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Warten ist in Corona-Zeiten eine große Tugend. Westlichen Gesellschaften fällt das schwerer als anderen.

© Chaiwat Subprasom/dpa

Warten auf die Zeit danach: Die neue Tugend heißt Geduld. Damit konnte man bisher wenig Staat machen

Doch jetzt dienen Ausdauer und Selbstkontrolle einem guten Zweck. Das macht die große Geduldsprobe vielleicht erträglicher. Eine Kolumne

Eine Kolumne von Anna Thewalt

Vieles wird uns in diesen Tagen abverlangt. Die eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten stellen einen Verzicht dar – und führen zu einer neuen Verpflichtung: der Geduld, die in Corona-Zeiten auf kollektiver wie persönlicher Ebene erforderliche Tugend. „Ich muss Sie bitten: Seien Sie geduldig“, appellierte die Bundeskanzlerin Angela Merkel, selbst in Quarantäne, in ihrem Podcast am vergangenen Samstag. Und in der Tat, Geduld brauchen wir in nahezu allen Lebenslagen: Wenn wir vor dem Supermarkt in der Schlange stehen, wenn bei der Videokonferenz die Internetverbindung aussetzt oder ganz zusammenbricht.

Jeder braucht sie, der die Großeltern und engen Freunde vermisst. Geduld brauchen diejenigen, die vermuten, am Coronavirus erkrankt zu sein und auf ihr Testergebnis warten (oder darauf warten, einen Test zu machen) und jene, die tatsächlich erkrankt sind – Geduld und Hoffnung auf einen möglichst milden Verlauf der Krankheit und eine baldige Heilung.

Warten ist das Gebot der Stunde

Bislang war die taktgebende Tugend unserer Gesellschaft die Ungeduld, was sich auch daran zeigt, dass die Diskussionen um ein Ende der Eindämmungsmaßnahmen nur wenige Tage nach deren Inkrafttreten angelaufen sind. Keiner weiß, wann die Rückkehr zur Normalität erfolgen wird. In diesem Setting ist Ungeduld potentiell tödlich. Geduldiges Warten ist daher das Gebot der Stunde. Der Geduld wohnt immer eine zeitliche Komponente inne, sie ist verknüpft mit der Zeitwahrnehmung, bestimmend ist dabei das Verhältnis der Gegenwart zur Zukunft.

Ich bin heute geduldig, damit morgen, übermorgen oder überübermorgen ein Zustand eintritt, der sich vom aktuellen unterscheidet. Das ist die momentane gesellschaftliche Situation: Ein Schwebezustand zwischen der Gegenwart und der ungewissen Zukunft. Leichter fällt die Geduld, wenn das Kommende möglichst vorhersehbar ist, konkrete Erwartungen an das, was in der Zukunft eintreten soll, gerichtet werden können. Nicht einmal das ist derzeit möglich. Wir gedulden uns, auf das Beste hoffend, um das Schlimmste zu verhindern.

Geduldige Kinder werden erfolgreicher im Leben

Der Ökonom Matthias Sutter beschreibt in seinem 2014 erschienen Buch „Die Entdeckung der Geduld“ die Geduld als eine Mischung aus Ausdauer, Frustrationstoleranz und vor allem: Selbstkontrolle. In Studien fand er heraus, dass Kinder, die im frühen Alter bereits geduldiger waren (etwa in dem sie bereit waren, länger auf eine Belohnung zu warten), später einen gesünderen Lebensstil pflegten, besser verdienten, weniger anfällig für Suchtverhalten waren. Die Geduld, die uns wegen des Coronavirus und des Kontaktverbots abverlangt wird, ist jedoch keine, die allein dem individuellen Wohlbefinden zugute kommt, sondern dem gesamtgesellschaftlichen. Jede und jeder einzelne erträgt die Situation nicht nur für sich, sondern auch für alle anderen.

Die kollektive Tugendübung dient der Allgemeinheit

Es ist eine kollektive Tugendübung, eine gemeinschaftliche Geduldsprobe. Das Wort „Tugend“ stammt vom Wort „taugen“ ab - was so viel heißt wie brauchbar sein, nützen. So schwer das Ertragen der widrigen Umstände in vielen Momenten erscheinen mag: Wer es tut, ist im besten Sinne nützlich für die Allgemeinheit. Das Wissen darum kann das Ertragen leichter machen.

Schon aus Zeiten vor dem Coronavirus ist bekannt, dass es für die Genesung von Krankheiten ebenso Geduld braucht wie für die Erholung von einer wirtschaftlichen Krise. Deswegen: Egal, welche der vielen nun diskutierten Vorschläge zur Aufhebung des Lockdowns wann umgesetzt werden, die Geduld wird uns als einzelne und als Gesellschaft noch lange begleiten, begleiten müssen. Wenn wir es jetzt schaffen, uns in nachsichtiger Toleranz uns selbst und anderen gegenüber zu gedulden, haben wir eine bessere Chance, aus dieser Krise heraus zu kommen.

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