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Augenzeuge: Vom zufälligen ersten Tweet der Attacke auf bin Laden

Ein Pakistaner wurde Zeuge des Angriffs auf Osama bin Laden und twitterte davon, ohne zu begreifen, worum es ging. Erst mit anderen Rohdaten wurde daraus eine Nachricht.

Das Internet war dieses Mal nicht schneller im Verbreiten der Nachricht als die klassischen Medien – zumindest nicht direkt. Trotzdem ist es interessant zu beobachten, wie sich die Meldung von der Erschießung Osama bin Ladens im Netz verbreitete. Denn es zeigt, wie sehr sich die Welt gewandelt hat.

Dazu ein kurzer Sprung zurück: Das Blog Search Engine Land hat aufgeschrieben, wie Google nach den Anschlägen vom 11. September 2001 reagierte – die Seite verwies auf Fernsehen und Radio als beste Quellen für Informationen. Noch vier Stunden nach dem Ereignis stand auf der Hompeage Googles zu lesen: "If you are looking for news, you will find the most current information on TV or radio." Das Netz konnte nicht liefern, die meisten Nachrichtenquellen waren unter dem Ansturm zusammengebrochen.

Das war dieses Mal anders. Alle haben in den vergangenen zehn Jahren in das Netz investiert. Googles Nachrichtensuche, die auch als Reaktion auf den 11. September im Frühjahr 2002 gestartet worden war, hatte diesmal viele Quellen. Und sie brachen auch nicht zusammen.

Doch nicht allein Google hat sich verändert. Es gibt inzwischen neue Wege, wie sich Informationen verbreiten. Nahezu zeitgleich mit dem White House Press Corps informierte Dan Pfeiffer, der Sprecher des US-Präsidenten, auch via Twitter seine Follower über die bevorstehende Ankündigung Obamas. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, was der President of the United States (POTUS) sagen würde, aber einige Journalisten in amerikanischen Medien ahnten, worum es gehen könnte, und verbreiteten diese Ahnungen – wieder über Twitter und über soziale Netzwerke.

Steve Brusk, Coverage Manager bei CNN, twitterte kurz darauf, Obama werde eine für die nationale Sicherheit relevante Information verkünden. Eine letztlich banale Botschaft, die erst in der Rückschau Bedeutung erhält. Nur wenig später orakelte er: "You will want to be tuned in for this." So wichtig sei es, dass man es auf keinen Fall verpassen wolle. Was Obama verkünden wollte, hatte da jedoch schon Keith Urbahn getwittert, der einst Sprecher des damaligen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld war: "So I'm told by a reputable person they have killed Osama bin Laden." Ich habe von einer verlässlichen Person erfahren, dass sie Osama bin Laden getötet haben.

Urbahn gilt als erste seriöse Quelle für die Nachricht vom Tod von Osama bin Laden. Kurz darauf folgten viele andere, die meisten von ihnen Journalisten. Denn umgehend fingen die großen Nachrichtenseiten und -sender an, ihre Quellen in der Regierung anzurufen. Von ihnen bekamen sie die Meldung anonym bestätigt, wie es im Media-Decoder-Blog der New York Times heißt.

Twitter füllte also eine Lücke. Bevor die klassischen Medien ihre klassischen Berichte lieferten, kursierte die Nachricht hier in destillierter Form bereits. Und als die großen Medien ihre Texte, Berichte und Kommentare sendeten, sorgten die sozialen Netzwerke dafür, sie weiter zu verbreiten.

Das hat es in anderen Fällen schon ähnlich gegeben, doch neu ist, dass sich die Nachricht nicht jedem erschließt – nicht einmal demjenigen, der sie verbreitet:  Denn die wohl erste Quelle, die über den Angriff amerikanischer Sondereinsatzkräfte berichtete, war ein Augenzeuge. Der schrieb zwar, was er sah und hörte, begriff aber nicht, wovon er Zeuge wurde.

In mehreren Tweets berichtete der Pakistaner Sohaib Attar, Hubschrauber flögen über Abbottabad und Explosionen seien zu hören. Er twitterte auch, eine der Maschinen sei abgestürzt, zwei ausländische Cobra-Kampfhubschrauber hätten sie zuvor begleitet.

Erst Stunden später wurde ihm klar, was er dort gehört und getwittert hatte: "Uh oh, now I'm the guy who liveblogged the Osama raid without knowing it." Sinngemäß: Na toll, ich bin jetzt der Typ, der den Osama-Überfall live bloggte, ohne es zu wissen. Er wurde damit selbst zu einer Geschichte und berichtete kurz darauf, sein Mailpostfach sei zusammengebrochen, weil viele Medien versuchten, ihn für ein Interview zu erreichen.

Dabei ist nicht Sohaib Attar die Geschichte. Das Netz ist es. Er selbst weiß das, twitterte er doch auch den Satz: "I am JUST a tweeter, awake at the time of the crash. Not many twitter users in Abbottabad, these guys are more into facebook. That's all." Ein Zufall also sei es gewesen, dass er etwas bemerkt und getwittert habe.

Dieser Zufall ist das neue Nachrichtenprinzip. Denn egal wo auf der Welt etwas passiert – die Wahrscheinlichkeit, dass jemand es kurz darauf der gesamten Welt mitteilt, ist inzwischen groß. Und sie wird immer noch größer. Die Herausforderung ist es, diese Rohdaten wahrzunehmen und richtig zu deuten.

Im Prinzip war das schon immer so, kein Bericht zeigt das ganze Bild. Nicht umsonst unterhalten Geheimdienste riesige Abteilungen, die allein mit der Bewertung von Nachrichten beschäftigt sind und versuchen, größere Muster hinter den einzelnen Informationen zu erkennen. Und sind dabei manchmal selbst überfordert. Im Internet muss jeder, der verstehen will, was wirklich passiert, zu einem Auswerter werden.

Quelle: "Zeit Online"

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