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Glücklich über seine Impfung: Hochrisikopatient Benni Over

© dpa

Bundesweiter Präzedenzfall?: Warum ein 30-Jähriger jetzt schon geimpft wurde

Der junge Hochrisikopatient Benni Over und seine Eltern sind dank Malu Dreyer jetzt schon an eine Corona-Impfung gekommen. Ein Fall mit Signalcharakter.

Es ist eine Einzelfallentscheidung, die nachhallen wird. Der lebensbedrohlich erkrankte 30-jährige Benni Over und seine Eltern sind auf Betreiben der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer gegen das Coronavirus geimpft worden. Overs Fall zeigt, wie komplex das Thema ist. Er leidet unter schleichendem Muskelschwund (Muskeldystrophie Duchenne), sitzt seit 20 Jahren im Rollstuhl und wird seit vier Jahren zusätzlich beatmet. Eine Corona-Infektion wäre womöglich tödlich für ihn.

Daher stellten er und seine Eltern eindringlich die Frage: Ist die von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) per Verordnung festgelegte Impfpriorisierung nicht ungerecht? Eigentlich wäre Over erst in Impfgruppe 3 dran gewesen, das hätte sich bis zum Sommer hinziehen können. Nachdem der Tagesspiegel im Dezember über den Kampf von Benni Over und seinen Eltern berichtet hatte, boten mehrere ältere Leser an, ihre frühere Impfung ihm abzutreten. Eine Krankenschwester auf einer Covid-Station in Thüringen schrieb: „Wir werden wahrscheinlich mit als Erste geimpft werden und ich würde gern meine Impfdosis an Benni weitergeben.“ Andere wiederum kritisierten, dass es hier keine Vorzugsbehandlung geben dürfe. Eine Leserin sprach von Betroffenenheitsegoismus. „Wo kommen wir hin, wenn jeder einzelne eine vorrangige Impfung bei Herrn Spahn einfordert.“

Die Familie, die in Niederbreitbach im Landkreis Neuwied wohnt, argumentiert, sie sei quasi als ein Pflegeheim zu behandeln, mit den Eltern als Pflegekräften, seit März sind sie in Dauerquarantäne. Aus Angst vor einer Infektion wollte die Familie seither keine Pflegekräfte mehr von außen ins Haus lassen, ihr Sohn gehört der Pflegestufe 5 an. In den letzten Wochen schrieben sie hunderte Abgeordnete im Landtag und im Bundestag mehrfach an, die erste Email hatte die Überschrift „Hilferuf“ und die zweite die Überschrift „Hilfeschrei“, berichtet Vater Klaus Over. Zusätzlich verschärft wurde die Lage durch einen Notfall mit ihrem Sohn rund um Neujahr, weil er beim Absaugen ständig blutete und seine Luftröhre möglichst bald untersucht werden muss.

„Eine blanke Horrorvorstellung für uns nach über zehn Monaten Quarantäne“, berichtet der Vater mit Blick auf einen Krankenhausaufenthalt. Zumal sie erfuhren, dass sich das Personal dort nur unregelmäßig testen lasse.

Nach einem weiteren Hilferuf, direkt an Ministerpräsidentin Malu Dreyer kam es schließlich zum vorgezogenen Piks im Impfzentrum Oberhonnefeld mit dem Stoff des Mainzer Unternehmens Biontech. Benni Over wollte schon den von Dreyer einst verliehenen Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz zurückgeben, der junge Mann hatte ihn für sein Engagement für Klima- und Orang-Utan-Schutzprojekte bekommen. Zudem wird nun nach Angaben des Vaters mit dem Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz geprüft, ob er dort sicher behandelt werden kann.

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Droht eine Klagewelle für frühere Impfungen?

Einen Tag nach der Impfung kam es am 8. Januar zu einer Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung der ständigen Impfkommission (Stiko), dadurch können auch bundesweit solche Einzelfallentscheidungen möglich werden, wenn Spahn dem folgt. Darin heißt es wörtlich: „Bei der Priorisierung innerhalb der COVID-19- Impfempfehlung der STIKO können nicht alle Krankheitsbilder oder Impfindikationen berücksichtigt werden. Deshalb sind Einzelfallentscheidungen möglich. Es obliegt den für die Impfung Verantwortlichen, Personen, die nicht explizit genannt sind, in die jeweilige Priorisierungskategorie einzuordnen. Dies betrifft zum Beispiel Personen mit seltenen, schweren Vorerkrankungen, für die bisher zwar keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz bzgl. des Verlaufes einer COVID19-Erkrankung vorliegt, für die aber ein erhöhtes Risiko angenommen werden kann.“ Aber: Das könnte zugleich erst Recht dem Einklagen auf Impfungen den Weg bereiten. Und die Staatsrechtlerin Anna Leisner-Egensperger kam in einer Stellungnahme für den Gesundheitsausschuss des Bundestags zu dem Schluss: Gesundheitsminister Spahn hätte die Priorisierung der Impfgruppen ohnehin nicht per Verordnung festlegen dürfen. Das sei keine verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage. „Diese Vorschriften sind daher rechtswidrig und damit nichtig. Sie dürfen von den Behörden nicht angewendet werden und müssen von den Bürgern nicht beachtet werden.“ Die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus betont: „Wir brauchen aus verfassungsrechtlichen und ethischen Gründen dringend ein Corona-Impfgesetz, wie es die FDP-Fraktion bereits im letzten Jahr vorgelegt und eingebracht hat.“

Benni Overs Vater Klaus ist erst einmal sehr erleichtert, dass sie die erste von zwei Impfdosen verbreicht bekommen haben - er hat nach diesem gewonnenen Kampf eine neue Aufgabe. Andere Eltern mit beatmeten Kindern fragen nun reihenweise an, wie sie auch an eine priorisierte Impfung kommen können. „Selbstverständlich werden wir allen helfen.“ Und er fordert Bundestagsabgeordnete auf, Druck auf Minister Spahn zu machen, damit die Einzelfallentscheidung in der Impfverordnung fest verankert wird. Es müsse jetzt für eine Priorisierungsgruppe „Fälle wie Benni“ rasch eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden.

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