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(Un)Klarheit auf dem Parteitag der Piraten.

© dapd

Nach dem Parteitag: Unmut unter den Piraten

Nach dem Bundesparteitag der Piraten am Wochenende zeigt sich, dass die Konstruktionsmängel der Partei vielleicht doch schwerwiegender sind als gedacht. Wohin sich die Partei entwickelt, ist offener denn je.

Am Samstag hatte es noch wie ein Scherz gewirkt: Am Pressetisch im Saal des Bochumer Ruhrcongress machte das Gerücht die Runde, Stephan Urbach, Angestellter der Berliner Piratenfraktion und auch ohne Vorstandsamt oder Landtagsmandat eine prominente Figur unter den Piraten, sei spontan aus der Partei ausgetreten. Da Urbach aber zur selben Zeit seinem Amt als Wahlleiter des laufenden Bundesparteitags nachging, schenkte man dem eher wenig Glauben. Das alles wirkte wie eine dieser typisch „piratig“ lancierten Falschmeldungen, in denen Humor, Koketterie und die Lust an der Übertreibung mit einer Prise Gereiztheit zusammenkommen.

Dass es Urbach am Samstag durchaus ernst war, zeigt nun ein Interview mit ihm und dem ebenfalls intern prominenten Berliner Piraten Philip „Plätzchen“ Brechler, in Bochum stellvertretender Versammlungsleiter, das am Montagmorgen auf der Onlineseite des Magazins "Cicero" erschien: „Mein Gefühl gerade ist: Das ist nicht meine Partei”, sagt Urbach da – und berichtet, dass er am Samstag bereits eine Austrittserklärung geschrieben, diese später jedoch wieder zerrissen habe. “Vielen Piraten fehlt die politische Bildung”, sekundiert Brechler. Ihre Kritik betrifft auch die demokratischen Verfahrensweisen der Partei: Dass ein Antrag zum Thema Inklusion auf Druck des Plenums gleich dreimal abgestimmt wurde, weil vor der ersten Abstimmung eine brisante Formulierung zum Schutz „nationaler Identitäten“ schlicht nicht aufgefallen war, nennt Urbach „demokratisch höchst fraglich“. Brechler beklagt, viele Antragssteller hätten zudem versucht, mit versteckten Verweisen auf ergänzende Anträge die Tagesordnung „auszutricksen“.

Gemeinsam mit der sich unvermeidlich anschließenden Diskussion bei Twitter dokumentiert das vor allem eins: Die Wachstumsschmerzen der Partei, ihr Leiden an den eigenen Konstruktionsmängeln, sind vielleicht doch größer, als es ein formal erfolgreicher Parteitag, mit programmatischen Beschlüssen zu Wirtschafts-, Außen- und Umweltpolitik, ahnen lässt. Wesentlich häufiger als bei den vorangegangenen Treffen in Offenbach und Neumünster wirkte das Führungspersonal von Partei und Parteitag machtlos gegenüber der Basis. Die machte mit ihrem Wankelmut und ihrer Uninformiertheit in Bochum nicht unbedingt Werbung dafür, sich basisdemokratische Verfahren auch an andere Stellen der Gesellschaft zu wünschen. Die innerparteilich hochgeachtete Bundesschatzmeisterin Swanhild Goetze machte ihrem Ärger über unsinniges Abstimmungsverhalten in einem Blogpost Luft, nachdem sie mit einem Antrag für eine Art parteiinternen Länderfinanzausgleich an Vorbehalten, Eigen- und Partikularinteressen donnernd gescheitert war: “Ich dachte bisher, ich wäre in einer Partei, in der die Piraten füreinander einstehen, sich vertrauen und Gerechtigkeit wichtig finden.” Man habe im Vorfeld “viel Zeit und Geduld” aufgebracht. Aber: “Warum sollte ich nächstes Jahr wieder ca. 80 Stunden Zeit opfern, um mir gemeinsam mit den von Euch gewählten Finanzratsmitgliedern einen Kompromiss auszudenken, der von Euch dann in einer halben Stunde abgebügelt wird?” Nun sei sie "traurig" und "enttäuscht".

Dass auch eine wie Goetze vom Parteiplenum für vermeintliche Ermächtigungsbestrebungen abgestraft wird: Das passt ins Bild einer Partei, die – aus Angst, von Machtkartellen unterwandert zu werden – in der hitzigen Stimmung auf Parteitagen oft nicht einmal auf Kompetenz basierende Autorität zulassen will. Der Bundesparteitag sei „nun einmal das höchste Organ und hat immer Recht”, schreibt Goetze bitter. Dass dessen mögliche Entmachtung zugunsten einer ständigen Mitgliederversammlung im Netz zunehmend als Lösung im Raum steht, erscheint da nur konsequent. Urbach und Brechler wollen sie, ebenso die prominenten Berliner Abgeordneten Martin Delius und Christopher Lauer. Dass die Frage nach ihr am Sonntag kurzfristig mit anderen Satzungsänderungsanträgen von der Tagesordnung geflogen war, machte auch Parteichef Bernd Schlömer betroffen. „Eine Partei, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, Inhalte anders, nämlich digital, zu entwickeln, muss sich dieser Frage irgendwann stellen.“, sagte er am Sonntagabend dem Tagesspiegel – und wirkte dabei zwar angenehm authentisch, aber auch ein wenig hilflos.

Wohin sich die Partei entwickelt, ist offener denn je. Neben den fortdauernden Diskussionen über die vertagte Grundsatzfrage nach der ständigen Mitgliederversammlung sorgt ein ominöses Basisbegehren zur baldigen Neuwahl des Bundesvorstands für Unruhe. Der wollte eigentlich ein halbes Jahr länger als geplant im Amt bleiben, um vor der Bundestagswahl keine Zeit für Personaldebatten zu opfern. Sicher scheint nur eins: Die politischen und organisatorischen Leistungsträger der Partei wollen sich nicht mehr unwidersprochen vom Plenum gängeln lassen. Ob das dann noch seine Leistungsträger will – nicht nur mit dieser Frage gehen die Piraten in eine spannende Zukunft.

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