zum Hauptinhalt
„Die Geschichte spricht dich nicht frei.“ Gegner von Christina Kirchner demonstrieren in Buenos Aires

© AFP/Juan Mabromata

Staatskrise in Argentinien: Vor der Zerreißprobe

Die Ankläger fordern zwölf Jahre Haft für Vizepräsidentin Christina Kirchner. Gegner und Anhänger liefern sich Straßenschlachten.

Noch in der Nacht versammeln sich Gegner und Anhänger von Christina Kirchner in den Straßen von Buenos Aires. Die einen sind entsetzt über die Forderung der Staatsanwaltschaft, die anderen feiern, dass die Gerechtigkeit ihren Lauf nimmt. Auf jeden Fall wird in diesen Stunden deutlich, was dem südamerikanischen Land neben dramatischer Inflation, Massenarmut und sozialer Spaltung jetzt auch noch droht: Eine gesellschaftliche Zerreißprobe mit unbekanntem Ausgang. Im Ortsteil Recoleta musste die Polizei die beiden Lager mit Tränengas trennen.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Kurz zuvor hatte Staatsanwalt Diego Luciani seine Forderung verkündet: Zwölf Jahre Haft und lebenslange Sperre für Kirchner, die aktuell Vizepräsidentin der linken Regierung von Präsident Alberto Fernandez ist. Doch Kirchner ist viel mehr als nur die aktuelle Nummer zwei: Sie regierte nach ihrem inzwischen verstorbenen Mann Nestor (2003 - 2007) acht Jahre als Präsidentin das Land (2007 - 2015) und gilt immer noch als die einflussreichste Persönlichkeit mit einer treuen Stammwählerschaft. Luciani hat sich also mit der mächtigsten Frau des Landes angelegt.

Aufstieg zur Multimillionärin

Die Vorwürfe: Kirchner soll einem kriminellen Korruptionsnetzwerk vorstehen, das den argentinischen Staat um eine Milliarde US-Dollar betrogen haben soll. Die Rede ist von Geldwäsche und Unterschlagung von öffentlichen Geldern. „Es geht um das größte Korruptionsnetzwerk, das das Land je gesehen hat“, sagte Luciani bei seinem Schlussplädoyer. Nun hat das Gericht das letzte Wort. Anhänger und Gegner haben dagegen ihr Urteil längst gefällt: Schuldig oder unschuldig, je nach politischer Überzeugung.

Präsident Fernandez, der auf die Unterstützung des immer noch mächtigen Kirchner-Lagers angewiesen ist, stellt sich hinter seine Vizepräsidentin. Kein einziger Vorwurf sei bewiesen, kritisierte er. Fernandez und Kirchner planen ohnehin eine Justizreform. Kirchner selbst sieht sich als Opfer einer politisch-medialen Kampagne, die das Ziel habe, sie aus der Politik zu drängen. Tatsächlich stieg die Familie Kirchner während ihrer Zeit als Berufspolitikerin zu Multimillionären auf. Es gibt Hotels und Ländereien, die zu ihrem Besitz zählen.

Bis zu einem Urteil kann es Jahre dauern

Das Gericht muss nun entscheiden, wie es die Beweislage und die Ermittlungen des Staatsanwaltes bewertet. Die schlüsselte auf, dass die Firma eines Kirchner-Vertrauten rund 80 Prozent aller öffentlichen Straßenbauaufträge in der Region Santa Cruz zugeschanzt bekommen haben soll. Das lukrative Geschäftsmodell: Aus den überhöhten Baukosten kassierte das Ehepaar Kirchner eine Art Provision. Christina Kirchner bestreitet das vehement. Den eigenen Reichtum erklärt die Familie mit „erfolgreichen Investitionen“ sowie mit den Einkünften als Juristen.

Das alles trifft Argentinien inmitten einer schweren Wirtschaftskrise und vor den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr. Ein politisches Alphatier wie Cristina Kirchner im Gefängnis würde ihre Anhängerschaft mobilisieren und das ohnehin vergiftete Klima im Land weiter verschlechtern. Es ist denkbar, dass Kirchner dann eine erneute Kandidatur ankündigt und die Wahlen so zu einer Abstimmung über ihre Schuld oder Unschuld machen will. Umgekehrt würden ihre Gegner einen Freispruch wohl ebenso wenig akzeptieren und ihrerseits die Straßen mobilisieren. Ein freiwilliger Rückzug gilt als ausgeschlossen.

Doch erst einmal geht das lange Tauziehen weiter. Das Urteil gegen Kirchner wird für Ende des Jahres erwartet. Anschließend kann noch Einspruch eingelegt werden. Ein rechtskräftiges Urteil könnte dann erst in ein paar Jahren vorliegen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false