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Ein verletzter ukrainischer Soldat und eine verletzte Zivilistin warten in der Region Donezk in der Ostukraine auf medizinische Behandlung.

© Bernat Armangue/AP/dpa

Warnung vor dem „Krim-Effekt“: Der Westen darf sich nicht an Russlands Krieg gewöhnen

Macron will Putin nicht demütigen, Biden nur das Mögliche verhandeln. So weicht die harte Linie auf. Das erinnert an die Politik seit 2014. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Von Zeit zu Zeit ist es nötig, sich zu besinnen und zugleich neues Denken zu versuchen, zumal eines „in gutem Geist“. Das bewirkt bei Menschen im besten Fall neue Kraft und neuen Mut. Und so wäre es, wenn dieser Geist den Westen, Europa und mittendrin Deutschland weltpolitisch überkäme. Jetzt. Denn es wird dringend.

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Nur sieht es danach gegenwärtig nicht aus. Stattdessen wird im Westen offenkundig die gemeinsame Position zur Ukraine schleichend verändert. Emmanuel Macron, Frankreichs Präsident, warnt nach seinem jüngsten langen Telefonat mit Kremlherrscher Wladimir Putin vor einer Demütigung Russlands.

Der amerikanische Präsident Joe Biden deutet an, dass die Ukraine für Frieden Land wird abgeben müssen. Und Deutschland unter Bundeskanzler Olaf Scholz liefert dringend benötigte schwere Waffen entweder gar nicht, oder sie stehen erst in ein paar Wochen zur Verfügung.

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Biden: Verhandlung spiegelt "Fakten auf dem Boden" wider

Die zu beobachtende Veränderung hängt vorrangig mit Bidens Namensbeitrag in der „New York Times“ vom 31. Mai zusammen. Da schreibt er im Blick auf die militärische Lage, dass jede Verhandlung „die Fakten auf dem Boden“ widerspiegele. „Wir haben schnell gehandelt, um der Ukraine eine beträchtliche Menge an Waffen und Munition zu schicken, damit sie auf dem Schlachtfeld kämpfen und am Verhandlungstisch in der bestmöglichen Position sein kann.“

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Am Verhandlungstisch: Das Bestmögliche scheint sich gerade zu verändern, die militärische Lage sich zuzuziehen und zwar in mehrerlei Hinsicht. Das russische Militär greift mit aller Macht an, das ukrainische wehrt sich mit allen Mitteln.

Doch Bomben fallen wieder auf Kiew, und im Donbass rücken Putins Truppen – angeführt von „Wagner“-Söldnern und tschetschenischen Kommandos – unerbittlich vor. Das Szenario ist inzwischen ein noch Jahre andauernder Krieg, der zudem auch die weltweiten Energie- und Nahrungsressourcen angreift.

Die mögliche Antwort des Westens wäre vor dem Hintergrund, sich eindeutig, noch eindeutiger zur Ukraine zu bekennen. Das hieße: Waffen zu liefern, was das Zeug hält, angesichts der Situation in höchster Geschwindigkeit. Und sich dem „Krim-Effekt“ zu entziehen, dieser schleichenden Gewöhnung und zugleich Aufweichung einer nötigen harten Position.

Der Westen hat Russland auch nach der Annexion Waffen geliefert

Ein Effekt, der auch daran aufzuzeigen ist: Europa erhält aus Russland seit der Krim-Annexion 2014 nicht nur weiter Gas und Öl, sondern umgekehrt hat Europa seither an Russland militärisch nutzbares Gerät im Wert von 346 Millionen Euro geliefert. Das berichtet „Investigate Europa“. An der Spitze steht Frankreich, aber auch Deutschland exportierte Ausrüstung im Wert von 121,8 Millionen. Das entspricht 35 Prozent aller EU-Waffenausfuhren nach Russland. Die Lieferung bestand hauptsächlich aus Eisbrecherschiffen, enthielt aber auch Gewehre und besonders geschützte Fahrzeuge. Die deutschen Exporte sind als „dual use“ gekennzeichnet, was bedeutet: zivil wie militärisch einsetzbar.

Im Europaparlament hat das Unmut hervorgerufen, im Bundestag noch nicht. Aber alle Beteiligten müssen noch einmal in gutem Geist offen reden über die Lage in der Ukraine, das Verhältnis zu Russland und was beides erfordert. Die Kraft und der Mut dazu sollten aufgebracht werden, dringend.

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