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Die Koalition streitet um Paragraf 219a.

© Silas Stein/dpa

Abtreibung und Politik: Was man wissen dürfen muss

Es soll keinen Markt für Abtreibungen geben, keine Sonderangebote. Aber Information muss es geben. Letztlich geht es um einen Kompromiss. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Die Koalition steht, wieder einmal, vor der Existenzfrage. Diesmal geht es um das Werbeverbot für Abtreibungen. Die SPD will das Verbot möglichst streichen, die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer verweigert das mit Hinweis auf das Christliche im Namen, die Opposition wirbt für Abstimmen ohne Fraktionszwang. Schwangerschaftsabbrüche sind ein Thema, das sich, wie Migration, jederzeit in einer Weise politisch aufladen lässt, dass sich Gesellschaften zerstreiten. Droht hier der nächste Crash?

Die Fallzahlen sind überschaubar. Sie resultieren aus Strafanzeigen von Anti-Abtreibungs-Aktivisten gegen Ärztinnen und Ärzte, die die Konfrontation wenn nicht gesucht, dann mit einiger Bereitschaft gefunden haben. Klar, man kann das dramatisieren: Als Schicksalsfrage weiblicher Selbstbestimmung etwa oder als Akt zur Überwindung nationalsozialistischen Erbes, aus dessen Zeit die Vorschrift kommt, ohne jedoch mit ihr verbunden zu sein. Man kann das alles aber auch lassen und das Gesetz im Konsens behutsam modernisieren, ohne dass sich eine Seite als Sieger über die andere feiert oder im Bundestag Gewissensabstimmungen zelebriert werden.

Ob es anders kommt, liegt auch in der Verantwortung der SPD. Denn gefährlicher für die Koalition als der Streit, wer die Union in die nächsten Wahlen führt, ist eine SPD auf Themenjagd. In der falschen Annahme, die richtigen Akzente zu setzen, hatte sich die Partei bereits in der schon wieder vergessenen Debatte um den Ex-Verfassungsschützer Maaßen ins Aus manövriert. War der Fall bedeutend genug, um die Regierung zu riskieren? Eher nicht. Seitdem verfestigt sich der Eindruck, dass die Sozialdemokraten, um wahrgenommen zu werden, auch Unwichtiges wichtig nehmen.

Der ethische Konflikt ist nicht zu lösen

Doch so wichtig ist es nicht. Es handelt sich hier um eine gesetzliche Ausprägung eines ethischen Konflikts, der nicht zu lösen ist. Schwangerschaftsabbrüche sind eine unter Umständen straflose Straftat in der Grauzone des Gesetzes. Mancher sieht das als vermurkst an, andere finden es frauenfeindlich, wieder andere kritisieren, Embryonen würden zur Tötung freigegeben. Fest steht: Es ist ein Kompromiss, der bisher dazu getaugt hat, Frauen in Notlagen zu helfen, ohne Grundwerte zu verraten; denn es kann kein Zweifel bestehen, dass der Staat menschliches Leben zu schützen hat, auch ungeborenes.

Deshalb ist es bei Strafe verboten, für Abtreibung zu werben. Es soll keinen Markt geben, keine Sonderangebote, und, auch dies wäre denkbar, keine Internet-Vermittlungsportale wie bei Hotels oder Reisen. Man muss nicht katholisch sein, um die Abwesenheit derartiger Geschäftspraktiken als sittlich vorteilhaft zu empfinden. Andererseits: Sicherstellen ließe sich dies auch ohne die Keule des Strafrechts, etwa, indem man es als Ordnungswidrigkeit ahndet. Oder im Strafgesetz wird geklärt, dass nur werbliche Auswüchse bestraft werden, während das bloße Informieren sanktionslos bleibt.

Ohne Information geht es nicht. Die Länder stehen in der gesetzlichen Pflicht, ein – so wörtlich – ausreichendes Angebot an Kliniken und Ärzten vorzuhalten. Also sind sie auch in der Pflicht, darüber aufzuklären. Womit spätestens offenkundig wird, dass der Staat eine Information, die er selbst leisten muss, anderen schlecht vorwerfen kann. Es kann daher, wie oft, nicht um Recht und Unrecht gehen; sondern nur um einen Kompromiss.

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