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Das Verfassungsgericht hat dem Parlament eine Mahnung geschickt.

© Michael Kappeler/dpa

Was bedeutet die Karlsruher Entscheidung zum Wahlrecht?: Eine klare Ansage an den Bundestag

Das Bundesverfassungsgericht gibt dem Gesetzgeber die letzte Chance, eine vernünftige Reform des Wahlrechts hinzubekommen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Albert Funk

Auf den ersten Blick könnte man enttäuscht sein. Das Bundesverfassungsgericht hat den Eilantrag von FDP, Linken und Grünen gegen die schwarz-rote Wahlrechtsreform abgelehnt. Und es scheint so zu sein, wieder auf den ersten Blick, dass die Richter es sich dabei etwas einfach gemacht haben. Zwar gestehen sie zu, dass es durchaus Gründe für eine einstweilige Anordnung gegen das Wahlgesetz gibt. Aber in der Abwägung spreche mehr dafür, die Wahl am 26. September auf der Basis des geltenden Rechts laufen zu lassen.

Nicht zuletzt deshalb, so lässt sich das Gericht deuten, weil es mit Blick auf die Aufblähung des Bundestages gar nicht darauf ankommt, ob nun das neue oder das alte Wahlrecht gilt. In beiden Fällen ist nach aktuellen Prognosen mit noch viel mehr Abgeordneten zu rechnen als jetzt schon im Parlament sitzen. 598 Sitze ist die Mindestgröße, 709 Mandatsinhaber hat der aktuelle Bundestag, im kommenden könnten es mehr als 800 sein.

Aber müsste da ein Verfassungsgericht nicht einschreiten? Nun ja, Übergröße allein ist noch nicht verfassungswidrig. Es geht primär eher um andere Gebote als die Arbeitsfähigkeit des Parlaments. Aber kann es sein, dass das Gericht auch die auf Verlangen der Unions-Fraktion eingefügten drei ausgleichslosen Überhangmandate zulässt? Sie verzerren den Parteienproporz, was mit Verhältniswahl eigentlich nichts zu tun hat. Das Gericht sieht das durchaus – und verweist darauf, dass es einer guten Begründung bedarf.

Die Richter sehen Klärungsbedarf

Ist das also eine Niederlage für die Opposition? Eine Bestätigung für CDU, CSU und SPD? Mitnichten. Liest man die Entscheidung genauer, liegt die Interpretation näher, dass die Richter im Zweiten Senat dem Gesetzgeber nur zugestanden haben, sich nach der Wahl zügig auf ein besseres Wahlrecht zu besinnen – bevor er im Hauptsacheverfahren möglicherweise aus Karlsruhe dazu gebracht werden muss. Immerhin schreiben die Richter, dass sie es „unabhängig vom Vortrag der Antragstellerinnen und Antragsteller“ (also der Abgeordneten der drei Fraktionen) für klärungsbedürftig halten, ob das Gesetz den verfassungsrechtlichen Anforderungen „insbesondere an die Klarheit und Verständlichkeit der Rechtsnormen“ genüge. Das ist schon eine deutliche Ankündigung.

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Dass das deutsche Wahlrecht – die personalisierte Verhältniswahl – mit jeder Reform nicht besser, sondern schlechter, weil noch komplexer geworden ist, lässt sich ja nicht übersehen. Den Appell, es mit der Klarheit des Gesetzes ernst zu nehmen, hat das Gericht schon in frühere Entscheidungen geschrieben. Dass es nun andeutet, diese Position im weiteren Verfahren möglicherweise in den Mittelpunkt zu stellen, ist mehr als ein Stupser. Es läuft auf die Forderung hinaus, zügig eine echte Wahlrechtsreform anzugehen und nicht mit peinlichem Herumschrauben am bestehenden Recht die Sache immer schlimmer zu machen. Das aber war das traurige Ergebnis der wahlrechtlichen Murkserei der Groko, die ein Tiefpunkt der jüngeren Parlamentsgeschichte war.

Der nächste Bundestag muss das nun angehen. Und zwar rasch. Vor allem die Unions- Fraktion als Bremserin jeder echten Reform hat aus Karlsruhe eine klare Ansage bekommen. Wenn es aber mehr Klarheit und Einfachheit im Wahlrecht braucht, dann muss das Parlament bereit sein, auch neue, andere Wege zu gehen. Denn die bisherige Form der personalisierten Verhältniswahl ist schon längst nicht mehr vernünftig reformierbar.

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