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Beamte einer SEK-Einheit mit Tattoos in Thüringen.

© Ralf Roeger/picture alliance / dpa

Update

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts: Polizisten in Bayern dürfen keine sichtbaren Tattoos tragen

Tätowierungen an Kopf, Hals, Händen und Unterarmen bleiben bei der Polizei in Bayern verboten. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Seit sieben Jahren will sich Jürgen Prichta den Schriftzug „Aloha“ auf seinen Unterarm tätowieren lassen – als Erinnerung an eine traumhafte Hochzeitsreise nach Hawaii. Kein Problem, sollte man meinen im Jahr 2020. Den Wunsch erfüllt jedes Tattoo-Studio um die Ecke.

Das Problem: Der 43-Jährige ist Polizist, Oberkommissar in Bayern. Sein Dienstherr hatte seinen Antrag auf Genehmigung abgelehnt. Die Begründung: In der Sommeruniform mit Kurzarmhemd sei dann das Wort für jeden sichtbar.

Polizist Prichta war in Vorinstanzen unterlegen

Und als Polizist wird Prichta auf sein Tattoo verzichten müssen. Das Bundesverwaltungsgericht untersagte Polizeivollzugsbeamten am Donnerstag, sich im beim Tragen der Dienstkleidung (Sommeruniform) sichtbaren Körperbereich, das heißt konkret an Kopf, Hals, Händen und Unterarmen, tätowieren zu lassen (Az.: BVerwG 2 C 13.19).

Das Bayerische Beamtengesetz enthalte ein für Polizeivollzugsbeamte „hinreichend vorhersehbares und berechenbares Verbot“ von Tätowierungen, erklärte der Vorsitzende Richter Ulf Domgörgen nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa. Eine äußerlich erkennbare Tätowierung sei nicht mit der Neutralitäts- und Repräsentationsfunktion von Uniformträgern vereinbar. Das individuelle Interesse eines Beamten müsse hinter der Notwendigkeit eines neutralen Erscheinungsbildes der Polizei zurücktreten.

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Die Klage des Streifenpolizisten aus Lauf an der Pegnitz war in den ersten Instanzen vor dem Verwaltungsgericht Ansbach und dem Verwaltungsgerichtshof München (VGH) erfolglos geblieben. Die Richter des VGH hatten sich auf das Beamtengesetz des Freistaates gestützt, aber Revision zugelassen. Im Revisionsverfahren hatte Prichta sein Begehren dahin präzisiert, dass die Tätowierung maximal 15 mal 6 Zentimeter betragen soll.

Polizeioberkommissar Jürgen Prichta aus Bayern.
Polizeioberkommissar Jürgen Prichta aus Bayern.

© Britta Schulte/dpa

Grundlage für das Verbot ist der Artikel 75 des Bayerischen Beamtengesetzes: „Soweit es das Amt erfordert, kann die oberste Dienstbehörde nähere Bestimmungen über das Tragen von Dienstkleidung und das während des Dienstes zu wahrende äußere Erscheinungsbild der Beamten und Beamtinnen treffen. (...) Dazu zählen auch Haar- und Barttracht sowie sonstige sichtbare und nicht sofort ablegbare Erscheinungsmerkmale.“ Und somit eben auch Tätowierungen.

Innerhalb der Polizei sind es seit Jahren viel diskutierte Fragen: Dürfen Beamte Tattoos tragen? Wie wird ein Polizist mit sichtbarer Tätowierung im Dienst in der Öffentlichkeit wahrgenommen? Besteht das Risiko, dass Einsätze negativ beeinflusst werden? Schließlich ist der erste Eindruck von einem Menschen oft ausschlaggebend dafür, wie sich das Gegenüber verhält.

Anwalt sah schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht

Der Anwalt des Polizisten, Christian Jäckle, sah dagegen einen zu schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht seines Mandanten. Außerdem seien Tätowierungen schon lange kein Aufregerthema mehr, auch nicht bei der Polizei, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Während Bayern Tattoos im sichtbaren Bereich verbietet, sind andere Bundesländer weniger streng.

Extremistische, diskriminierende oder strafbare Inhalte bei Tattoos sind in allen Polizeibehörden verboten sind – sichtbar oder nicht. Berlin und Thüringen wenden ansonsten zurzeit vergleichsweise liberale Regelungen an: Hier werden sichtbare Tätowierungen geduldet, allerdings muss die Neutralität gewährleistet sein. Erlaubt sind nur Tattoos von minderer Größe und ohne besondere Symbolik. Im Saarland, in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz beispielsweise müssen sichtbare Tattoos im Dienst abgedeckt werden.

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„Das ist natürlich enttäuschend. Ich finde, es ist nichts Schlimmes, tätowiert zu sein“, sagte Prichta nach dem Urteilsspruch der dpa. „Ich war mit meiner Frau in den Flitterwochen auf Hawaii – und das war ein traumhafter Urlaub. Seitdem schmücken mich an anderen Stellen Figuren und Symbole aus dem Hawaiianischen. Das gefällt mir halt.“ Er sei kein schlechterer Polizist, nur weil er tätowiert sei.

„Tattoos sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen“

Jürgen Köhnlein, Vizechef des bayerischen Landesverbandes der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), bedauert die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. „Dadurch wird zwar Klarheit hinsichtlich sichtbarer Tattoos bei Polizeibeamtinnen und -beamten geschaffen, jedoch nicht der gewandelten gesellschaftlichen Akzeptanz gegenüber Tätowierungen Rechnung getragen“, sagte Köhnlein. „Tattoos sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“

In den Ländern wie hier in Sachsen gelten unterschiedliche Regeln.
In den Ländern wie hier in Sachsen gelten unterschiedliche Regeln.

© Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa

Köhnlein wies darauf hin, dass in der Altersgruppe der unter 30-Jährigen mittlerweile jeder Vierte tätowiert ist. Er befürchtet, dass man sich in absehbarer Zeit bei der Polizeieinstellung in Bayern nicht länger den Luxus leisten kann, für den Polizeiberuf gut geeignete Bewerberinnen und Bewerber wegen sichtbarer Tätowierungen zurückzuweisen.

In NRW siegt ein Bewerber für Polizeidienst vor Gericht

Auch in Nordrhein-Westfalen gab es am Donnerstag ein Urteil in einem Tattoo-Fall. Hier ging es um einen Bewerber für den Polizeidienst, der ein großflächiges Löwen-Tattoos auf der Brust hat. Wie dpa berichtete, hatte sich der Man aus Recklinghausen zum 1. September 2020 beworben. Das Testverfahren hatte er erfolgreich durchlaufen, dann lehnte das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei seine Einstellung aber mit der Begründung ab, es bestünden wegen des Tattoos Zweifel an seiner charakterlichen Eignung. Der Zähne fletschende Löwenkopf wirke angriffslustig und aggressiv auf den Betrachter und er vermittle einen gewaltverherrlichenden Eindruck.

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Das Obergericht war anderer Meinung: Allein aufgrund der Tätowierung sei kein Rückschluss auf eine bedenkliche Einstellung des Mannes möglich, urteilte das OVG (Az.: 6 B 212/20, nicht anfechtbarer Beschluss vom 12. Mai). Für die Beurteilung, ob der Anwärter sich an die Grundsätze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gebunden fühle, seien weitere Anhaltspunkte nötig, argumentierte das OVG. Der Antragsteller habe eine gewaltverherrlichende Einstellung dementiert und auf seine Trainertätigkeit und die dabei erworbenen soziale Kompetenzen hingewiesen. Für ihn stehe der Löwe für Stärke, Mut und Macht.

Die Bundesverwaltungsrichter in Leipzig machten deutlich, dass das Thema Tätowierungen durchaus Sprengkraft berge. Polizist Prichta, dem nur eine Genehmigung verwehrt wurde, sei ein weniger schwerer Fall. Aber gravierendere Grundrechtseingriffe seien denkbar – etwa wenn Bewerber wegen Tätowierungen abgelehnt werden und man so in ihre Berufsfreiheit eingreife. Oder wenn ein Dienstherr die Entfernung eines Tattoos fordere. Das wäre ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. „Ich glaube nicht, dass es der letzte Fall ist, der das Gericht beschäftigen wird“, sagte Richter Domgörgen.

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