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Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, spricht während der EKD-Synode 2021. Auf der mehrtägigen Synode, zu der die meisten Kirchenparlamentarier wegen der Corona-Lage online zugeschaltet werden, soll ein neuer Ratsvorsitz der EKD gewählt werden.

© Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Aufbruch oder Niedergang: Warum die Evangelische Kirche echte Erneuerung braucht

Wer Vertrauen verliert, verliert noch mehr Mitglieder als ohnehin. Für den künftigen Ratsvorsitz der EKD stehen große Aufgaben an. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Die Evangelische Kirche in Deutschland, kurz EKD, mit 20,2 Millionen Gläubigen in 20 Landeskirchen, hat jetzt auch Wahlen – auf der gerade begonnenen Synode werden der Rat und anschießend der Ratsvorsitz neu bestimmt. Heinrich Bedford-Strohm, Bischof in München, seit sieben Jahren im Amt, tritt nicht wieder an. Altersgründe, er ist 61 Jahre, und andere. Über die natürlich in der einen oder anderen Weise gesprochen werden wird, wenngleich evangelisch intoniert. Da draußen im Land versteht das nicht jede:r auf Anhieb. Luthers Wahlspruch zu folgen, ist ja auch nicht jedem gegeben und nicht von allen 128 Mitgliedern der Synode zu erwarten: Tritt fest auf, mach’s Maul auf, hör bald auf.

Womöglich allerdings ist es da von Vorteil, nicht in Präsenz, in Bremen wie geplant, sondern digital zu tagen. Das zwingt zu Kürze und Prägnanz. Ein Corona-Fall hat zum Umzug ins Netz geführt; das bekanntermaßen längst auch ein Raum für Mission ist. Und was für eine: Es wird Zeit für Kerniges. Also klar zur Sache zu reden und zum Kern vorzudringen.

Der ist hart, sehr hart. Die Gesellschaft wendet sich ab von den Kirchen, katholisch wie evangelisch, die Säkularisierung schreitet fort, die Altersentwicklung auch – und so werden es mit Zeit immer weniger Gläubige. Die Zahlen sinken in den kommenden Jahren rapide – wenn der Kirche nicht etwas einfällt, was die Menschen über den Besuch zu Weihnachten hinaus an sie bindet.

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Erschwert wird das dadurch, dass Pfarrämter zunehmend schwieriger zu besetzen sind. Wer studiert noch Theologie? Wer lässt sich auf die Institution, das System Kirche ein? Zumal dann, wenn das System träge reagiert. Ein Beispiel: Da will einer, spätberufen, nach dem nicht eben einfachen Theologiestudium noch Pfarrer werden, bietet sich freudig an – und hört Monate nichts. Ergebnis: Er lässt es. Bleibt, was er ist. Darauf lässt sich keine Kirche bauen.

Die Ursachenforschung zu sexualisierter Gewalt steht noch am Anfang

Aber mehr noch, auf der Tagesordnung steht das unverändert drängende und bedrängende Thema der Aufarbeitung und Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Das klingt beinahe skandalös. Denn es ist beileibe nicht einzig die katholische Kirche betroffen. Auch bei den Protestanten hat es sexuellen Missbrauch gegeben, in den Kinderheimen der Nachkriegszeit zum Beispiel. Und eine große Studie sagt, dass die Protestanten fast so viele Fälle haben wie die Katholiken.

Eine berühmte Darstellung des Heiligen Geistes in Form einer Taube: ein Kirchenfenster im Petersdom im Vatikan.

© Michael Kappeler/dpa

Nur keine Priester, die zölibatär leben und einer ebenso zweifelhaften wie überkommenen Sexualmoral folgen müssen. Aber das allein schützt vor Schaden nicht. Die Ursachenforschung steht da noch am Anfang. Zur Synode sind Betroffene eingeladen, gottlob. Immerhin ist das vor dem düsteren Hintergrund zwingend nötig. Sich zu Fehlern zu bekennen, daraus zu lernen, ist eine evangelische Christenpflicht auch hier.

Der Abschied des scheidenden EKD-Ratsvorsitzenden, Bischof Heinrich Bedford-Strohm, fällt entsprechend aus. Voran er ist selbstkritisch und zugleich unzufrieden mit der schleppenden Aufarbeitung. Und in der Tat: Dass der wichtige „Betroffenenbeirat“ im Frühjahr dieses Jahres ausgesetzt worden ist, einseitig von der EKD nach nur wenigen Monaten, hat ja nicht nur den Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes Rörig, unlängst schockiert. Seine Kritik hallt weit.

Wer Vertrauen verliert, verliert noch mehr Mitglieder als ohnehin schon

Immerhin hat die evangelische Kirche dadurch insgesamt in der Gesellschaft Vertrauen verloren. Und wer Vertrauen verliert, verliert noch mehr Mitglieder als ohnehin schon. Es kommt der Tag, da Protestanten und Katholiken zusammen nicht einmal mehr die Hälfte der Einwohner des Landes repräsentieren. Was das für den gesellschaftlichen Einfluss bedeuten kann, dazu für den politischen und damit auch für gute Werke wie Diakonie und Caritas, liegt auf der Hand: Nicht jede Partei wird auf ewig die Kirchensteuer unangetastet lassen. Die Ampel-Verhandler haben zum Glück der Kirchen gerade anderes zu bewältigen.

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Die neue Leitung der EKD ist deshalb aus mehrerlei Gründen aufgerufen, sich zu öffnen für frischen Wind der Veränderung. Bekämpfung und Aufarbeitung von Missbrauch müssen beispielsweise ausdrücklich zur Chef:innensache werden. Traditionell wird die- oder derjenige von den Leitenden Geistlichen mit dem besten Wahlergebnis tags darauf in den Ratsvorsitz gewählt. Als mögliche Nachfolgerin von Bedford-Strohm gilt schon seit Längerem Kirsten Fehrs. Die 60-Jährige wurde vor Kurzem in ihrem Amt als Hamburger Bischöfin bestätigt und ist im Rat seit 2015. Bisher dort nicht vertreten waren die Bischöfe Christian Stäblein aus der Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und Tobias Bilz aus Sachsen. Ob nun Fehrs – von der sich der Betroffenenbeirat allerdings in zurückliegender Zeit mehr erwartet hätte – oder doch ein Mann, etwa Stäblein, dem intern überraschend auch Chancen gegeben werden: Frei nach der Bibel, Hebräer 10, sollten sie einander anspornen zu guten Werken und „nicht verlassen unsere Versammlung, wie einige zu tun pflegen“, sondern einander ermahnen. Die Synodalen vor ihren Rechnern verstehen den Ton – vom neuen Ratsvorsitz muss ein Signal des Aufbruchs ausgehen.

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