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Die künftige EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

© Thierry Roge/dpa

Von der Leyen startet ins neue Amt: Die Mission der neuen EU-Kommission lautet Selbstbehauptung

Am 1. Dezember will Ursula von der Leyen mit elf Frauen und 15 Männern die Arbeit in Brüssel aufnehmen. Dies sind die Aufgaben der neuen EU-Kommission.

Die neue EU-Kommission unter der Leitung der Deutschen Ursula von der Leyen hat gute Chancen, beim Votum im Europaparlament an diesem Mittwoch die Zustimmung der Abgeordneten in Straßburg zu finden. Wenn eine Mehrheit der Parlamentarier dem Gremium der 26 Kommissare zustimmt, kann das neue Team an der Spitze der Brüsseler Behörde am 1. Dezember die Arbeit aufnehmen. In den kommenden fünf Jahren hat die Kommission die schwierige Aufgabe, die EU auch nach dem Brexit weiter zusammenzuhalten und zu verhindern, dass Europa zum Spielball von Großmächten wie den USA und China wird.

Welche Linie verfolgt die neue EU-Kommission beim Brexit?

Als sich die designierte EU-Kommissionschefin von der Leyen im Juli zum ersten Mal im Europaparlament vorstellte, sprach sie sich bereits für eine Verlängerung der Brexit-Frist aus. So kam es auch: Großbritannien hat jetzt bis zum 31. Januar Zeit, den Austritt aus der EU zu bewerkstelligen. Sollte es dem britischen Premierminister Boris Johnson tatsächlich gelingen, nach einem möglichen Wahlsieg am 12. Dezember den Austrittsvertrag im Unterhaus unter Dach und Fach zu bringen und anschließend aus der EU auszusteigen, würde für die Europäische Union im Februar die Arbeit in Sachen Brexit erst richtig anfangen. Dann nämlich würden die Gespräche über ein Freihandelsabkommen beginnen. Neben dem EU-Chefverhandler Michel Barnier wird dafür in der Kommission der designierte Handelskommissar Phil Hogan aus Irland zuständig sein.

Der Ire Hogan bringt aus seiner Zeit als EU-Agrarkommissar schon Erfahrung mit Handelsgesprächen mit. Vorsorglich kündigte er an, dass man bei den bevorstehenden Gesprächen über ein Freihandelsabkommen mit London glücklicherweise nicht bei Null anfangen müsse. Dennoch gilt der Wunsch des britischen Premiers Johnson als illusorisch, die Handelsgespräche bis zum Ende des kommenden Jahres abzuschließen. Falls sich beide Seiten nicht auf eine Verlängerung der Frist einigen, könnte schlimmstenfalls Ende 2020 folgendes Szenario drohen: Das Vereinigte Königreich und die EU haben sich im Austrittsvertrag zwar unter anderem auf die Nordirland-Regelung und die Rechte der EU-Bürger geeinigt, aber beide Seiten müssen dennoch die Errichtung von Zollschranken hinnehmen.

Wie soll die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU gewahrt werden?

Von der Leyen ist mit dem Anspruch angetreten, Länder wie Ungarn und Polen wieder zu aktiven Teamplayern in der EU zu machen. Allerdings kann sie kaum darüber hinwegsehen, dass der Rechtsstaat in beiden Ländern weiter auf der Kippe steht. Für die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz in den einzelnen EU-Ländern werden künftig der frühere belgische Außenminister Didier Reynders und die bisherige Justizkommissarin Vera Jourova aus Tschechien zuständig sein. Ob sie Mängel bei der Justizreform in Polen oder bei der Medienfreiheit in Ungarn ähnlich vehement anprangern werden wie der bisher für das Thema zuständige Niederländer Frans Timmermans, muss sich erst noch zeigen. Reynders hat bereits angekündigt, dass er einen Rechtsstaats-Mechanismus einführen wolle, an dem sich künftig sämtliche EU-Länder messen lassen müssen.

Wie soll die Rolle der EU in der Welt gestärkt werden?

Vor gut zwei Wochen erklärte von der Leyen in einer Rede in Berlin, dass Europa künftig „auch die Sprache der Macht lernen“ müsse. Hinter der markigen Ankündigung verbirgt sich in erster Linie der Anspruch der künftigen Kommissionschefin, dass die EU künftig ihr unbestreitbares Gewicht als Wirtschaftsblock und Handelsmacht stärker in die Waagschale werfen soll. Der designierte Handelskommissar Hogan wird beispielsweise für die bis Ende kommenden Jahres geplante Unterzeichnung eines Investitionsschutzabkommen mit China zuständig sein. Die designierte geschäftsführende Vizepräsidentin Margrethe Vestager aus Dänemark wird wiederum bei der Beschneidung der Macht von Digitalkonzernen, die ihren Sitz in den USA haben, gefordert sein.

Ex-Verteidigungsministerin von der Leyen forderte bei ihrer Rede in Berlin zudem, dass die EU in der Sicherheitspolitik „eigene Muskeln aufbauen“ müsse. Diese Forderung dürfte in erster Linie den designierten Binnenmarktkommissar Thierry Breton aus Frankreich betreffen, der nicht nur den Binnenmarkt, sondern auch die europäische Verteidigungspolitik im Blick haben wird. Von Breton wird es abhängen, wie sich die im Jahr 2017 beschlossene ständige militärische Zusammenarbeit von EU-Staaten im Rüstungsbereich (Pesco) weiterentwickelt. Im Bereich der europäischen Verteidigungspolitik wird Breton der neuen Kommission möglicherweise eher seinen Stempel aufdrücken als der künftige EU-Außenbeauftragte Josep Borrell aus Spanien, der ebenfalls für dieses Feld zuständig ist.

Welche Impulse wird es von der Brüsseler Behörde in der Klimapolitik geben?

Große Erwartungen richten sich an die EU-Kommission beim Kampf gegen den Klimawandel. Der Niederländer Timmermans will sich als geschäftsführender Vize-Präsident dafür einsetzen, dass ein europäischer „neuer grüner Deal“ zu Stande kommt und das Ziel der Klimaneutralität in der Gemeinschaft bis 2050 erreicht wird. Damit in den EU-Staaten bis Mitte des Jahrhunderts tatsächlich der Großteil der Treibhausgase vermieden und der Rest etwa durch Aufforstung kompensiert wird, will Timmermans in den ersten hundert Tagen seiner Amtszeit ein Klimaschutzgesetz vorschlagen.

Von der Leyen hat Timmermans damit beauftragt, dass sich die EU bis 2030 ein neues Ziel für die Minderung von Treibhausgasen verordnet: statt bisher 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sollen es künftig mindestens 50 Prozent sein. Timmermans wird nicht der Einzige in der künftigen Kommission sein, der den „neuen grünen Deal“ verwirklichen soll. Ob das Vorhaben gelingt, wird auch von der estnischen Energiekommissarin Kadri Simson abhängen.

Hat die EU für all diese Aufgaben die nötige finanzielle Ausstattung?

Am Geld hängt die wohl größte Herausforderung für die neue Kommission. Der künftige Haushaltskommissar Johannes Hahn aus Österreich muss als Amtsnachfolger des gegenwärtigen deutschen EU-Kommissars Günther Oettinger sicherstellen, dass möglichst viel von den ambitionierten Finanzplänen der EU-Behörde übrig bleibt. Für die kommende Finanzperiode zwischen 2021 und 2027 hat Oettinger einen EU-Etat von gut 1,1 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung gefordert. Das entspricht einem Volumen von rund 1279 Milliarden Euro. Aus der Sicht der meisten Mitgliedstaaten - darunter Deutschland – ist diese Summe zu hoch. Der Streit um den mehrjährigen EU-Haushalt wird aus einem einfachen Grund diesmal besonders erbittert geführt: Der Brexit bringt es mit sich, dass künftig weniger Geld in der EU-Kasse vorhanden ist.

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