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Hessische Spitzen. Janine Wissler (Linke), Tarek Al-Wazir (Grüne), Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD), Volker Bouffier (CDU) und Jörg-Uwe Hahn (FDP). Foto: Boris Roessler/dpa

© dpa

Hessen-Wahl: Vor der Gretchenfrage

In Hessen hat Rot-Grün seinen Umfrage-Vorsprung eingebüßt – nun geht es wieder um die Frage, ob die Linke eingebunden wird.

90 Minuten lang standen die Spitzenkandidaten der fünf im hessischen Landtag vertretenen Parteien den Journalisten der Landespressekonferenz in Wiesbaden Rede und Antwort. Am 22. September, zugleich mit der Bundestagswahl, wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Munter und engagiert diskutierten die fünf über eine bessere Bildungspolitik, um das konsequentere Vorgehen gegen Steuerhinterziehung, um eine gesetzliche Mietpreisbremse. Regierungsparteien und Opposition priesen ihre Konzepte als die jeweils besseren an.

Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sprach von einer starken Regierung für ein starkes Land, Vize-Regierungschef Jörg-Uwe Hahn (FDP) lobte die beispielhafte Schulpolitik in Hessen. SPD und Grüne kritisierten dagegen, durch eine halbherzige Reform der verkürzten Gymnasialschulzeit (G 8) habe die Regierung die Menschen gegen sich aufgebracht. SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel erinnerte daran, dass in dieser Sache Tausende eine entsprechend Petition an den Landtag gerichtet hätten. In 15 Regierungsjahren hätten sich die CDU und FDP erschöpft, sagte Grünen-Chef Tarek Al-Wazir; bei der Energiewende seien die einen dagegen, die andern wüssten nicht, was sie wollten. Damit spielte der Grüne auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungsparteien in der Energiepolitik an, auf die unterschiedliche Bewertung der Windenergie und den Streit darüber, ob das veraltete Kohlekraftwerk Staudinger 1 am Main als „Kaltreserve“ weiter betrieben werden soll.

Es ging um Bilanzen und Konzepte, doch am Ende war es ein kleiner Satz des SPD-Kandidaten Schäfer-Gümbel, der die lebhaftesten Diskussionen auslöste. Natürlich ging es wieder einmal um die Gretchenfrage, an der die hessische SPD schon einmal gescheitert ist. Lässt sich „TSG“ von den Linken zum Ministerpräsidenten wählen, wenn es nach der Landtagswahl für Rot-Grün nicht reicht, wurde er gefragt. „Gefühlt 50 000-mal“ habe er darauf immer die gleiche Antwort gegeben, dass er nämlich „formal“ keine Koalitionsoption ausschließe, sagte er. Das sei die Lehre aus dem Scheitern von Andrea Ypsilanti. Sie hatte vor der Wahl 2008 eine solche Zusammenarbeit ausgeschlossen und nach der Wahl gesucht.

Doch als die Journalisten nicht locker ließen, sagte der Kandidat noch einen Satz. Für den Fall, dass es weder eine rot-grüne noch eine schwarz-gelbe, also keine klare Regierungsmehrheit im Landtag gebe, bleibe die amtierende Regierung laut Landesverfassung zunächst geschäftsführend im Amt, erklärte Schäfer-Gümbel. Wörtlich sagte er: „Wenn die Linkspartei in den hessischen Landtag einzieht, wird Schwarz-Gelb im Rahmen einer geschäftsführenden Landesregierung weiterregieren. Und deswegen ist jede Stimme für die Linke eine Stimme für Schwarz-Gelb.“

War das nun der faktische Ausschluss einer Zusammenarbeit mit den Linken? Einige Beobachter hatten das so verstanden. Aber die politischen Kontrahenten witterten Morgenluft. Ministerpräsident Bouffier unterstellte nordrhein-westfälische Strategien: Erst werde sich Schäfer- Gümbel von den Linken dulden lassen, um schließlich Neuwahlen anzustreben, dann aber aus Regierungsämtern, sagte Bouffier. Hahn jubilierte: „Das ist eine neue Situation, das ist die hessische SPD von 2008 vor dem Wortbruch, Rot-Grün steuert auf unsichere Verhältnisse zu, vielen Dank.“ Schließlich – so ein Gerücht, das die Runde machte – will Hahns FDP in der nächsten Woche mit der Parole „Freiheit statt Sozialismus“ in die Schlussphase des Wahlkampfes ziehen.

In den Interviews nach der Talkrunde betonte Schäfer-Gümbel, er habe nichts Neues gesagt. Er halte weder CDU noch Linke für regierungsfähig und werde keinen Beitrag zur Wiederbelebung der Linken leisten. Doch die Erinnerung an die geschäftsführende Regierung unter Bouffiers Vorgänger Roland Koch, die 2008 ohne parlamentarische Mehrheit war und nach einer Schamfrist von Rot-Rot-Grün abgelöst werden sollte, war wiederbelebt.

In den letzten Meinungsumfragen liegen Rot-Grün und Schwarz-Gelb in Hessen ziemlich gleichauf. CDU und FDP haben freilich stark aufgeholt: Im April ergab eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen einen Stand von 49 zu 41 Prozent für Rot-Grün, zuletzt waren es noch 45 zu 43 Prozent. Nur wenn die Linke den Einzug in den Landtag verfehlt, sind klare Mehrheitsverhältnisse möglich. In den Umfragen lag die Partei zuletzt stets bei vier Prozent. „Wer die Linken wählt, wird mit Volker Bouffier als Ministerpräsidenten aufwachen“, warnt Al-Wazir. Auf ein mögliches schwarz-grünes Bündnis oder eine große Koalition anspielend, konterte Linken-Spitzenkandidatin Janine Wissler schlagfertig, SPD und Grünen-Wählern werde es möglicherweise genauso ergehen.

Es ist also vieles möglich in Hessen. Kommt es zu einem Patt zwischen den Lagern, kann nur eine Option ausgeschlossen werden, dass sich FDP und Grüne zusammenraufen. FDP-Chef Hahn und sein Widerpart, der Grüne Al-Wazir, die die Moderatoren der Spitzenrunde listig nebeneinander platziert hatten, bewiesen mit giftigen Bemerkungen, dass sie sich politisch und menschlich in ihrer gegenseitigen Abneigung einig sind. Hahn verweigerte dem Grünen sogar eine Entschuldigung dafür, dass namhafte hessische Liberale die Grünen als „Ökofaschisten“ beschimpft hatten.

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