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Viktor Orbán genießt es, im Mittelpunkt zu stehen - wie hier beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel im Kreis anderer Regierungschefs aus der östlichen EU.

© AFP

Umgang mit Orbán und Putin: Die EU versucht es mit Gebrüll – das kann mehr schaden als nützen

Die EU will Ungarn und Russland zeigen, wo der Hammer hängt. Strafandrohungen müssen aber glaubwürdig sein. Sonst schadet sie ihrem Ansehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Man kennt die warnende Pose aus dem Tierreich: Gorillas trommeln einschüchternd auf ihre Brust, Löwen drohen mit Gebrüll. Wenn Machos sich heute so verhalten, ist das peinlich, hat aber gelegentlich Erfolg. Unfreiwillig komisch wirkt es, wenn die EU es probiert. Sie will Viktor Orbán und Wladimir Putin jetzt mal so richtig zeigen, wo der Hammer hängt.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen droht Ungarn mit einem Rechtsstaatsverfahren gegen ein Bündel von Gesetzesänderungen, die Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Inhalten erschweren, die Homo- und Transsexualität thematisieren, zum Beispiel in der Schule – und das obwohl von der Leyen weiß, dass die Erfolgsaussichten gering sind.

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Russland, den Vorstoß unterstützen Angela Merkel und Emmanuel Macron, will die EU den direkten Dialog anbieten, inklusive Gipfeleinladungen an Putin. Das Ziel, sagen sie, sei eine Doppelstrategie. Sie wollen Kooperation anbieten und zugleich erreichen, dass er keine Illusionen hegt, wo für die EU die roten Linien verlaufen und welche Sanktionen drohen, wenn er sie überschreitet.

Borrells Besuch in Moskau endete als Blamage

Dieser Ansatz endete beim Besuch des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell im Februar in Moskau mit einer peinlichen Blamage. Wie will die EU verhindern, dass sich die gezielte Demütigung vor laufenden Kameras wiederholt?

Der EU-Außenbeauftragte musste sich nach der gezielten Demütigung in Moskau gegen Rücktrittsforderungen in Brüssel wehren.
Der EU-Außenbeauftragte musste sich nach der gezielten Demütigung in Moskau gegen Rücktrittsforderungen in Brüssel wehren.

© REUTERS

Gewiss, Joe Biden hat gerade vorgemacht, wie er mit Putin über gemeinsame Interessen wie atomare Abrüstung und die Tabuisierung von Cyberangriffen auf zivile Infrastruktur reden kann, ohne sich vorführen zu lassen und ohne Putin einen Propaganderfolg zu erlauben. Das funktionierte, weil die USA über „Hard Power“ verfügen und Putin weiß, dass Biden im Notfall bereit ist, sie zu nutzen.

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Die EU hingegen ist in der internationalen Politik weder ein Gorilla noch ein Löwe. Niemand nimmt ihr ab, dass sie die Mittel und den Willen hat, Machtfragen auszukämpfen. Putin glaubt ja nicht einmal, dass sie Wirtschaftssanktionen durchhält, wenn sie ernste Blessuren für ihre Ökonomie riskiert.

Die EU als Papiertiger? Dann schwindet der Rückhalt bei den Bürgern

Die EU sollte nur mit Reaktionen drohen, zu denen sie fähig ist. Sonst leidet ihre ohnehin begrenzte Glaubwürdigkeit – nach außen, aber auch nach innen. Und das ist viel gefährlicher. Wenn Putin, Orbán oder China auf EU-Drohungen mit Schulterzucken reagieren, ist das demütigend, aber zu verschmerzen. Wenn Europas Bürger die EU immer wieder als Papiertiger erleben, schwindet der Rückhalt für die weitere politische Integration.

Das heißt nicht, dass die EU untätig bleiben soll, wenn ihren Werten und Interessen Schaden droht. Sie muss jedoch klug abwägen, auf welche Streitfälle sie sich einlässt und wie ihre Erfolgsaussichten stehen. Blinder Eifer schadet, jeder verlorene Kampf schwächt ihr Ansehen.

Was spricht dafür, dass die EU einen Gipfel mit Putin ähnlich souverän meistert wie Biden? Und wird der Konflikt mit Orbán um das LGBTQ-Gesetz mit einem Sieg der EU enden? In beiden Fällen darf man skeptisch sein.

Kluge Machtpolitik vermeidet die Stärkung der Widersacher

Die Sexualerziehung in Schulen gehört nicht zu den vergemeinschafteten Politikbereichen, die die Nationalstaaten an die EU abgetreten haben. Vor der Empörungswelle über Ungarn hätte die Frage nahegelegen, wie die Vorgaben für den Unterricht in anderen EU- Staaten sind. Ein Rechtsstaatsverfahren ist nicht aussichtsreich, weil für eine Verurteilung der Konsens aller nötig ist. Die EU-West, also die Mehrheit, ist gewiss dafür. Die EU-Ost dagegen. Die Eskalation spaltet also.

Orbán lacht sich derweil ins Fäustchen. Die Chancen auf Wiederwahl 2022 steigen, wenn er als Verteidiger nationaler Belange gegen Brüssel auftritt. Kluge Machtpolitik beruht auf dem Wissen, was einem nützt. Oder schadet.

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