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Der damalige Helmut Schmidt war ein Verbündeter von Valerie Giscard d'Estaing.

© AFP

Frankreichs Ex-Präsident an Covid-19 gestorben: Valerie Giscard d'Estaing - der moderne, europäische Staatsmann

Valerie Giscard d'Estaing hat zusammen mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt die Diplomatie in Europa und der Welt verändert. Ein Nachruf.

Auch Reichtum und Prominenz können vor dem Coronavirus nicht schützen. Der frühere französische Staatspräsident Valerie Giscard d'Estaing starb am Mittwoch im Alter von 94 Jahren auf seinem Anwesen in Authon im französischen Département Loir-et-Cher nach kurzer Krankheit an Covid-19.

Der liberale Politiker war von 1974 bis 1981 französischer Staatspräsident. Er war Nachfolger des im Amt verstorbenen Georges Pompidou, hatte sich im Wahlkampf als überparteilicher Politiker präsentiert und vertrat eine Politik der gesellschaftlichen Öffnung.

Er reformierte die Gesetze zur Ehescheidung, zur Abtreibung und war ein entschiedener Befürworter des europäischen Integrationsprozesses. Dass es 1979 erstmals eine Direktwahl zum Europäischen Parlament gab, war maßgeblich auch seinem Einfluss zu verdanken.

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Als Modernisierer präsentierte er sich auch im täglichen Umgang mit dem Amt. Obwohl er die präsidiale Attitüde durchaus zu genießen verstand, hatte er – für ein französisches Staatsoberhaupt bis dahin undenkbar – keine Probleme, sich der Öffentlichkeit im Pullover zu präsentieren und, lässig gekleidet, zu Fußballspielen zu gehen.

Die größte politische Leistung des jetzt gestorbenen, ehemaligen französischen Präsidenten war aber keine innenpolitische, sondern entsprang einer Vision von globaler Verantwortung der großen europäischen Nationen, die er mit dem damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt teilte.

Er stand für einen neuen Politikstil

Die erste Ölkrise, ausgelöst 1973/1974 von den Boykottdrohungen der Erdöl produzierenden Golfstaaten und die folgende Wirtschaftskrise, hatten den Industrienationen vor Augen geführt, wie abhängig sie vom Öl sind, und wie wenig ihr politisches Handeln koordiniert werden kann. Dabei wurde eine schwäche der traditionellen diplomatischen Umgangsformen deutlich.

Giscard d'Estaing verstand sich immer auch als Europäer.

© John MACDOUGAL/AFP

Internationale Konferenzen bedürfen eines Anlasses, etwa Friedensgesprächen nach einem Konflikt. Sich „einfach mal so“ auf höchster Ebene zu treffen, ist in der Diplomatie schwierig. Wer lädt ein, und warum? An formalen Fragen scheiterten solche eigentlich nötigen Begegnungen oft.

Nie wurde das so deutlich wie bei der sogenannten „Beerdigungsdiplomatie“. Der Tod eines internationale bedeutenden Politikers wird zum willkommenen Anlass, am Rande der offiziellen Trauerfeierlichkeiten inoffizielle, diskrete Begegnungen in kleinem Kreis zu arrangieren, bei denen Politikerinnen und Politiker ihre Ansichten austauschen können, die eigentlich tief zerstrittene Ländern präsentieren. Der Tod des jugoslawischen Präsidenten Josip Tito im Mai 1980 war Anlass eines solchen internationalen Treffens.

Seine Idee trägt bis heute

Mit der zwanglosen Einladung des französischen Präsidenten und des deutschen Bundeskanzlers vom 15. Bis 17. November 1975 auf Schloss Rambouillet bei Paris war plötzlich ein inoffizieller Rahmen für Begegnungen der Spitzenpolitiker der wichtigsten Industrienationen geschaffen.Eingeladen waren die USA, Kanada, Japan, Großbritannien, Italien, Deutschland und als Gastgeber Frankreich. Aus den G 7 wurden unter Einbeziehung Russlands erst die G 8 und später die G 20.

Die „Ausladung" Russlands 2014 nach der Invasion der Krim zeigte aber, dass aus dem zwanglosen Rahmen von 1975 längst eine hochpolitische globale Veranstaltung geworden war. Das Format der G 20 hat sich nicht nur deshalb überlebt, es scheiterte an seiner schieren Größe und der Komplexität sowohl der globalen als auch der nationalen Probleme. Die Idee der beiden Regierungschefs Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt ist dadurch nicht obsolet geworden: Nur wer miteinander redet, hat die Chance, Probleme zu lösen.

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