird, und ob man tatsächlich so viel braucht, ist unklar. Aber so hat sich die Koalition in der Nachtaktion sehr viel Spielraum verschafft. Der Grund: Union und SPD möchten partout vermeiden, in einigen Monaten einen milliardenschweren Nachtragshaushalt vorlegen zu müssen.

Eine Hypothek von 400 Milliarden Euro

Doch wie auch immer: Klar ist, dass die beiden Corona-Bundesetats in diesem und im kommenden Jahr eine mächtige Hypothek für künftige Regierungen sein werden. Addiert man die Soll-Ansätze für 2020 (etwa 218 Milliarden Euro) und 2021 (knapp 180 Milliarden), ergibt sich eine geplante Neuverschuldung in Höhe von fast 400 Milliarden Euro. Das geht nur, weil die Notfallregelung der Schuldenbremse genutzt werden kann.

Doch gehört auch zur Verschuldungsregelung im Grundgesetz, dass ein erklecklicher Teil dieser Summe getilgt werden muss. Das bedeutet, dass ab 2023 in jedem Etat tatsächlich einige Milliarden Euro als Ausgabeposten auftauchen. Bisher werden Schulden praktisch nicht getilgt, sondern immer wieder über neue Anleihen abgelöst, also quasi verewigt.

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Doch wie hoch wird diese Schuldenbelastung sein, die dann tatsächlich auch im Etat gelöst werden muss? Das kommt vor allem darauf an, ob die Kreditermächtigungen in diesem und im kommenden Jahr in vollem Umfang genutzt werden müssen. Bliebe es bei  der Soll-Gesamtsumme von 400 Milliarden Euro, wären es für 2020 etwa 120 Milliarden Euro, die zu tilgen sind. Und im gerade beschlossenen Etat sind es 164 Milliarden Euro. Die gut 280 Milliarden Euro gehen über das hinaus, was die Schuldenbremse bei einem Konjunktureinbruch wie 2020 und den Folgejahren ohne Notfallregelung zulässt.

Wie fällt das "Ist" aus?

Wie das „Ist“ in den Etats jedoch ausfällt, weiß man nicht. Der Bundesrechnungshof nimmt allerdings an, dass das Soll 2020 tatsächlich „um 50 oder sogar noch mehr Milliarden Euro“ unterschritten wird. Das liegt daran, dass Finanzminister  Scholz in seinen Nachtragshaushalten vom März und vom Juni vorsichtshalber deutlich mehr an Kreditermächtigungen veranschlagt hat, als er nun offenbar braucht. Anzunehmen ist, dass am Jahresende „nur“ 160 Milliarden Euro tatsächlich am Kapitalmarkt aufgenommen werden mussten. Dann wären ab 2023 etwa 60 Milliarden zu tilgen, auf 20 Jahre gestreckt (das ist schon beschlossen) wären das pro Jahr drei Milliarden Euro.

Die Tilgung der für 2021 geplanten Neuverschuldung läuft bisher auf zehn Milliarden Euro pro Jahr ab 2026 hinaus. Von diesem Jahr an müsste eine Regierung also etwa 13 Milliarden Euro pro Jahr für das Tilgen der Corona-Schulden einplanen.

Die Hälfte eines Berliner Jahresetats

Zum Vergleich: So viel bekommt die Bundesfamilienministerin derzeit pro Jahr für ihren Etat. Man könnte damit auch dreizehn Jahre lang selbst den aufgeblähten Bundestag finanzieren. Oder gut zwei Jahre das Auswärtige Amt mit dem gesamten diplomatischen Dienst Deutschlands.  Und noch ein Vergleich: Die Summe entspricht ungefähr dem Landesetat von Schleswig-Holstein oder knapp der Hälfte des Haushalts der Bundeshauptstadt Berlin.

Wo das Geld für die Tilgungsraten einmal herkommen soll, ist unklar – die Finanzplanung reicht nur bis 2024. Ungewöhnlich saftig fiel am Freitag  die Bewertung des Bundesrechnungshofes aus.  Die Erhöhung der Bundesschuld um fast ein Drittel in zwei Jahren sei ein „einmaliger Vorgang“. Nicht alles an dem Etat sei nachvollziehbar. „Ein Bemühen, die Kreditaufnahme auf das notlagenindizierte Maß zu begrenzen, ist nicht erkennbar“, heißt es in der Stellungnahme. Haushaltsreserven würden nicht genutzt. Tatsächlich sitzt die Regierung auf einer Rücklage in Höhe von 48 Milliarden Euro. Aber die wird schon zum Stopfen von Löchern in den nächsten Etats gebraucht.

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