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Eine Mann zeigt den "Wolfsgruß" der türkischen Grauen Wölfe auf einer Kundgebung in München.

© Peter Kneffel/dpa

Exklusiv

Nach Angriff auf türkischen Journalisten in Berlin: Türkische Exilanten bedroht – Bundesregierung befasst sich mit „Todeslisten“

In Deutschland lebende Kritiker der Erdogan-Regierung werden eingeschüchtert. Das Innenministerium spricht erstmals von „Hinweisen“ auf Feindeslisten.

Die Bundesregierung hat sich erstmals zu sogenannten Todeslisten geäußert, auf denen die Namen türkischer Exilanten in Deutschland verzeichnet sein sollen. „Derzeit gibt es Hinweise zu verschiedenen Listen mit Namen von Personen, die der türkischen Regierung mutmaßlich kritisch gegenüberstehen“, schreibt Innenstaatssekretär Helmut Teichmann in einer dem Tagesspiegel vorliegenden Antwort an die Bundestagsabgeordnete Evrim Sommer (Linke).

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Eine konkrete Liste habe die Bundesregierung derzeit nicht, heißt es weiter, die „Erkenntnisverdichtung“ dauere an. Wie berichtet hatten nach Deutschland geflohene Kritiker der Regierung in Ankara erfahren, dass unter türkischen Rechten hierzulande Listen kursierten, auf denen bis zu 55 Exilanten genannt werden sollen. In Deutschland waren immer wieder Journalisten, Politiker und Aktivisten aus der Türkei bedroht, zuweilen auch attackiert worden.

Erst vor zwei Wochen wurde der türkische Journalist Erk Acarer, der in Berlin-Neukölln lebt, von zwei Männern angegriffen, ein dritter Mann habe die Umgebung beobachtet. Acarer musste in eine Klinik. Der polizeiliche Staatsschutz ermittelt.

Am Wochenende wurde bekannt, dass sich auch der kurdische Musiker Ferhat Tunç auf einer „Todesliste“ befinde. Er selbst hatte bekannt gemacht, von der Polizei Darmstadt informiert worden zu sein. In Köln wiederum ist der Fernsehjournalist Celal Baslangiç betroffen.

Erdogans AKP koaliert mit der rechtsradikalen MHP

In Berlin hatte Acarer nach dem Angriff ein Foto von sich auf Twitter veröffentlicht und dazu auf Türkisch geschrieben: „Ich bin in meinem Haus in Berlin mit Messer und Faust angegriffen worden.“ Er habe Schwellungen am Kopf, aber „werde niemals vor dem Faschismus kapitulieren.“ Und: „Dieser Angriff ist der Beweis dafür, dass alles, was wir gegen die islamistische und faschistische AKP-MHP-Regierung geschrieben und gesagt haben, korrekt ist.“

Die islamistische AKP ist die Partei von Staatschef Recep Tayyip Erdogan, die MHP eine Partei rechtsradikaler Nationalisten. Ihre Anhänger werden oft als Graue Wölfe bezeichnet, ein Sammelbegriff für türkische Faschisten. Unter Exilanten und Kennern der Szene vermuten einige, dass Graue Wölfe hinter den Angriffen in Deutschland stecken.

Linke: Todeslisten gefährden auch Sicherheit Deutschlands

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hatte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) aufgefordert, den türkischen Botschafter in Deutschland einzubestellen. DJV-Bundeschef Frank Überall begrüßte den Polizeischutz für betroffene Exiljournalisten, sagte aber auch: „Heiko Maas muss dem türkischen Botschafter unmissverständlich klar machen, dass hier eine Grenze überschritten wird und dass Drohungen und Gewalt gegen Journalisten, die hier Zuflucht vor dem repressiven Regime der Türkei gefunden haben, inakzeptable Straftaten sind.“

Die Abgeordnete Sommer, die das Bundesinnenministerium zu den aktuellen Vorfällen gefragt hatte, sagte am Montag: „Erdogans Terrornetzwerk in Deutschland ist aktiver denn je. Mit systematisch erstellten Todeslisten soll ein Exempel an oppositionellen Exilanten statuiert werden. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich klar positioniert und ihrer Schutzpflicht nachkommt.“ Kanzlerin Angela Merkel müsse den türkischen Botschafter einbestellen: „Solche Hinrichtungslisten gefährden auch die innere Sicherheit Deutschlands.“

Die Bundesregierung hat erst vor einigen Tagen die Pläne Erdogans verurteilt, das seit dem Zypern-Krieg verlassene Varosia wieder zu besiedeln. Aus der Stadt flohen die griechisch-sprachigen Zyprioter, als der Norden der Mittelmeerinsel 1974 von türkischen Truppen besetzt wurde. Anders als die Regierung in Ankara erkennen die Vereinten Nationen das später ausgerufene Nordzypern nicht als Staat an.

In Nordirak greift die türkische Armee seit Monaten mutmaßliche Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei PKK an. Zusammen mit Islamisten halten Ankaras Truppen zudem Orte im kurdisch geprägten Norden Syriens besetzt.

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