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Katja Kipping, Bundesvorsitzende Die Linke, sorgt sich um die Lage der SPD.

© Gregor Fischer/dpa

„Unsere Lage ist verdammt ernst“: Katja Kipping über Existenzängste der Linken

Linkspartei-Chefin Katja Kipping will um neue linke Mehrheiten im Bund kämpfen. Neuwahlen würden immer wahrscheinlicher, sagt sie im Interview.

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Frau Kipping, alle reden über die Krise der SPD. Derweil ist Ihre Partei bei der Europawahl nur knapp über fünf Prozent gekommen. Muss die Linke Existenzängste haben?

Unsere Lage ist verdammt ernst. Ein großes Problem bei der Europawahl war, dass unserer Wählerschaft nicht klar war, welche Funktion die Linke im Europaparlament hat. Bei der Bundestagswahl darf sich das nicht wiederholen.

Wie wollen Sie die Wähler denn überzeugen?

Dort wo wir für Veränderung stehen, gelingt es uns besser, unser Potenzial auszuschöpfen. In Bremen haben am gleichen Tag deutlich mehr Menschen die Linke bei der Bürgerschaftswahl gewählt als bei der Europawahl. Ihnen war klar, dass die Linke ihr Programm auch in einer Landesregierung umsetzen würde. Das fanden sie offenbar überzeugend. In Thüringen erleben wir ähnliches.

Inwiefern? Bei der Europawahl ist die Linke dort doch auch abgestürzt.

Zwei Tage nach der Europawahl gab es eine Umfrage zu der Landtagswahl im Oktober. Mit 24 Prozent stand die Linke wieder viel besser da. Offensichtlich wollen viele, dass es weiter eine linke Regierung unter einem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow gibt.

Warum profitiert die Linke so gar nicht von der Schwäche der SPD?

Die Zeiten, in denen die Werte der Linken hoch gingen, wenn die SPD schwach war, sind vorbei. Früher gab es eine gesellschaftliche Polarisierung zwischen neoliberal und sozial, heute findet sie zwischen den beiden Polen liberal weltoffen und autoritär rechts statt. Das stärkt die Grünen und die AfD. Uns muss es gelingen, wieder stärkere Auseinandersetzungen übers Soziale beziehungsweise über die Systemfrage zu führen.

Besteht das Problem der Linken nicht auch darin, dass die Partei sich nie für einen klaren Kurs entscheiden konnte, sei es in der Europa-, der Flüchtlings- oder nun auch der Klimapolitik?

Programmatisch und in unserem Abstimmungsverhalten sind wir da klar. In der Klimapolitik bescheinigt eine Übersicht von Umweltverbänden sogar, dass wir inhaltlich besser aufgestellt sind als die Grünen. Aber unser Image ist ein anderes, bei der Solidarität mit Flüchtlingen etwa gilt die Linke als unentschlossen.

Wundert Sie das? Sahra Wagenknecht hat immer einen komplett anderen Kurs vertreten als Sie…

Unsere Wählerschaft ist in der Flüchtlingsfrage aber auch viel heterogener aufgestellt als die grüne Wählerschaft.

Besonders desaströs sieht die Lage für die Linke im Osten der Republik aus, und das vor den für Ihre Partei so wichtigen Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Wie erklären Sie sich das?

Bei Gesprächen im Plattenbau und vor dem Jobcenter bin ich immer wieder auf ein Problem gestoßen. Die Menschen sagen mir, ich habe Euch so oft gewählt, aber Hartz IV gibt es immer noch. Sie glauben, dass ich etwas ändern will, aber sie bezweifeln, dass ich es kann – wegen der fehlenden Regierungsoption im Bund. Daraus wächst ein Ohnmachtsgefühl.

Um das zu durchbrechen, brauchen die Menschen die Aussicht, dass sich für sie wirklich etwas verändern kann. Das geht nur, wenn es im Bund einen grundlegenden Kurswechsel in der Sozialpolitik gibt. Mit CDU und CSU wird es den nicht geben, wir brauchen Druck aus der Gesellschaft und Mehrheiten links der Union. Ich weiß, dass das waghalsig klingt. Aber nur so können wir den Rechtsruck aufhalten.

Unter Andrea Nahles hat sich die SPD ein Stück weit von den Schröderschen Sozialreformen verabschiedet. Die Grünen rücken in dieser Frage auch nach links. Macht Ihnen das Hoffnung für ein Linksbündnis?

Auf jeden Fall. Es bewegt sich einiges. Am Anfang musste ich noch in meiner eigenen Partei für Hartz-IV-Sanktionsfreiheit kämpfen, ähnlich sah es bei der Kindergrundsicherung und dem garantierten Schutz vor Altersarmut aus. Inzwischen gibt es dafür breite Bündnisse, oft sind neben uns die Grünen und wenigstens Teile der SPD dabei. Nur gab es bisher keine Regierungsmehrheiten dafür.

Sie ziehen in die nächste Bundestagswahl also mit dem Bekenntnis, dass Ihre Partei in einem Mitte-Links-Bündnis regieren will?

Ich schlage meiner Partei vor, dass wir den Kampf um neue linke Mehrheiten aufnehmen. Das heißt nicht, dass wir in die Mitte rücken oder unsere Grundsätze über Bord werfen. Ein solcher Kurs der Anpassung wäre im Osten verheerend. Wir müssen klare linke Positionen beziehen, die Eigentumsfrage radikal stellen – und zugleich SPD und Grüne auffordern, gemeinsam etwas zu verändern.

Die Bedeutung der Volksparteien ist kleiner geworden, die Parteienlandschaft verändert sich. Muss Ihre Partei in einer solchen Situation auch über neue Bündnisse nachdenken, etwa eine Regierung aus CDU, Linken und Grünen?

Als Sächsin kann sagen: Die CDU ist für alle Probleme im Land verantwortlich, von der Bildungspolitik bis zum Personalmangel bei der Polizei. Die Sachsen-CDU hat außerdem die rechten Umtriebe immer verharmlost. Eine Regierung mit der sächsischen CDU ist für mich indiskutabel.

Ist das in Brandenburg anders?

Nicht sehr. Dort spricht nichts für ein Bündnis mit der CDU. Grundsätzlich müssen wir der Gegenpol zu CDU und AfD sein und sollten nicht damit werben, dass wir der CDU ins Amt verhelfen wollen. Wenn der Eindruck entsteht, dass Linke und CDU in einem Boot sitzen, stärkt das nur die AfD.

Wie schätzen Sie die Lage in Thüringen ein?

Thüringen steht vor der Entscheidung zwischen einem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow oder dem AfD-Hardliner Björn Höcke. Bodo oder Barbarei.

Was passiert, wenn Rot-Rot-Grün im Erfurter Landtag keine Mehrheit bekommt?

So lange keine Mehrheit für einen anderen Ministerpräsidenten zustande kommt, bleibt Bodo Ramelow Ministerpräsident. Das schreibt die Verfassung in Thüringen vor. Aber diese Frage stellt sich jetzt gar nicht. Die Koalition wirbt um einen neuen Regierungsauftrag und einer der beliebtesten Ministerpräsidenten der ostdeutschen Bundesländer spielt nicht auf Platz, sondern auf Sieg.  

Die AfD ist in einigen Regionen im Osten stärkste Kraft geworden, obwohl sie immer radikaler auftritt. Woran liegt das?

Viele haben die These vertreten, dass man die AfD einbinden müsse. Unzählige Talkshows haben nur noch Themen aufgerufen, die der AfD in die Hände spielten - Flüchtlinge, Terror, Islamismus. Die AfD saß gewissermaßen als Experte am Tisch, anstatt dass sie mit der Frage konfrontiert wurde, welche Konzepte sie zur Reichtumsbesteuerung hat.

Das Ergebnis dieses medialen AfD-Integrationsprogramms ist, dass sich die Partei nach rechts radikalisiert hat. Und sämtliche Versuche, in der AfD eine Mauer gegen rechts einzuziehen, sind gescheitert, die Neonazis dort werden immer einflussreicher.

Manche Menschen wählen AfD, weil sie den anderen Parteien einen Denkzettel verpassen wollen. Warum funktioniert die Linke nicht mehr als Protestpartei?

Es gibt einen bis in die Mitte der Gesellschaft verwurzelten Rassismus, der durch die AfD aufgerufen und salonfähig gemacht wird. Es gibt aber auch Menschen, die den Rassismus der AfD nur in Kauf nehmen, eigentlich aber ein anderes Motiv haben. Die sagen, ich habe drei Mal die Linke gewählt, aber noch immer gibt es keine bessere Absicherung bei der Rente für DDR-Geschiedene. Diese Menschen wählen AfD, weil sie die Regierenden schocken wollen. Die herrschende Sozialpolitik im Bund hat dazu geführt, dass die AfD stärker geworden ist.

Lassen sich denn AfD-Wähler zurückholen? Das hat ja zum Beispiel Sahra Wagenknecht mit ihrer „Aufstehen“-Bewegung angestrebt.

Man muss als Linke um alle kämpfen, die uns einst gewählt haben oder die sich vorstellen können, uns zu wählen. Aber falsch wäre es, wenn wir sagen, wir wollten uns nun vor allem um die AfD-Wähler kümmern. Allein der Diskurs „Mit Rechten reden?“ spielt doch Pegida, AfD und Co. in die Hände. Er signalisiert, wenn du so richtig rechts auftrittst, bekommst du mehr Aufmerksamkeit. Wenn ich mit dem roten Wohnzimmer unterwegs bin, rede ich mit allen Menschen und frage nicht, ob sie rechts oder links sind.

Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, will der Fantasie über Rot-Rot-Grün im Bund "Futter geben".
Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, will der Fantasie über Rot-Rot-Grün im Bund "Futter geben".

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Wenn wir über Sachsen reden: Halten Sie es für möglich, dass dort nach der Landtagswahl im September eine schwarz-blaue Regierung an die Macht kommt?

Diese Gefahr ist real. Obwohl Ministerpräsident Michael Kretschmer – und das nehme ich ihm ab – dagegen ist. Wenn die CDU ein schlechtes Ergebnis bekommt, wird sie Kretschmer abschießen. Und der Flügel, der sich eine Koalition mit der AfD vorstellen kann, wird sich durchsetzen.

Die Bundes-CDU will das partout nicht.

Die haben doch gerade genug eigene Probleme. In Sachsen drohen österreichische Verhältnisse. Aus Österreich wissen wir: Wenn Rechtsradikale in den Ministerien sitzen, nutzen sie ihre Macht für Korruption. Die werden den Einfluss der Kameradschaften und der rechtsextremen Szene ausbauen. Der Staat würde zum Dienstleister der Nazis.

Wie wollen Sie darauf reagieren?

Die Linke muss rein in die Platte. Ich mache das in Dresden immer wieder. Wir müssen in den Plattenbaugebieten permanent präsent sein, zum Beispiel mit Haustürbesuchen. Für den ländlichen Raum, wo sich viele abgehängt fühlen, engagiert sich die sächsische Linke gerade für ein Dorfladenprogramm.

Rechnen Sie mit vorgezogenen Neuwahlen?

Sie werden immer wahrscheinlicher. Diese Groko ist fertig.

Und Grünen-Chefin Annalena Baerbock wird die nächste Kanzlerin?

Bevor wir Ministerposten oder gar den Posten der Kanzlerin verteilen, müssen wir erstmal andere Mehrheiten in der Gesellschaft schaffen und sie dann im Parlament bekommen. Wir müssen jetzt den Kampf um neue linke Mehrheiten vorbereiten. Und das wird verdammt kompliziert. Das erfordert Diskussionen in der Partei sowie den Austausch mit gesellschaftlichen Akteuren. Das ist übrigens einer der Gründe, warum ich aktuell nicht als Vorsitzende der Linksfraktion antreten werde.

Grundsätzlich hätten Sie aber mit einem grünen Bundeskanzler oder einer grünen Bundeskanzlerin kein Problem?

Ich wünsche mir, dass sich alle drei Parteien, SPD, Grüne und Linke, auf Augenhöhe treffen. Dass wir im Moment hinten liegen, hat auch mit eigenen Fehlern zu tun.

Was haben denn die Grünen, was Sie nicht haben?

Deren Wählerschaft ist nicht so vielfältig. Ich rede lieber darüber, wo wir besser sind. So sind wir bereit, uns mit den Konzernen anzulegen – eine wichtige Voraussetzung für konsequenten Klimaschutz.

Wenn sie die Chance hätten, mit SPD und Grünen eine andere Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik durchzusetzen, wären Sie dann zu außenpolitischen Kompromissen bereit, etwa bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr?

Wenn wir um neue linke Mehrheiten kämpfen wollen, müssen wir zunächst über die Gemeinsamkeiten reden, der Fantasie also Futter geben. Die Außenpolitik gehört zu den trennenden Punkten. Von meiner Seite kann ich sagen: Da wird es keine Geschenke geben. Die Zustimmung zu Militäreinsätzen ist für mich undenkbar. Wobei unsere Anti-Kriegshaltung ja auch eine Chance darstellt, die bisherige Regierungspolitik grundsätzlich in Frage zu stellen.

Sorgt Sie die Lage der SPD?

Ja. Das ist wahrlich nichts, wo man jubilieren kann. Der große Fehler der SPD zuletzt war nicht, Andrea Nahles zur Chefin zu wählen. Ihr großer Fehler war der Irrglaube, sie könnten die notwendige Erneuerung in der Regierung mit der Union voranbringen.

Wie haben Sie den Umgang mit Andrea Nahles erlebt?

Ein Meisterstück von Männern, die selbst den Abstieg der SPD mit auf dem Gewissen haben.

Ist Politik zu brutal geworden?

Nun, brutal würde ich die Auswirkungen der Politik nennen. Brutal ist, wenn Menschen nicht mehr wissen, wie sie am Monatsende über die Runden kommen. Oder wenn an einem Sonntag fast 60 Menschen im Ergebnis der EU-Abschottungspolitik ertrinken. Generell ist der Ton in der Politik rauer geworden, was unter anderem mit dem Rechtsruck zu tun hat.

Wir wissen nicht, wer den Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke ermordet hat. Aber wir wissen, wer seinen Tod auf widerlichste Art abfeiert: die rechte Szene. Dort sehe ich eine neue, menschenverachtende Brutalität.

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