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Abstand muss sein. Das Bundesverfassungsgericht verhandelte coronabedingt an ungewohntem Ort, den Karlsruher Messehallen.

© Uli Deck/dpa

Bundesverfassungsgericht verhandelt zur Parteienfinanzierung: War die Groko schneller, als es das Grundgesetz erlaubt?

2018 gönnten Union und SPD sich und ihren Mitbewerbern zusätzliche Millionen – und das im Eiltempo. Nicht nur die AfD sah darin Grund für eine Klage.

Während SPD, Grüne und Liberale in Berlin nach neuer Gemeinsamkeit suchen, stehen sie sich in Karlsruhe noch einmal in alter Rolle gegenüber. Dort verhandelt das Bundesverfassungsgericht seit Dienstag zwei Tage lang über ein sensibles Thema, das für die künftige Politik unabhängig von Koalitionen bedeutsam bleiben dürfte. Es geht um die Parteienfinanzierung und die Frage, inwieweit das Grundgesetz die staatlichen Leistungen beschränkt.

Geklagt hatten mehr als 200 Abgeordnete der Oppositionsfraktionen im Bundestag, neben Grünen und Liberalen auch Linke. Mit einem so genannten Normenkontrollantrag greifen sie im Jahr 2018 von der großen Koalition verabschiedete Regelungen im Parteiengesetz an. Zudem hat die AfD eine Organklage eingereicht, weil sie sich durch das ihrer Ansicht nach „überfallartig“ eingebrachte Gesetzgebungsvorhaben in ihren Mitwirkungsrechten beschnitten sieht.

Die Gerichtsvizepräsidentin und Vorsitzende des Zweiten Senats Doris König erinnerte erinnerte vor Beginn der Verhandlung an ein knapp 30 Jahre altes Urteil des Gerichts, das offensichtlich weiterhin als Maßstab gelten soll. Wenn Bürger den Eindruck gewinnen würden, die Parteien „bedienten“ sich aus der Staatskasse, mindere dies ihr Ansehen und beeinträchtige ihre Fähigkeit, die ihnen von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen.

Ein schlechter Eindruck soll vermieden werden, urteilten die Richter

Folglich soll dieser schlechte Eindruck vermieden werden. Nur wie? Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit, heißt es im Grundgesetz. Wie viel dieser Auftrag das Volk kosten darf, steht dort nicht. Das benannte Urteil vom April 1992 markiert einen Systemwechsel. Bekamen die Parteien vorher nur Wahlkampfkosten erstattet, wurde damals eine staatliche Teilfinanzierung für zulässig erklärt. Eine Vollfinanzierung wurde ausgeschlossen, denn Parteien sollten „staatsfrei“ bleiben. Gezahlt werden solle nur, was unerlässlich sei. Seither erhalten die Parteien centgenau bestimmte Beträge sowohl für gültige Wählerstimmen wie für Mitgliedsbeiträge und Spenden. Je mehr Zuspruch, desto mehr Geld, so der demokratische Gedanke dahinter. Als „relative Obergrenze“ ist festgelegt, dass die Höhe der Zuschüsse die selbst erwirtschafteten Einnahmen nicht überschreiten darf. Die „absolute Obergrenze“ hob die Groko vor vier Jahren um 24 Millionen Euro auf 190 Millionen Euro an. Seitdem ist sie an den allgemeinen Preisanstieg gekoppelt.

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Die Prozessbevollmächtigte der Abgeordneten von Grünen, FDP und Linken Sophie Schönberger sieht in der millionenteuren Groko-Aktion eine „klassische Entscheidung in eigener Sache“, der sich die Opposition mit ihrer Klage entgegenstelle, „um den Maßstäben der Verfassung Geltung zu verschaffen“. Es sei „fast zynisch“, wie die Regierungsparteien ihren Finanzbedarf immer wieder hochgerechnet hätten. SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan verwies dagegen auf die Kosten der Parteien, um die Öffentlichkeit angemessen erreichen zu können. Die Digitalisierung übe erheblichen Druck aus, sagte Nietan und nannte die Wahl von US-Präsident Donald Trump und den Brexit als Beispiel dafür. Dem müsse man begegnen können, und zwar sowohl digital wie analog. Nur Populisten könnten sich auf das Digitale beschränken.

Ein Gesetz in zehn Tagen, im medialen Windschatten der Fußball-WM

Im Vordergrund stand am Dienstag jedoch zunächst die Klage der AfD. Sie wehrt sich dagegen, dass die Groko ihr Vorhaben innerhalb einer Zeitspanne von nur zehn Werktagen in den Bundestag eingebracht und dort verabschiedet hat, im medialen Windschatten der Fußball-Weltmeisterschaft. Ihr Prozessvertreter Ulrich Vosgerau beklagte, dadurch sei der stärksten Oppositionsfraktion die Möglichkeit genommen worden, angemessen „mobilisieren“ zu können. Es sei „der Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur, dass die Opposition an der Gesetzgebung beteiligt ist“. Hier sei alles vorab heimlich abgestimmt und der Rest des Bundestags damit überrascht worden.

Die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen von Union und SPD, Michael Grosse-Brömer und Carsten Schneider, bestritten dies. Ziel sei gewesen, den Bundesrat noch vor dessen Sommerpause mit dem Vorhaben zu befassen. Die Eile sei nicht ungewöhnlich, man wolle Dinge nun mal möglichst schnell abschließen. Auch Vertreterinnen und Vertreter der anderen Fraktionen mochten sich der AfD-Kritik nicht anschließen; die Zeit habe ihnen zur Prüfung des Projekts ausgereicht, wenngleich sie knapp bemessen gewesen sei. Die Richterinnen und Richter deuteten dennoch an, dass sie den Einwand ernst nehmen werden. Möglicherweise könne ein solches Vorgehen einzelne Mandatsträger überfordern, hieß es.

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