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In dem Land, das zu den ärmsten der Welt gehört, kamen die Autoren von "Ghost of Afghanistan" weit herum.

© Rahmut Gul/AP/dpa

Afghanistan: "Überleben ist reines Glück"

Nach zwanzig Jahren ziehen die USA und ihre Verbündeten aus Afghanistan ab. Was das für die Afghanen selbst bedeutet, erzählt eine selten eindrucksvolle TV-Dokumentation.

Von Hans Monath

Afghanistan, war da was? Mit einer gewissen Gleichgültigkeit scheint die deutsche Öffentlichkeit in diesen Tagen die dramatischen Nachrichten aus dem Krisenland hinzunehmen. Die Taliban sind dort auf dem Vormarsch, seit feststeht, dass die westlichen Truppen sich bald ganz zurückziehen werden. Auch die Bundeswehr beendet einen Einsatz, in dem sie Tote zu beklagen hatte. Nach zwanzig Jahren Krieg gegen den Terrorismus haben die USA und ihre Partner faktisch kapituliert und überlassen die tief gespaltene, traumatisierte afghanische Gesellschaft einer ungewissen Zukunft.

Wie die Afghanen selbst diesen Wendepunkt erleben, wie sie die Intervention beurteilen, welche Ängste sie plagen und wie sie mit ihren Wunden weiterleben wollen, zeigt nun die beeindruckende Dokumentation „Ghosts of Afghanistan - Die Macht der Taliban“ bei ZDFinfo.

Wegen der endemischen Gewalt in dem Land können westliche Journalisten nur selten direkte Kontakte zu verschiedenen Gesellschaftsgruppen herstellen und sich in deren Alltag bewegen. Den Filmemachern Julian Sher, Graeme Smith und Natalie Dubois aber ist das gelungen. Mit dem ehemaligen Kriegsreporter Graeme Smith haben sie einen Kenner der Landes gewonnen, der ihnen viele Türen öffnete und durch die eineinhalbstündige Dokumentation führt.

Wieviel Freiheit lässt sich gegen die Gewalt der Taliban verteidigen, wenn die letzten westlichen Truppen aus Afghanistan abgezogen sind?

© Rahmat Gul/AP/dpa

„Wenn man am Morgen das Haus verlässt, weiß man nicht, ob man abends lebend zurückkehrt", sagt der Friedensaktivist Bismillah Watendost. „In Afghanistan zu überleben, ist reines Glück. Niemand ist hier sicher vor den Angriffen der Taliban, der Amerikaner oder der Regierung.“ Bis zu 200 000 Afghanen, so lernt man, starben in diesem Krieg.

Es mag paradox klingen: Die Schönheit dieses Landes, in dem täglich Blut fließt, haben die Filmemacher in faszinierenden Bildern eingefangen: Die Drohnenkamera schwebt über schneegepuderte Bergrücken, über verstreute Gehöfte, Flüsse und grüne Haine. Opiumbauern stehen in ihrem Feld und ritzen die Kapseln an. Und auch die Freude der Afghanen an grellbunten Stoffen liefert betörende Aufnahmen.

"Wir, die Ausländer, sind ein großes Teil des Problems"

Nicht weniger eindrücklich aber sind Szenen, in denen zerfetzte Opfer von Bombenanschlägen in Krankenhäuser getragen werden oder Waisenkinder davon erzählen, wie Gewalt ihnen ihre Familie nahm. Ex-Kriegsreporter Smith erinnert sich, dass er das Böse besiegen wollte, als er mit den westlichen Tuppen ins Land kam, die Frieden, Demokratie und Frauenrechte versprachen. Heute sieht er das als Irrtum an und meint: „Wir, die Ausländer, sind ein großes Teil des Problems.“ Den Filmautoren erscheint das plausibel. Zu Bildern von Kindern, die in Müllhaufen wühlen, sagt eine Frauenstimme: „Vom Traum eines besseren, friedlichen Afghanistan ist nicht viel geblieben.“

In Doha unterhalten die Taliban ein politisches Büro - und beschwerten sich in der TV-Dokumentation darüber, dass die Welt ein falsches Bild von ihnen habe.

© ZDF und Gala Film

Die größte Stärke der Dokumentation aber liegt darin, dass sie nicht über ihre Protagonisten urteilt, sondern ihnen in ihrer Menschlichkeit allen Raum gibt, ihre eigene Sicht zu schildern - der Frauenrechtlerin Farahnaz Forotan genauso so wie dem schwer bewachten Nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib oder dem bärtigen Ammar Zmarak vom Politischen Büro der Taliban in Doha in Katar, der in flüssigem Englisch Sätze sagt wie: „Wir leben im Zeitalter der Technologie“, oder: „Das Image der Taliban in der Welt wird uns nicht gerecht.“

Mehr als einmal stocken den Zeugen die Stimmen, kommen ihnen die Tränen, wenn sie sich an den Einbruch der Gewalt in ihr Leben erinnern, die zum Alltag gehört in ihrem Land.

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Wie kann das weitergehen? Zumindest Graeme Smith sieht einen Lichtschimmer, denn der Fatalismus der Afghanen schwinde. „Jetzt endlich sagen die Menschen: Halt! Warum muss dieser Krieg über Generationen andauern?“ Ihre Unzufriedenheit mit dem Status quo schaffe zumindest „eine Form von Hoffnung".

„Ghosts of Afghanistan – Die Macht der Taliban“, ZDFinfo, Montag, 22 Uhr 55 und in der ZDF Mediathek

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