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Beim Besuch von Kanzlerin Angela Merkel bei US-Präsident Joe Biden ging es auch um Nord Stream 2.

© Reuters

Update

USA und Deutschland legen Streit bei: Die wichtigsten Inhalte des Abkommens von Nord Stream 2

Berlin und Washington legen ihren Streit um Nord Stream 2 bei. Welches Kalkül die USA verfolgen und wie sich Russland positioniert – eine Analyse.

Der Streit um die Gasleitung Nord Stream 2 hat das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA fast zwei Jahre lang belastet. Doch nun haben beide Staaten eine Einigung erzielt, die am Mittwochabend bekannt gegeben wurde.

Demnach beendet die Regierung in Washington ihren Widerstand gegen die umstrittene Pipeline von Russland nach Deutschland. Das Abkommen enthält verschiedene Punkte, mit denen die Bundesregierung Bedenken der amerikanischen Seite und einiger osteuropäischer Staaten gegen den Pipelinebau ausräumen will.

Die Eckpunkte der Einigung

Deutschland hat zugesichert, der Ukraine bei Energieprojekten finanziell und diplomatisch zur Seite zu stehen. Unter anderem beteiligt sich Deutschland an einem neuen Fonds in Höhe von einer Milliarde Dollar, um der Ukraine bei der Umstellung auf alternative Energiequellen zu helfen und ihre Energiesicherheit zu verbessern. Damit soll etwa die Produktion von Wasserstoff in der Ukraine gefördert werden.

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Deutschland gibt hierfür eine Anschubfinanzierung von mindestens 150 Millionen Euro. Ziel ist es, dass sich auch private Investoren an dem grünen Fonds beteiligen.

Mit weiteren rund 70 Millionen Euro will Berlin bilaterale Energieprojekte in der Ukraine fördern, insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz. Deutschland werde zudem Energiegespräche innerhalb der „Drei-Meere-Initiative“ unterstützen, einem Bündnis von zwölf ost- und mitteleuropäischen Staaten.

Auch wollen Deutschland und die USA sicherstellen, dass der Transit von russischem Gas durch die Ukraine weitergeht und das Land dafür auch künftig Gebühren aus Moskau erhält. Ein entsprechender Vertrag zwischen beiden Staaten läuft Ende 2024 aus. Die Bundesregierung soll sich nun darum bemühen, dass dieses Abkommen um weitere zehn Jahre verlängert wird.

Bereits nach ihrem Gespräch mit US-Präsident Joe Biden in Washington hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel betont, die Ukraine müsse Transitland bleiben. Sollte sich Russland nicht daran halten, gäbe es eine „Vielzahl von Instrumentarien“. Die USA behalten sich Sanktionen für den Fall vor, dass Russland mit Hilfe der neuen Pipeline Druck auf die Ukraine ausübt.

[Die Russland-Connection: Lesen Sie bei Tagesspiegel Plus, wie sich Mecklenburg-Vorpommern für die umstrittene Pipeline einsetzte.]

Im Laufe der Verhandlungen hatten die USA von Deutschland eine Abschaltvorrichtung für die Pipeline gefordert, damit der Gashahn notfalls zugedreht werden könnte. Hier setzten sich die Deutschen, die rechtliche Bedenken geltend machten, durch.

Von einem „kill switch“ ist nicht mehr die Rede. Allerdings erklärt sich auch Deutschland in der Vereinbarung bereit, Konsequenzen auf nationaler und europäischer Ebene zu ergreifen, falls Russland die Energiepolitik als Waffe gegen die Ukraine einsetzt.

Das Kalkül der USA

Mit der Einigung ändert die US-Regierung ihren Kurs in dem seit Jahren schwelenden Konflikt, der die bilateralen Beziehungen belastet. Biden sieht das Projekt weiter kritisch, aus dem State Department hieß es am Mittwoch, es gebe „enorm unterschiedliche Auffassungen“, man lehne die Pipeline weiter ab.

Nichtsdestotrotz hatte der US-Präsident im Mai erklärt, auf Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft von Nord Stream 2 und ihren deutschen Geschäftsführer Matthias Warnig erst einmal zu verzichten, um einen Neustart der transatlantischen Beziehungen nach vier angespannten Jahren unter seinem Vorgänger Donald Trump zu ermöglichen. Zuvor waren die Arbeiten an der Pipeline wegen der US-Sanktionen gegen eine Schweizer Firma unterbrochen worden, deren Schiffe die Rohre verlegen.

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Im August läuft eine Frist ab, innerhalb derer Biden dem US-Kongress mitteilen muss, ob er bei dieser Haltung bleibt. Im Kongress gibt es großen Widerstand gegen die Pipeline, auch in Bidens eigener Partei wurde am Mittwoch Kritik an dem Deal laut.

Der Präsident argumentiert, Nord Stream 2 sei bei seinem Amtsantritt im Januar bereits zu mehr als 90 Prozent fertiggestellt gewesen. Er habe das Projekt also gar nicht mehr verhindern können.

Die Position der Ukraine

Der Führung in Kiew geht es in erster Linie nicht um Kompensationen für möglicherweise wegfallende Transitgebühren aus Russland, sondern um die Sicherheit ihres Landes. Kurz vor der Merkels Washington-Reise warnte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski deshalb noch einmal eindringlich vor dem Pipeline-Projekt. Nord Stream 2 sei eine „potenzielle Bedrohung der Sicherheit der Ukraine und der Region“, sagte er bei einem Besuch in Berlin.

Auch den bis 2024 geltenden Transit-Vertrag mit Russland sieht man in Kiew skeptisch, auf Zusagen aus Moskau will sich dort niemand verlassen. Deswegen fordert die Ukraine europäische Garantien für die Energiesicherheit.

Außerdem ist sie daran interessiert, die USA auch nach der Beilegung des Streits um die Pipeline als Akteur am Verhandlungstisch zu halten. Selenski regte an, das Thema Nord Stream 2 im Rahmen der von Deutschland und Frankreich vermittelten Friedensgespräche für die Ostukraine zu behandeln und zugleich die USA in die Friedensverhandlungen einzubeziehen.

Am Mittwoch verkündete das Weiße Haus, Biden werde Selenski am 30. August in Washington empfangen. US-Medienberichten zufolge unterrichtet ihn in dieser Woche ein Vertreter des State Department über die Einigung zu Nord Stream 2.

Die Warnungen aus Russland

Der russische Präsident drohte der Ukraine kürzlich ganz unverhohlen. Der weitere Gastransit durch das Land hänge vom guten Willen der Ukraine ab, sagte Wladimir Putin Anfang Juni auf einem Wirtschaftsforum in St. Petersburg.

Der Bau von Nord Stream 2 gibt dem Kreml die Möglichkeit, die durch die Ukraine führenden Leitungen nicht mehr zu nutzen. Kritiker des Projekts fürchten, dass Russland dann nichts mehr daran hindern würde, den noch immer schwelenden militärischen Konflikt im Osten der Ukraine weiter anzuheizen.

Die Äußerungen Putins deuten darauf hin, dass Russland den Gastransit tatsächlich als Hebel einsetzen könnte, um Zugeständnisse von der Ukraine zu erlangen.

Nur wenige Tage vor Merkels Besuch in Washington veröffentlichte der Kreml zudem einen Aufsatz Putins zur historischen Rolle der Ukraine. Darin spricht der russische Präsident dem Nachbarland indirekt die Eigenständigkeit ab. Putin betont, Russen und Ukrainer seien „ein Volk“.

Diejenigen, vor allem im Osten Europas, die aus bitterer Erfahrung gelernt haben, Statements des Kremls ernstzunehmen, sehen diesen Aufsatz als weiteren Beleg dafür, dass Putin die Ukraine als Teil einer russischen Einflusssphäre betrachtet.

Die Sicht der Osteuropäer

Der ehemalige polnische Außenminister Radoslaw Sikorski kritisierte den Deal mit deutlichen Worten. „Die harte Wahrheit ist, dass es nicht genügend russisches Gas gibt, um sowohl die Druschba-, die Jamal- als auch die Nord-Stream-2-Pipeline zu füllen“, sagte er vor Journalisten in Washington. Putin sei es von Anfang an darum gegangen, die Ukraine ihrer Transitgebühren zu berauben und sie zu erpressen.

Besonders scharf fällt Sikorskis Kritik an Berlin aus. Deutschland habe sich entschieden, den eigenen wirtschaftlichen Vorteil über das geopolitische Interesse der gesamten EU zu stellen und besonders über die Sicherheitsinteressen von Mittel- und Osteuropa, sagte er. Die Biden-Regierung wiederum sei der Auffassung, dass China die größte Bedrohung darstelle, und brauche deshalb Deutschlands und Europas Unterstützung, sagte der Europaabgeordnete. Dafür opfere Washington die Interessen Mittel- und Osteuropas.

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