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US-Präsident Donald Trump

© AFP/Brendan Smialowski

Untersuchungen gegen Donald Trump: Ist die Ukraine-Affäre das neue Watergate?

Ein Rechtsbruch, ein Amtsenthebungsverfahren: Immer wieder werden die Fälle Richard Nixon und Donald Trump verglichen. Das ignoriert Wichtiges. Ein Gastbeitrag.

Der Autor ist promovierter Historiker mit Schwerpunkt Geschichte der USA in globaler Perspektive und Dozent an der Universität Duisburg-Essen.

In turbulenten Zeiten haben historische Vergleiche Hochkonjunktur. Sie stiften Sinn, bieten Orientierung und ordnen eine unabgeschlossene Gegenwart mit den Lektionen scheinbar abgeschlossener Geschichten. Um objektive Wahrheiten geht es dabei selten, sondern vielmehr darum, die eigene Position zu legitimieren.

Auf die Suche nach einer brauchbaren Vergangenheit begab sich vor einigen Wochen die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, als sie eine inzwischen etablierte Analogie im politischen Tauziehen um eine mögliche Amtsenthebung von Donald Trump bemühte. Trumps Versuch, die Ukraine dazu zu bringen, seinen Rivalen Joe Biden in den Schmutz zu ziehen, „lässt Nixons Vergehen geradezu läppisch aussehen“, sagte die Demokratin aus Kalifornien.

Rund um das aktuelle Impeachment-Verfahren gibt es wenige Stichworte, die die Gemüter stärker in Wallung bringen als Watergate, das Symbol schlechthin für Korruption, Amtsmissbrauch und letztlich den Sieg der Gewaltenteilung über präsidiale Allmachtsfantasien. Im rhetorischen Arsenal der Trump-Widersacher hat Watergate einen festen Platz. Carl Bernstein, der einst den Skandal, der Richard Nixon zu Fall brachte, mit aufdeckte, erlebt derzeit seinen zweiten Frühling. Für den Starjournalisten sind die Echos der 1970er Jahre nicht zu überhören. So inflationär die Nixon-Vergleiche auch sein mögen - sind sie zutreffend? Und erfüllen sie ihren Zweck?

Richard Nixon und Donald Trump
Richard Nixon und Donald Trump

© AFP

Nixon profitierte von ähnlichen Spannungen

Richard Milhouse Nixons Weg ins Weiße Haus konnte unterschiedlicher als der von Donald Trump nicht sein. Der Sohn eines kalifornischen Zitronenfarmers wurde nicht mit einem silbernen Löffel im Mund geboren, und anders als den Millionärserben Trump zog es Nixon schon in jungen Jahren in die Politik. Mit 33 Jahren wurde der Marineoffizier und Weltkriegsveteran 1946 erstmals Kongressabgeordneter für die Republikaner, bevor die Kalifornier ihn 1951 zu ihrem Senator machten. Nixons Aufstieg war rasant, sein aggressiver Wahlkampfstil und unerbittlicher Antikommunismus verehrt und gefürchtet.

Als amtierender Vizepräsident forderte er bei der Präsidentschaftswahl von 1960 den demokratischen Hoffnungsträger John F. Kennedy heraus, unterlag ihm aber knapp. Nach einer erneuten Niederlage, dieses Mal um den Gouverneursposten in Kalifornien, zog sich Nixon 1962 aus dem politischen Geschäft zurück, nur um sechs Jahre später wie ein Phönix aus der Asche seinen größten Erfolg zu feiern. Am 20. Januar 1969 wurde Nixon als 37. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt, nachdem er zunächst seine parteiinternen Konkurrenten, darunter Ronald Reagan, und im Hauptwahlkampf den Demokraten Hubert H. Humphrey hinter sich gelassen hatte.

Und dennoch: Nixon profitierte vor einem halben Jahrhundert von ähnlichen Spannungen, die Trumps Wahlsieg 2016 ermöglichten. Beide Politiker verkörperten einen Rechtsruck, dem eine Phase des liberalen Aufbruchs vorausgegangen war. Was für Trump die Präsidentschaft Barack Obamas, des ersten Afroamerikaners im höchsten Staatsamt, bedeutete, waren für Nixon die sozialen Umbrüche der 1960er Jahre, allen voran die Bürgerrechtsbewegung und die Proteste gegen den Vietnamkrieg. Nixons Präsidentschaft markierte die Geburtsstunde der modernen Republikanischen Partei, die sich unter seiner Ägide von einer moderaten Marktwirtschaftspartei zu einer Bastion des Kulturkonservatismus entwickelte.

Absolutistischen Interpretation exekutiver Macht

Nixon stellte der linken sozialen Frage eine rechte entgegen, mit der er die Ängste von weißen Wählerinnen und Wähler, die sich von den Gleichstellungsforderungen historisch benachteiligter Gruppen bedroht fühlten, geschickt aufgriff. Er sprach von den „vergessenen Amerikanern“, deren Sorgen nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit stünden; von der „schweigenden Mehrheit“, die sich die Provokationen einer lautstarken Minderheit nicht länger gefallen lassen möchte; und von der Notwendigkeit einer Law-and-Order-Politik, die die Grenzen zwischen sozialem Protest und kriminellem Verhalten gezielt verschleierte. Dass sich alle drei Begriffe im politischen Lexikon des Trumpismus eingenistet haben, zeigt, dass sie nichts von ihrer Mobilisierungskraft eingebüßt haben.

Zu den Paradoxien beider Präsidentschaften gehört, dass sich über die selbsternannten Sheriffs im Weißen Haus der Schatten des Rechtsbruchs legte. Donald Trump, der 45. US-Präsident, steht in seiner absolutistischen Interpretation exekutiver Macht dem 37. Amtsinhaber Nixon in nichts nach. „Ich habe einen zweiten Artikel (in der Verfassung), der mir als Präsident das Recht gibt zu tun, was ich will“, sagte Trump Anfang des Jahres vor einer Versammlung junger Konservativer. Nixon ließ sich 1977 zu einer ähnlichen Behauptung hinreißen, als er dem Fernsehjournalisten David Frost vor laufenden Kameras entgegnete: „Wenn der Präsident etwas tut, bedeutet das, dass es nicht illegal ist.“ Doch hier enden die Gemeinsamkeiten.

Nach Lage der Dinge weist wenig darauf hin, dass Trump Nixons Schicksal ereilen wird. Nixon trat von seinem Amt im August 1974 zurück, nachdem seine Verwicklung in den Watergate-Skandal - den Einbruch in die Wahlkampfzentrale der Demokraten im gleichnamigen Washingtoner Hotel im Juni 1972 - in öffentlichen Kongressanhörungen ans Licht kam. Trumps Verstrickungen in der Ukraine werden ihn wohl kaum die Präsidentschaft kosten. Er kann sich die täglichen Twitter-Tiraden, die Einschüchterung von Zeugen und Abgeordneten leisten, weil die gegen ihn gerichteten Ermittlungen unter veränderten Vorzeichen stattfinden.

Der Hang zu Extrempositionen ist Produkt eines Kulturkampfs

Da ist zum einem die Hyperpolarisierung in der politischen Kultur des Landes. Hassrhetorik gab es im Zweiparteiensystem der USA schon immer, doch nach Nixon hat die gegenseitige Verachtung in den beiden Lagern spürbar zugenommen. 1974 votierte dementsprechend noch eine parteiübergreifende Mehrheit im Rechtsausschuss des Repräsentantenhauses für ein Impeachment-Verfahren, im Fall Trump war die Lagerbildung unübersehbar: Am 31. Oktober dieses Jahres stimmte nicht ein einziger Republikaner für die Aufnahme offizieller Ermittlungen gegen Trump.

Der Hang zu Extrempositionen ist das Produkt eines jahrzehntelangen inneren Kulturkampfs, der sowohl den Kalten Krieg als auch die Anti-Terror-Kriege seit 2001 überdauert hat. Hitzige Debatten um Abtreibung, Waffenkontrolle, Feminismus und Gleichberechtigung, die seit Jahrzehnten kompromisslos geführt werden, trieben nicht nur die oft beschworene Spaltung der Gesellschaft voran. Sie wirkten sich auch zersetzend auf eine Politik von Maß und Mitte aus. Früher als staatsmännische Tugend gepriesen, ist im US-Kongress das „reaching across the aisle“ - also die Fähigkeit, aufeinander zuzugehen - inzwischen zum Karriererisiko verkommen.

Die Saat der „culture wars“, der Kulturkriege, geht auch deshalb auf, weil sich das Verhältnis von Politik und Medien grundlegend gewandelt hat. Als Nixons Präsidentschaft zu Ende ging, lag das nationale Informationsmonopol weitgehend bei den sogenannten „Glorreichen Fünf“: den Fernsehkanälen CBS, NBC und ABC und den Tageszeitungen „New York Times“ und „Washington Post“. Carl Bernstein und sein Kollege Bob Woodward wurden als Helden gefeiert; Nachrichtensprecher wie das CBS-Urgestein Walter Cronkite für ihren seriösen Stil über Parteigrenzen hinweg geschätzt.

Das Herzstück der US-Demokratie geht zu Bruch

Die Erfolgsgeschichte des Kabelfernsehens in den 1980er und 1990er Jahren revolutionierte den politischen Journalismus - weg von der sachlichen Berichterstattung hin zum konfrontativen Spektakel. Mit Fox News als Welterklärer für das konservative und MSNBC für das liberale Amerika wurden Filterblasen zum lukrativen Geschäftsmodell, noch bevor Facebook und Twitter digitale Marktplätze der Verleumdungen und Gerüchte zur Verfügung stellten. Wenn Trump den Ausschuss, der gegen ihn ermittelt, als „kangaroo court“ bezeichnet, braucht er keine Faktenchecker zu fürchten. Denn diese stehen, anders als früher Walter Cronkite, längst nicht mehr über den Dingen.

Im Meinungsextremismus der neuen Medien droht derweil das Herzstück der US-amerikanischen Demokratie zu Bruch zu gehen: das Vertrauen in die Institutionen. Konnte der Kongress auf dem Höhepunkt der Watergate-Skandals noch einen Zustimmungswert von 47 Prozent verbuchen, sank dieser im November 2013 auf einen historischen Tiefstand von neun Prozent. Die Vertrauenskrise ist flächendeckend, und sie umfasst, wenn man jüngere Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Gallup als Maßstab nimmt, auch andere Einrichtungen des öffentlichen Lebens: Banken, Kirchen, Zeitungen, die Polizei, das Justizwesen.

Trumps Immunisierungsstrategie zeigt Wirkung

Dieser Statusverlust hat Konsequenzen: Während Nixon schriftlich noch Bereitschaft zur Kooperation mit seinen Anklägern signalisierte, wird Trumps Beschimpfung von Adam Schiff, dem anfänglichen Vorsitzenden des Geheimdienstausschusses, als „menschlichem Abschaum“ wohl folgenlos bleiben. Vermutlich erlebte die Demokratie noch nie ein goldenes Zeitalter, doch das Aufspüren niederer Motive auf allen Ebenen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Handelns scheint nicht nur in den USA zu einem fragwürdigen Volkssport geworden zu sein. Wie unter solch postdemokratischen Umständen eine Wiederaufführung von Watergate im Jahre 2019 möglich sein soll, entzieht sich auch der Vorstellungskraft von Trumps schärfsten Kritikern.

Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich, lautet ein irrtümlich Mark Twain zugeschriebenes Bonmot. Im Falle von Donald Trump und Richard Nixon handelt es sich um einen ziemlich unreinen Reim. Man mag politisch-ideologische Entwicklungslinien von Nixons konservativer Wende zu Trumps populistischer Revolte ziehen. Zugleich sind die Hoffnungen auf ein Watergate 2.0 nicht viel mehr als ein Ausdruck allgemeiner Empörung und Ratlosigkeit. Trumps Immunisierungsstrategie zeigt Wirkung, der republikanisch dominierte Senat wird den Demokraten im Repräsentantenhaus nicht folgen. Und wir sehen weiter dabei zu, wie sich die liberale Demokratie ihrer eigenen Lebensgrundlagen beraubt.

Mischa Honeck

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