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Die Zeit der Splitterschutzwesten ist vorbei, Verteidigungsminister Ursula von der Leyen tritt vom Amt zurück.

© dpa

Von der Leyen tritt zurück: Eine doppelt kluge Entscheidung

Mit ihrer Rücktrittsankündigung liegt von der Leyen richtig. Denn eine Vollkasko-Mentalität lässt sich in der Politik nicht mehr durchhalten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Ursula von der Leyen kennt das Risiko, die Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin zu verlieren. Aber sie legt sich fest: Sie tritt vor der Abstimmung im Europaparlament als Bundesverteidigungsministerin zurück. Sie will keine Absicherung in Form einer Rückfahrkarte. Auch bei einer Niederlage in Straßburg will sie nicht Mitglied der Bundesregierung bleiben.

Das ist doppelt klug. Erstens mit Blick auf ihre Wahlchancen; die steigen nicht, wenn sie sich den Rückweg offenhält. Zweitens wegen der Erfahrung, dass sich eine Vollkasko-Mentalität in der Politik ohnehin nicht mehr durchhalten lässt.

Das musste Norbert Röttgen 2012 nach seiner krachenden Niederlage bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen erfahren. Kanzlerin Merkel entließ ihn als Bundesumweltminister. Seine Glaubwürdigkeit und Autorität waren angeschlagen. Die hätte er aber gebraucht, um mitten in der Energiewende die Neuausrichtung kraftvoll voranzutreiben.

Auch von der Leyens Autorität stünde im Falle einer Niederlage im Europaparlament in Frage. Sie war schon vor dem Ruf nach Europa eine angeschlagene Ministerin. Sie hinterlässt die Bundeswehr in keinem guten Zustand. Das liegt nicht nur an ihr.

Die Bundeswehr wurde stiefmütterlich behandelt

Die deutsche Politik behandelt die Streitkräfte seit vielen Jahren stiefmütterlich. Die SPD verweigerte wider besseres Wissen die nötige Finanzierung aus der falschen Hoffnung heraus, so könne sie Wähler gewinnen; das hat sich bei der Wahl 2017 als Irrtum erwiesen.

In der CDU haben Kanzlerin Merkel und die Verteidigungsexperten zu lange gezögert, sich dem falschen Kurs energisch entgegenzustellen. Zudem agierte Frau von der Leyen bisweilen unglücklich. Sie fand keinen Draht zur Truppe, dann kamen die Berateraffäre und die „Gorch Fock“.

Der Fall Röttgen lehrt etwas

Es wird Jahre dauern, die Versäumnisse aufzuholen. Hoffentlich gelangt eine Person mit der nötigen Mischung aus Elan, Durchsetzungsvermögen und Empathie für Soldaten an die Spitze des Ministeriums.

Der Fall Norbert Röttgen hält auch eine tröstliche Lehre bereit. Selbst nach einer bösen Wahlschlappe ist der Weg zurück zu Glaubwürdigkeit und Autorität nicht versperrt. Er erfordert Demut, Arbeit und Geduld. Röttgen ist zu einem weithin respektierten Außenpolitiker geworden. Er ist sogar als Verteidigungsminister im Gespräch. Auch von der Leyen hat Zukunft. So oder so.

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