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Eine Behörde, die für Sicherheit sorgen soll, aber bei manchen auch Unsicherheit provoziert.

© DPA

Verfassungsschutz: Das Maß an Vertrauen

Der NSU und der Fall Kurnaz haben den Blick der (post-)migrantischen Bevölkerung auf den Verfassungsschutz nachhaltig beeinflusst. Geblieben ist: Verunsicherung. Eine Kolumne.

In dem Jahr, in dem ich Abitur machte, brachten US-Streitkräfte den Bremer Murat Kurnaz nach Guantanamo, weil sie ihn fälschlich für einen Terroristen hielten. Er ist nur ein Jahr älter als ich. Auch er das Kind von Eltern, die aus der Türkei eingewandert waren. Später hieß es, dass die USA ihn für unschuldig hielten und nach Deutschland schicken wollten, aber die Bundesrepublik hätte die Einreise verweigert. Ich empfand das damals als eine Ansage an mich, an alle, die Eltern aus der Türkei oder aus muslimisch geprägten Ländern hatten: Wenn du zur falschen Zeit am falschen Ort sein solltest, bist du auf dich alleine gestellt.

Murat Kurnaz ist in Bremen geboren und aufgewachsen. Heute noch lebt er in Bremen. Im Fernsehinterview bei Beckmann nach seiner Rückkehr 2006 sagte er auf die Frage hin, ob er trotz allem hier bleiben wolle: „Ich bin aus Deutschland. Ich gehöre hierher.“ Eine biografische Tatsache, die unabhängig von seiner Staatsbürgerschaft seine Zugehörigkeit markiert. Unter den Maßnahmen der Bundesregierung, Murat Kurnaz aus Deutschland fernzuhalten, empfand ich damals eine als besonders perfide: Seine Aufenthaltsgenehmigung sei abgelaufen, weil er sich länger als sechs Monate im Ausland aufgehalten hätte. Struktureller Rassismus: Gesetze so auslegen, dass sie maximal nachteilig auf Menschen mit einem nichtdeutschen Hintergrund wirken, obwohl diese Auslegung jedem ethischen Gefühl widerspricht – es war bekannt, was in Guantanamo geschah – und eine andere Auslegung möglich ist. Übrigens geht es hierbei überhaupt nicht darum, ob der Beamte mit dieser ausgeklügelten Idee selbst rassistisch ist oder nicht: Jemand hat seine Analyse gewünscht, jemand hat seinen Vorschlag, der vielleicht einer unter mehreren war, angenommen, jemand hat ihn umgesetzt. Der Beamte, von dem der Vorschlag kam, heißt Hans-Georg Maaßen, damals Referatsleiter im Innenministerium.

Das Gefühl: Du könntest zur falschen Zeit am falschen Ort sein

Die Bundesregierung hat ihn 2012 an die Spitze des Verfassungsschutzes gesetzt. Da war, nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011, das Vertrauen der (post-)migrantischen Bevölkerung gegenüber deutschen Sicherheitsbehörden kaum noch vorhanden. Weil nicht in der rechtsextremen Szene ermittelt wurde, weil Nazis zehn Jahre lang mordend durch die Republik fahren und sich im Untergrund aufhalten konnten, weil ein Beamter des hessischen Landesverfassungsschutzes kurz vor oder während einer Ermordung am Tatort war, weil Akten geschreddert wurden uvm. Kurz: aufgrund eines strukturellen Rassismus, der sichtbar geworden war. Und jetzt sollte jemand dieses Vertrauen wieder herstellen, der selbst in Verbindung mit strukturellem Rassismus im Fall Kurnaz stand? Wessen Vertrauen eigentlich?

Die beiden neuerlichen Eklats – erstens: Maaßen habe der AfD womöglich Informationen zukommen lassen, und zweitens: seine Äußerungen zu Hetzjagden in Chemnitz – beschädigen abermals das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. Maaßen ist in diesen Wochen das Symbol eines Vertrauensverlusts geworden, der weit über ihn hinausragt. Vertrauen heißt, dass ich mir sicher sein kann, dass es den falschen Ort und die falsche Zeit für mich nicht gibt. Vertrauen ist größer als Wissen, es ist das beruhigende Gefühl, dass ohne jeden Zweifel die Verantwortlichen in Behörden die Fähigkeit und die Integrität haben, wo sie können, das Beste für die Menschen zu tun. Dass alles schon in Ordnung sein wird. Nichts ist in Ordnung.

Deniz Utlu

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