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Der geplante Ostseetunnel als feste Fehmarnbeltquerung bleibt unter Befürwortern und Gegnern hoch umstritten.

© Christian Charisius/dpa

Umstrittene Fehmarnbeltquerung: Ein Milliardenprojekt steht vor Gericht

Naturschützer und Fährunternehmen klagen gegen den geplanten Tunnel zwischen Deutschland und Dänemark - es geht um Flora und Fauna, aber auch um Geld.

Es ist ein Bauprojekt der Superlative: Noch vor Ende des Jahrzehnts soll ein 18 Kilometer langer Tunnel die deutsche Insel Fehmarn mit Dänemark verbinden.

Seit Dienstag durchläuft das gigantische Vorhaben nun eine weitere im Wortsinn entscheidende Phase. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig prüft Klagen von Naturschutzverbänden und Fährbetreibern. Mehrere Verhandlungstage bis in den Oktober sind geplant, dann startet noch eine zweite Runde. Was am Ende dabei rauskommt ist ungewiss. Sicher ist nur, beschleunigt wird der Tunnelbau damit nicht.

Hinter den Richterinnen und Richtern des neunten Senats stehen mehrere Meter rote Aktenordner. Sie dokumentieren den Umfang des Milliardenprojekts, wie er planungs- und prozessrechtlich zum Ausdruck kommt. Über ihren Köpfen leuchten Schaubilder aus den Unterlagen, ein Projektor wirft sie an die Wand der Leipziger Kongresshalle, in die man eigens für den Großtermin ausgewichen ist.

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Richter Martin Steinkühler erläutert, worum es in den kommen Wochen gehen wird. Zwischen Fehmarn und der dänischen Insel Lolland soll ein so genannter Absenktunnel in den Meeresboden gegraben werden. Stück für Stück mit knapp 80 riesig dimensionierten Elementen aus jeweils 70.000 Tonnen schwerem Beton.

Zwei Röhren sollen in jede Richtung führen, eine für die Bahn, die andere für Autos. Dazwischen ein Sicherheitskorridor für Rettungs- und Wartungsdienste. In dieser Bauweise ein Rekordtunnel, der längste der Welt.

Für die Dänen ist es eine Herzensangelegenheit

Rekordverdächtig sind auch die Kosten. Mit einem Gesamtvolumen von zehn Milliarden Euro rechnen die Planer zurzeit, wovon mehr als zwei Milliarden auf den verkehrsgerechten Anschluss der deutschen Seite entfallen. Den übrigen Teil tragen die Dänen, unterstützt von europäischen Fördergeldern.

2008 unterzeichneten die Bundesrepublik und das Königreich einen Staatsvertrag, der eine feste Beltquerung verabredete. Die EU-Kommission hat sich früh hinter das Projekt gestellt, für die Dänen, die es mit ihrer staatlichen Baufirma Femern A/S realisieren, ist es eine Herzensangelegenheit. Die Unterseestrecke soll den hohen Norden näher an Westeuropa heranholen, mit einem wirtschaftlichen Schub für Skandinavien.

Dauert es bislang von Rödby nach Putgarden eine Dreiviertelstunde per Fähre, würde die Fahrzeit in der Röhre auf rund zehn Minuten schrumpfen. Die Reise mit dem Zug von Hamburg nach Kopenhagen soll dann statt bisher fünf nur noch drei Stunden in Anspruch nehmen. Freier Verkehr für freie Bürger – mitsamt ihren Waren, lautet die Rechnung.

Für die Kläger eine unselige Vorstellung. Vertreter des Fährunternehmens „Scandlines“, deren Schiffe in engem Takt über den Belt pendeln, erklären dem Gericht, dass der Tunnel sie zwanzig bis fünfzig Prozent ihres Umsatzes kosten wird. Eine Existenzfrage, meinen sie.

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Bier zeigt sich jedoch skeptisch gegenüber diesem vermeintlichen Angriffspunkt. Schließlich, meint er, müsse auch ein Busunternehmen damit leben, wenn die Bahn eine Lücke im Schienennetz schließt. Auch dürften manche Einbuße verschmerzbar sein; vor Gericht mussten sich die „Scandlines“-Vertreter anhören, dass sie mit ihrer Klage letztlich nur jährlich zweistellige Millionengewinne absichern wollten.

Ein Mautsystem soll Geld in die Kassen spülen

Mehr Aufmerksamkeit dürfte in den nächsten Wochen dem Umweltschutz zugewendet werden. Seit Jahren wird mit dem Bau ein maßloser Eingriff ins Ökosystem der Ostsee angeprangert.

Der Naturschutzbund (Nabu) hat kürzlich besonders schützenswerte Riffe ausgemacht, die bei der Planung unberücksichtigt geblieben waren. Fehmarner Bürgerinitiativen sehen eine Verkehrslawine auf die Insel zurollen, lärmende Güterzüge machten Streckenpartien an Land unbewohnbar, fürchten sie.

In Dänemark wäre man wohl glücklich, wenn es so kommt. Die noch gültigen Verkehrsprognosen rechnen mit 12.000 Fahrzeugen täglich und 111 Zügen. Die Kläger halten das für illusorisch und bestreiten den Bedarf. Doch die Dänen brauchen den Verkehr, um ihre Milliarden zu refinanzieren.

Ein Mautsystem soll ihnen die Ausgaben wieder in die Kasse spülen. Die Durchfahrt soll ungefähr so viel Kosten wie derzeit ein Ticket für die Fähre.

Juristisch angegriffen wird das Projekt über den Planfeststellungsbeschluss, den die Kläger umfassend überprüft wissen wollen. Beklagt ist in allen Fällen das Schleswig-Hosteinische Ministerium für Wirtschaft und Verkehr.

Fertigstellung zum Ende des Jahrzehnts unwahrscheinlich

In Dänemark war derartiger Widerstand undenkbar, die wenigen Klagen, die es gab, sind längst abgehandelt. In Leipzig vor Gericht steht damit in gewisser Weise auch die Tauglichkeit des deutschen Planungsrechts bei Großprojekten dieser Art.

Mit einer Fertigstellung zum Ende des Jahrzehnts rechnet ohnehin kaum jemand mehr. Dafür gilt allerdings auch als unwahrscheinlich, dass die Richterinnen und Richter das Projekt stoppen. Vielmehr dürften sie Auflagen aussprechen oder weitere Ausgleichsmaßnahmen verlangen.

Dänemark will mit einem Baustart pünktlich zum Jahresbeginn 2021 ohnehin Fakten schaffen. Vielleicht geht es im Prozess auch schneller voran als gedacht. Richter Steinkühler jedenfalls, der später den Urteilsentwurf abfassen wird, sieht das Ganze als Herausforderung: „Ich sag das ehrlich: Das macht Spaß, das Verfahren.“

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