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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält am Sonntagabend eine Fernsehansprache an die Nation zum Krieg in der Ukraine.

© Britta Pedersen/dpa

TV-Ansprache des Kanzlers zum 8. Mai: Die Rede von Scholz ist auch eine Befreiung

Die Ansprache des Bundeskanzlers dient den Deutschen zur Selbstvergewisserung. Scholz trifft den richtigen Ton. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Ein besonderer Tag, in jeder Hinsicht, ist dieser 8. Mai. Und mit dem 9. Mai zusammen gesehen, handelt es sich um die Vergegenwärtigung von Schicksalsmomenten in der deutschen, der europäischen, ja der Weltgeschichte.

Der Zweite Weltkrieg mit allen seinen Folgen, mit Abermillionen Toten und einer Zerstörung biblischen Ausmaßes, verbunden vor allem mit der Entfesselung des Bösen durch Nazi-Deutschland – das ist wahrlich schon Grund genug für einen Bundeskanzler, sich zum Jahrgedenken an die Bürger:innen zu wenden.

Wie viel mehr noch jetzt, da in Europa der brutalste Krieg seit 1945 tobt: Russland will die Ukraine vernichten, angeführt von einem völkischen Diktator, einem nationalistischen Aggressor.

Olaf Scholz trifft diesen Ton, der nicht zu hoch ist, sondern einordnend. Der deutlich macht, worüber er redet. Er streift die Aspekte nicht nur, er buchstabiert sie aus, ausgehend vom eben jenem 8. Mai, der für die Deutschen seit der befreienden Rede ihres Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker tatsächlich ein Tag der Befreiung ist: mitsamt der Anerkenntnis, dass es keine Niederlage war, sondern dass die Alliierten ein Deutschland niederrangen, das es so nie wieder geben sollte.

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Nie wieder – insofern ist es die richtige Leitlinie für Regierungshandeln im demokratischen Zusammenhang 77 Jahre danach. Zusammenhang passt als Wort deshalb, weil alles verwoben ist: Krieg, Völkermord, Gewaltherrschaft. Wenn das zusammengezogen wird zu einem „Nie wieder“, dann ist das nicht nur eine Definition, sondern ein Imperativ. Ein kategorischer politischer. Und Kanzler Scholz beherrscht das Kategorische.

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Wie man sieht, wie man hört. Wenn man ihm wohl will, dann liegt darin kein Zaudern – im Vorsatz, niemals allein zu handeln, sondern in Gemeinschaft, genauer: innerhalb der Völkergemeinschaft, aus der sich ein barbarisches Deutschland vor Jahrzehnten ausgeschlossen hatte und in die es wieder aufgenommen worden ist. Was in einem als Glücksfall der Geschichte und als Belohnung für Läuterung verstanden werden kann.

Dass das Deutschland von heute aus den Knobelbechern heraus ist, und dass sich seine Zurückhaltung in allem Militärischen, bis hin zu Waffenlieferungen, nicht einfach wegkommandieren lässt, mag inzwischen manch drängenden Partner in Europa und der Welt nerven. Gibt es andererseits ein größeres Kompliment?

Scholz nährt den Eindruck, da weiß einer, was er tut

Insofern ist die Scholz-Rede aus diesem großen Anlass auch wieder befreiend. Weil es uns, den Bürgern gegenüber, eine Selbstvergewisserung ist. Dieses „Wir sind so, wir handeln so“, das sich der Kanzler durch nichts nehmen lässt, nicht von öffentlichen Stimmen, nicht von Stimmungen, kann auf seine Weise zur Beruhigung beitragen. Immerhin nährt da einer den Eindruck, dass er weiß, was er tut und warum. Und darin ist dieser Kanzler, diese Regierung stetig.

Es ist nicht das Schlechteste, wenn man festhalten kann: Diese Regierung wird alles unterlassen, was als Kriegseintritt gewertet werden kann, und wird diesen Weg gemeinsam mit ihren Verbündeten verfolgen.

Das ist gegenwärtig auch die einzige Garantie. Anders gesagt: Eine andere kann kein Bundeskanzler geben. Weil Wladimir Putin in anderen Kategorien denkt und die zu diktieren versucht. Was ein Kriegseintritt sei, ist etwas, das Putin zu bestimmen beabsichtigt. Nur vor der Welt soll klar sein, dass es von uns, den geläuterten Deutschen, nie wieder ausgehen wird.

Allerdings muss die Rede jetzt dringend auch darauf kommen, wie am Ende die Diplomatie siegen kann. Wie also Waffenlieferungen den Weg zu einem Waffenstillstand eröffnen können; dieses Paradox gilt es zu erklären. Die nächste Anstrengung. „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“ Auch die Freiheit nicht. Sagte ein anderer, Willy Brandt. Das taugt zur Kategorie auch für diesen Kanzler.

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