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Sahra Wagenknecht

© dapd

Programmparteitag der Linken: Wagenknecht mahnt Einigkeit an

Die Linkspartei berät ihr erstes Programm – nicht zufällig in der Stadt des historischen SPD-Parteitags vor 120 Jahren: Erfurt.

Von Matthias Meisner

Sahra Wagenknecht hat nur sieben Minuten Redezeit, um auf dem Erfurter Bundesparteitag der Linken in die Programmdebatte einzuführen. Sie reichen ihr nicht ganz. Sie wendet sich ans Tagungspräsidium, damit ihr nicht vorzeitig das Mikrofon abgedreht wird: „Ihr müsst den Applaus ein bisschen abziehen.“ Selbstverständlich darf die Galionsfigur der Linken dann am Freitag ihre Botschaft zu Ende verkünden. An diesem Wochenende in der Messehalle der thüringischen Landeshauptstadt solle viel erreicht werden: „Ein Programm, das uns eint und nicht ein Programm, das uns spaltet“, verspricht Wagenknecht.

Nach eineinhalb Jahren Diskussion will die Partei an diesem Samstag ihr erstes Grundsatzprogramm beschließen. Seit dem Zusammenschluss von PDS und WASG 2007 gab es bisher nur programmatische Eckpunkte. Kein Flügel der Partei dürfe den knappen Sieg über die andere Seite davontragen, sagt Wagenknecht. In den Grundpositionen brauche es Einigkeit. Und deshalb sollen auch Kompromisse etwa zur Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr und zum öffentlichen Beschäftigungssektor nicht wieder infrage gestellt werden. Krieg lehne die Linke ab, „ohne Wenn und Aber und ohne Hintertürchen“, ruft Wagenknecht in die Halle. Konsequent fordert sie auch das Bekenntnis zu den sogenannten Haltelinien – Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung. Der Begriff stand schon im Gründungsprogramm der WASG, Oskar Lafontaine als Parteichef hat dafür gestritten, dass er auch Eingang ins Programm der Linken findet.

Der Entwurf des Grundsatzprogramms trägt Lafontaines Handschrift, im Frühjahr 2010 hat er ihn gemeinsam mit dem damaligen Ko-Chef und heutigen Europaabgeordneten Lothar Bisky vorgelegt. Bisky ist nach Erfurt nicht gekommen – Lafontaine aber hat in Wagenknecht die vermutlich beste Vertreterin seiner Interessen gefunden. Mit Genugtuung darf der Ex-Vorsitzende, der sich eine mögliche Spitzenkandidatur bei der nächsten Bundestagswahl offenhält, beobachten, dass der von ihm geschmähte Reformerflügel kaum noch Widerstand aufbringt. „Ich fühle mich in diesem Programm aufgehoben“, versichert der sachsen-anhaltische Landeschef Matthias Höhn. Das neue Programm verbinde „notwendige Systemkritik mit alternativen Reformprojekten“.

Großes hat sich die Linke vorgenommen, gar Historisches. In einer szenischen Lesung tragen Linken-Politiker auf der Bühne Auszüge aus dem Erfurter Programm der SPD von 1891 vor; die Sozialdemokraten hatten damals zurückgefunden zur marxistischen Theorie. 1891, das sei das „gemeinsame Fundament der Linken“, erklärt die Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen. Und die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch betont in ihrer Rede, die Partei habe sich in Erfurt zusammengefunden, um Geschichte zu schreiben. „Unser Erfurter Programm wird dieses Land verändern.“ Sie erinnert an Freiheitskämpfer wie Mahatma Gandhi und Martin Luther King und erklärt, heute sei die Linke die Partei, die „die Empörung der Menschen in ihrem Programm aufgreift“.

Auf die Krise der Partei mit Dauerstreit und Wahlniederlagen geht Lötzsch nur am Rande ein. Sie stellt die Frage, warum die Empörung über Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und Rentenkürzungen nicht in Wählerstimmen für die Linke umschlage. Lötzsch und ihr im Mai vergangenen Jahres gewählter Ko-Vorsitzender Klaus Ernst stehen seit Amtsantritt unter Beschuss. Lötzsch bittet dringend um mehr Solidarität: „Die Empörung über andere Genossen sollte in unserer Partei nie größer sein, als die Empörung über die sozialen Verhältnisse.“

Dass Lötzsch und Ernst im Juni kommenden Jahres für eine weitere Amtszeit bestätigt werden, gilt als unwahrscheinlich. Sahra Wagenknecht, früher in der PDS als Wortführerin der Kommunistischen Plattform nur Randfigur, betreibt derweil ihren Aufstieg. Von November an will sie gemeinsam mit Gregor Gysi die Bundestagsfraktion führen. Der zögert noch. Den Parteivorsitz strebt Wagenknecht zunächst nicht an. Dem Tagesspiegel erklärt sie: „Da müssten mich schon gewichtige Argumente überzeugen.“ Aber auch die können ja noch kommen, vielleicht schneller als gedacht.

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