zum Hauptinhalt
Schießen auch bei jeder Übung scharf - Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK)

© picture alliance/Franziska Kraufmann/dpa

Jahresbericht der Wehrbeauftragten Eva Högl: Wehrbeauftragte fordert "absolute Transparenz" über KSK-Munition

Eine Munitionsaffäre belastet das KSK. Die Wehrbeauftragte befürchtet Schaden für die Reform der Elitetruppe.

Von Robert Birnbaum

Nein, sagt die Wehrbeauftragte, von einer Amnestie für gehortete Munition war nie die Rede. Eva Högl war im vorigen Jahr mehrfach beim Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw. Sie hat ausführlich mit KSK-Chef Markus Kreitmayr gesprochen, auch über die gravierenden Lücken in der Munitionsbuchhaltung der Spezialkräfte. „Das Thema Amnestie, diese ganze Aktion, ist niemals angesprochen worden“, sagt Högl.

Umso wichtiger sei jetzt „absolute Transparenz“. Denn die Vorwürfe belasteten die Reform der Eliteeinheit erheblich.

Die Vorwürfe, die vor allem Wehrexperten der Opposition erheben, sind so massiv wie der Vorgang selbst bisher undurchsichtig.

Klar ist, dass die KSK-Führung im vorigen Frühjahr eine Sammelaktion für „Fundmunition“ abgehalten hat: Wer solches Material bis April in bereitgestellte Container bringe, habe keine Konsequenzen zu befürchten.

Das Verfahren ist bei anderen Nato-Streitkräften üblich, etwa in den USA. In der Bundeswehr wird es, etwa auf Truppenübungsplätzen, gelegentlich informell praktiziert. Beim KSK nahm die Rückgabe allerdings nach Recherchen von NDR und MDR größere Ausmaße an: Mehrere zehntausend Schuss lagen am Ende in den Containern, auch Handgranaten waren dabei – allesamt scharf, da das KSK grundsätzlich keine Übungsmunition verwendet.

Die Aktion wurde vor Gericht publik

Zusätzlich brisant wird die Aktion dadurch, dass sie durch die Aussage eines KSK-Soldaten publik wurde, der sich in Leipzig wegen Verstößen gegen das Waffengesetz verantworten muss. Der Mann, bei dem auch rechtsextremes Material gefunden wurde, hatte ein Sprengstoff- und Waffendepot in seinem Garten vergraben. Er habe damals, erzählte er vor Gericht, von der Rückgabemöglichkeit in seiner Einheit keinen Gebrauch gemacht.

Högl ist am Dienstag eigentlich in die Bundespressekonferenz gekommen, um ihren ersten Jahresbericht als Wehrbeauftragte des Bundestages vorzustellen. Doch der aktuelle Vorgang überlagert die 150 Seiten Pleiten, Pannen und – auf der Positivseite - Pandemiehilfe, obwohl die SPD-Politikerin zur Aufklärung mangels eigener Erkenntnis nicht beitragen kann.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Sie findet die Fragen an alle Beteiligten allerdings berechtigt – an den Kommandeur, aber auch an die Verantwortlichen im Bendler-Block bis hinauf zur Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Hat Brigadegeneral Kreitmayr den Vorgang verschwiegen – oder verschwand er irgendwo auf dem Aktenweg zu dem durchaus hoffnungsvollen Zwischenbericht über die Reform des KSK, den Generalinspekteur Eberhard Zorn im vorigen November abgab? Högl merkt dazu an, ihr sei damals schon aufgefallen, dass in dem Report rund 13.000 Schuss Munition als irgendwie aufgetauchter „Überbestand“ vermerkt sind, ohne dass klar wurde, wo die auf einmal herkamen.

Ehrenerklärung vom Bundeswehrverband

Der laxe Umgang mit Munition in Calw, wo die Bestände noch mit Karteikarten verwaltet werden, ist eigentlich nur ein Nebenaspekt der KSK-Reform. Die hängt allerdings sehr stark an Kreitmayr, der den Neubeginn in einem offenen Brief selbst angestoßen hatte und von Kramp-Karrenbauer zum Chef-Reformer vor Ort gewählt wurde. Als in Berlin die Parole umging, der General sei jetzt nicht mehr zu halten, warf sich der Bundeswehrverband mit einer Ehrenerklärung für ihn in die Bresche: Kreitmayr sei ein äußerst integrer Offizier, erklärte Verbandschef Andre Wüstner und warnte Kramp-Karrenbauer davor, ohne umfassende Aufklärung schnell ein Bauernopfer zu suchen. Wüstner erinnerte bei der Gelegenheit an die Vorgängerin Ursula von der Leyen, die es sich mit solchen Aktionen nachhaltig mit der Truppe verdorben hatte.

Eine Entscheidung war bis dahin nicht gefallen. Sie ist auch schwierig. Einerseits verstärkt die Munitionsaktion den Eindruck, die geheime Kommandotruppe habe es mit dem Eigenleben übertrieben. Andererseits geht es bei den Vorwürfen, wegen derer Kramp-Karrenbauer das KSK sogar mit der Auflösung gedroht hatte, um sehr viel Schwerwiegenderes: den rechtsextremen Ungeist, der sich in Calw über Jahre ungehindert entwickelt hatte.

An diesem Punkt bescheinigt Högl dem KSK große Fortschritte. Sie konnte im vorigen Jahr bei der Aufnahmeprüfung dabei sein. Die charakterliche Eignung der Kandidaten, berichtet sie, werde inzwischen noch intensiver überprüft als bisher schon. Die Wehrbeauftragte plädiert in dem Jahresbericht deshalb nachdrücklich dafür, der Eliteeinheit eine neue Chance zu geben.

Anstieg rechtsextremer Vor- und Verdachtsfälle

Sorgen macht ihr da eher der Anstieg der rechtsextremen Vorfälle in der übrigen Bundeswehr – auf 229 Meldungen nach 197 im Vorjahr. Der Militärgeheimdienst MAD verzeichnete 477 neue Verdachtsfälle, auch das ein Anstieg von 363 Fällen im Jahr 2019. Die Truppe müsse die Staatsbürgerkunde verstärken. Zugleich fordert die Wehrbeauftragte mehr Personal für die Dienstgerichte und den Militärgeheimdienst MAD für raschere Verfahren und bessere Aufklärung.

Die Mängel und schleppenden Beschaffungsverfahren beim Material nennt sie ein „bleibendes Ärgernis“, den Personalmangel besorgniserregend – rund 20.000 Männer und Frauen fehlen oberhalb der Mannschaftsdienstgrade, in Fachgebieten wie Sanität oder IT-Berufen sind die Lücken nach wie vor besonders auffällig. Dabei habe die Truppe im Pandemieeinsatz beeindruckend gezeigt, was sie könne. „Sogar die Militärmusik war am Start“ mit Corona-Konzerten für Altersheime.

Insgesamt müsse dem Kriseneinsatz allerdings eine kritische Analyse der deutschen Fähigkeiten und Strukturen für Katastrophenfälle folgen, fordert Högl. Und noch etwas liegt ihr am Herzen, diesmal als Mahnung an die eigene Partei: Nach mehr als zehn Jahren der Debatte brauche die Bundeswehr jetzt endlich bewaffnete Drohnen. Der Bundestag habe es schließlich in der Hand, dafür zu sorgen, dass diese Waffen nur zur Selbstverteidigung der Soldaten benutzt würden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false