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Der serbische Präsident Aleksandar Vucic spricht erwartungsvoll vom Treffen mit der Bundeskanzlerin.

© REUTERS/Gonzalo Fuentes

Die Kanzlerin reist auf den Westbalkan: Weiter warten auf Europa

Angela Merkel reist auf den Westbalkan, wo ihr Lobeshymnen gewiss sind. Dabei fällt ihre Bilanz hier mager aus: Die EU-Erweiterung steht still.

Zumindest in der Fremde wird die scheidende Bundeskanzlerin noch gefeiert. Der Besuch von Angela Merkel sei „eine große Ehre“, versichert Serbiens Präsident Aleksandar Vucic vor deren am Montag in Belgrad beginnenden Westbalkan-Tour: „Wir werden nie vergessen, wie viel sie uns geholfen hat.“ Als Frau, „die mit kühlem Kopf die Probleme Europas löste“, feiert die Belgrader Zeitung „Blic“ die Besucherin.

Lobeshymnen ihrer Gastgeber sind Merkel bei einer ihrer letzten Dienstreisen gewiss. Doch die Bilanz ihrer Westbalkan-Politik fällt angesichts des betriebenen Aufwands bescheiden aus. Der Prozess der EU-Erweiterung ist völlig ins Stocken geraten. Peking, Moskau und Ankara haben das durch das erlahmte EU-Interesse an der Region entstandene Machtvakuum genutzt. Die Ermattung in der EU-Dauerwarteschleife geht mit der Erstarkung autoritärer Tendenzen, Pressegängelung und der Aushebelung der Gewaltenteilung einher. Statt Aussöhnung sind unversöhnliche Abrechnungen und am Köcheln gehaltene Dauerspannungen Trumpf.

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Die ausländischen Direktinvestitionen steigen zwar. Doch von einer Angleichung der Lebensverhältnisse kann kaum die Rede sein. Allenfalls als verlängerte Werkbank westlicher Konzerne ist der ausgeblutete EU-Vorhof wegen seiner kostengünstigen und noch verfügbaren Arbeitskraft gefragt. Die Entwicklungs- und Wohlstandskluft nimmt zu, der Emigrationsaderlass der Fachkräfte stets größere Ausmaße an: Statt sich der EU anzunähern, scheint sich der Westbalkan immer weiter von ihr zu entfernen.

Das Bemühen ist Merkel kaum abzusprechen. Sie war die Mutter des „Berliner Prozess“, der die EU-Integration der sechs Anwärter zu unterstützen sucht. Zwar pflegten die Balkan-Regenten die seit 2014 jährlich abgehaltenen Westbalkan-Konferenzen stets gerne zu propagandistisch kräftig ausgeschlachteten PR-Fotos mit Merkel zu nutzen. Doch ihr „balkanisches Erbe“ hat trotz ihres eifrigen Ackerns auffällig wenig Ertrag gebracht.

„Vertragt Euch“, war ihre hilflos wirkende Botschaft beim Westbalkan-Gipfel von Sofia im Vorjahr. Doch das Merkel-System einer auf Zeit spielenden Politik des Dauerdialogs und der kleinen Schritte sollte in der Region der unvergessenen Kriege an seine Grenze stoßen.

Einige der früheren Gesprächspartner Merkels sind ins Visier der Justiz geraten

Es sind eher die EU-Mittel als europäische Werte und eher die Sehnsucht der Wähler nach Europa als eigene Überzeugungen, die die geschäftstüchtigen Politiker zumindest rhetorisch entschlossen auf die EU-Karte setzen lassen. Der tiefe Fall von Kroatiens Ex-Premier Ivo Sanader, der wegen Korruption hinter Gittern landete, hat ihnen die Folgen einer konsequenten EU-Annäherung drastisch vor Augen geführt: An rechtsstaatlichen Verhältnissen haben sie oft keinerlei Interesse. In der Merkel-Ära hat Berlin zwar stets den ehrlichen Makler einer EU-Erweiterung gemimt, doch es in entscheidenden Momenten – genauso wie andere EU-Mitglieder – an der nötigen Konsequenz vermissen lassen: Innenpolitische Rücksichtnahmen waren oft wichtiger als das verkündete, aber bei der eigenen Wählerklientel sehr unpopuläre Erweiterungsziel.

Laut beklagt Berlin beispielsweise Bulgariens Blockade von Nordmazedoniens Beitrittsmarathon. Doch im Juni 2019 war es die CDU, die nach der mühsam durchgeboxten Umbenennung des mazedonischen Landesnamens als Erster auf die Erweiterungsbremse trat, mehr Zeit forderte – und Skopje den verdienten Lohn für die demonstrierte Kompromissbereitschaft versagte: Der beste Moment, die jahrelang von Athen blockierte EU-Integration des Vielvölkerstaats endlich auf den Weg zu bringen, war verpasst.

Einige der früheren Gesprächspartner Merkels, wie der Kroate Sanader, der mazedonische Ex-Premier Nikola Gruevski oder Kosovos Ex-Präsident Hashim Thaci, sind mittlerweile ins Visier der Justiz geraten. Dass sie mit jedem Amtsträger den Austausch suchte, ist der Realpolitikerin kaum anzukreiden. Oppositionelle warfen ihr jedoch das allzu enge Fraternisieren mit autoritär gestrickten Würdenträgern vor. So ließ sich Merkel als Wahlhelferin vor fast jedem Urnengang mit Serbiens Vucic ablichten – und pries ihn für seine „Reformen“.

Auch angesichts des populistischen Dauergepolters der eigenen Ränkeschmiede haben viele Bewohner der Rückstandsregion die sachlich-ruhige Art von Merkel stets als Sinnbild einer von ihnen vermissten Normalität geschätzt. Doch auch sie hat in Sachen Erweiterung wenig erreicht: Eher ihre Person als ihr politisches Vermächtnis dürfte in Europas Wartesaal in Erinnerung bleiben.

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