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Bulgariens Regierungschef Boiko Borissow.

© AFP

Bulgariens EU-Vorsitz: Unter den Augen Moskaus und Ankaras

Bulgarien, der ärmste EU-Mitgliedsstaat, übernahm am 1. Januar den sechsmonatigen Vorsitz der EU. Im kommenden Halbjahr ist mit politischem Druck durch die Türkei und Russland auf die bulgarische Regierung zu rechnen.

Der Brexit, die Flüchtlingspolitik und der künftige EU-Haushalt ab 2021 – das sind entscheidende Themen für Bulgariens Vorsitz in der Europäischen Union, den Sofia zur Jahreswende übernahm. Daneben dürften das Verhältnis der Türkei und Russlands zur EU in den Blickpunkt rücken. Beide Länder werden voraussichtlich Druck auf die bulgarische Regierung ausüben, um ihre schwierigen Beziehungen zur Europäischen Union voranzutreiben.

„Bulgarien wird die EU-Ratspräsidentschaft in einem Schlüsselmoment für die Union übernehmen … Möge das Motto ‚Gemeinsam bleiben wir stark‘ uns leiten“, erklärte der bulgarische Premierminister Bojko Borissow in einem Beitrag auf Facebook.

Besonders heikel ist die geplante Ausarbeitung eines neuen europäischen Asylsystems. Bulgarien eine Frist bis Juni 2018, in der die EU-Staats- und Regierungschefs die Überarbeitung der Dublin-Verordnung vereinbaren müssen. Das gegenwärtige System überlastet derzeit Staaten wie Griechenland und Italien. Allerdings sind die Mitgliedsländer noch geteilter Meinung darüber, wie sie die Dublin-Verordnung ersetzen können.

Ankara hoffte auf einen EU-Türkei-Gipfel

Um Lösungen für die europäische Flüchtlingspolitik voranzutreiben, wird Sofia voraussichtlich auch auf normalisierte Beziehungen mit der Türkei drängen, mit der Bulgarien eine 260 Kilometer lange Grenze teilt.

Seit dem gescheiterten Staatsstreich gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2016 haben sich die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei dramatisch verschlechtert. Ankara kritisiert mangelndes europäisches Interesse an der Entwicklung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei, heißt es in einer von Mediapool zitierten Veröffentlichung der Tageszeitung „Hürriyet“. Der Artikel mit dem Titel „Die Türkei wurde ignoriert“ ist ein Seitenhieb gegen Borissow, der damit scheiterte, einen EU-Türkei-Gipfel auf die Tagesordnung der bulgarischen Präsidentschaft zu setzen. Der Artikel kritisiert auch Borissows kürzliche Aussage, denen zufolge die „Heuchelei“ in den Erklärungen aufhören müsse, dass die Türkei ein EU-Mitglied werden wird.

Verwirrung um EU-Sanktionen gegen Russland

Auch Russland ist daran interessiert, während der bulgarischen Präsidentschaft seinen Einfluss auf Bulgarien zu nutzen. So zitierte die russische Agentur Itar-Tass am 1. Januar die bulgarische Ministerin für die EU-Präsidentschaft, Lilyana Pavlova, mit der Aussage, dass Sofia die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland auf die europäische Agenda setzen werde. „Premierminister Bojko Borissow und die bulgarische Regierung halten es für notwendig, das Thema der Sanktionen als eine der Prioritäten der bevorstehenden Debatte zu setzen. Dieses Thema wird in verschiedenen Formaten diskutiert werden, um die beste Lösung zu finden und das Problem zu lösen,“ zitierte die russische Nachrichtenagentur Pavlova.

Diese Episode liefert einen Vorgeschmack auf Moskaus Taktik im Hinblick auf die bulgarische EU-Ratspräsidentschaft. Denn die Worte, mit denen Itar-Tass die bulgarische Ministerin zitierte, sind – gelinde gesagt – überraschend. Wie andere EU-Mitglieder ist Bulgarien zwar nicht glücklich über die EU-Sanktionen gegen Russland – stehen diese doch Geschäftsmöglichkeiten mit anderen Nicht-EU-Ländern wie Serbien entgegen. Dennoch hat Bulgarien bei der Abstimmung über die Verlängerung der Sanktionen sein Vetorecht bisher nicht genutzt.

Auch Borissow stellte jüngst klar, dass sein Land im Hinblick auf die Sanktionen auch künftig der EU-Mehrheit folgen werde. Dabei nannte er überraschenderweise die Namen einiger EU-Länder, die gegen die russischen Sanktionen sind.

Die bulgarische Ministerin Pavlova reagierte auf die Meldung von Itar-Tass ebenfalls mit Verwunderung. Sie sei von der Interpretation ihrer Äußerungen vom vergangenen November durch Itar-Tass überrascht gewesen, erklärte Pavlova. Die Frage der Sanktionen sei bereits während der estnischen Präsidentschaft „abgeschlossen“ gewesen, da die EU-Regierungschefs bereits auf dem letzten Gipfel im Dezember beschlossen hatten, die Sanktionen bis zum 30. Juli 2018 zu verlängern, erklärte sie.

Erschienen bei EurActiv.

Das europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.

Georgi Gotev

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