zum Hauptinhalt
Gerade Vorlesungen müssen nicht im Hörsaal stattfinden, sondern könnten digital vermittelt werden.

© Sebastian Gollnow/dpa

Lebenslanges und individuelles Lernen: Universitäten sehen die digitale Lehre als Zumutung - dabei ist sie eine Chance

Präsenzveranstaltungen für Studienanfänger sind richtig - dann aber die Effizienz digitaler Lehre für Vorlesungen nutzen. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Das Sommersemester geht zu Ende, und wieder entbrennt an den Universitäten und Hochschulen eine heftige Diskussion um Abstand, Maske und den Umgang mit dem Corona-Virus im Winterhalbjahr.

An der Oberfläche geht es nur um den Konflikt zwischen Präsenzlehre und einem weiteren digitalen Semester. In Wahrheit aber wird die Zukunft der akademischen Bildung verhandelt. Die beiden vergangenen Semester haben den Universitäten und Hochschulen eine Chance geboten, die sie gestresst und schlecht gelaunt verspielt haben – und die sie immer noch vertun.

Mindestens 30 Prozent der Veranstaltungen sollen ab dem Winter wieder in Präsenz stattfinden, vor allem die Anfangssemester sollen ihre alma mater endlich kennenlernen dürfen, Mensaöffnung und Campusleben inclusive.

So wollen es die Hochschulrektoren, und so ist es für Studierende zu Beginn auch richtig und wichtig. Doch viele Professorinnen, Dozenten und Studentinnen wollen inzwischen zusätzlich etwas anderes. Sie würden gern weiterhin digital lehren, lernen und die neuen Freiräume für mehr Forschung und individuelles Lerntempo nutzen.

Lieber den brillianten Redner einer anderen Hochschule per Video hören

Die digitale Lehre ist ziemlich effizient. Wer eine Einführungsvorlesung halten muss, schwitzt unter normalen Umständen einmal in der Woche eineinhalb Stunden lang in einem überfüllten Hörsaal. Zeichnet sie die Veranstaltung dagegen auf, kann sie die rund 15 Termine locker in einer Woche absolvieren.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Auf der anderen Seite wird den Studentinnen überlassen, wann und bei wem sie den Stoff hören. Warum sollte man nicht bei einem brillanten Redner lernen dürfen, anstatt sich durch die Lispelei eines guten Forschers, aber miserablen Lehrers an der eigenen Uni zu quälen?

Die Vorlesungen online, dafür mehr Präsenz-Seminare und Lerngruppen: So würde das Lernen im Diskurs auch für Anfangssemester möglich – ohne dass die Kosten durch die Decke gingen. Mehr Autonomie für beide Seiten, das könnte die Lehre sein.

Zudem sind die Hochschulen immer noch auf drei- oder fünfjährige Studiengänge fixiert. Das aber geht dramatisch an der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens vorbei. Kurse und Scheine verschiedener Hochschulen in zeitlich flexiblen Studiengängen zu einem Abschluss zu kombinieren, könnte zu einer zweiten neuen Normalität werden – wenn die Hochschulen die Chance begreifen würden, anstatt sie zu leugnen.

Die „stille Gewöhnung an eine Normalität, die keine sein darf“, die der Berliner Historiker Paul Nolte beklagt, hat längst stattgefunden. Würde die Digitalisierung nicht als Zumutung, sondern als Erweiterung des universitären Raums begriffen, ließe sie sich zum Wohl aller nutzen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false