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Recht einsam im Museum. Das Bauwerk ist für Touristen aus aller Welt ein Anziehungspunkt – in normalen Zeiten.

© Ozan Kose/AFP

Türkisches Gericht soll entscheiden: Wem gehört die Hagia Sophia?

Wenn es nach dem türkischen Präsidenten geht, wird aus der früheren Kirche eine Moschee. Jetzt entscheiden Richter über die Zukunft des Museums in Istanbul.

Eine würdige Ruhe umgibt die Hagia Sophia in diesen Tagen. Denn der Trubel macht für einen Augenblick ihrer 1500jährigen Geschichte eine Pause. Wo sonst Reiseführer, Andenkenhändler und Imbissverkäufer herumwuseln und Touristen aus aller Welt anstehen, um Eintritt zu bezahlen, watscheln lediglich ein paar Möwen herum. Unter den Kastanienbäumen vor dem byzantinischen Kirchenbau mit Minaretten sind zwei Wochen nach Wiederaufnahme der Auslandsflüge in die Türkei die meisten Sitzbänke leer.

Doch selbst in Pandemiezeiten hat die Hagia Sophia ihre weltweite Anziehungskraft nicht ganz verloren. Manuel Aviles zum Beispiel ist mitten in der Coronaviruskrise um die halbe Welt gereist, um die bedeutendste Kirche der Kulturgeschichte zu sehen – und nun zu spät gekommen.

Mit einem Seufzer lässt der Ecuadorianer seinen Rucksack auf den Boden gleiten und blickt enttäuscht auf das verschlossene Tor. Die Museumskasse schließt um vier Uhr nachmittags, das hat er um ein paar Minuten verpasst. Viel härter trifft ihn aber, was er erst hier erfährt: Die Hagia Sophia soll nach einer Gerichtsentscheidung in dieser Woche vielleicht bald ihren Status als Museum verlieren und zur Moschee umfunktioniert werden. „Das wäre ja schlimm!“, entfährt es dem 45-jährigen Fotografen und Hobby-Historiker.

Islamisten haben gegen die Nutzung als Museum geklagt

Ein anstehendes Urteil des türkischen Verwaltungsgerichtshofes könnte das Schicksal der Hagia Sophia besiegeln. Die Richter haben ab diesem Donnerstag über die Klage eines islamischen Vereins zu entscheiden, der das Gebäude wieder zur Moschee machen will.

Sollte das Urteil, das spätestens in zwei Wochen erwartet wird, eine Umwandlung ermöglichen, will Präsident Recep Tayyip Erdogan rasch handeln. Am 15. Juli, dem Jahrestag des Putschversuches von 2016, soll nach Medienberichten der erste islamische Gottesdienst in der Hagia Sophia stattfinden.

Besucher aus aller Welt bewundern die Hagia Sophia, seit sie im sechsten Jahrhundert als Hauptkirche des Oströmischen Reiches gebaut wurde. Fast 1000 Jahre blieb sie die wichtigste Kirche des Christentums, bevor sie nach der osmanischen Eroberung von Konstantinopel – heute Istanbul – im Jahr 1453 zur Moschee erklärt wurde.

Bis zu vier Millionen Touristen besuchten pro Jahr das Gebäude - vor Corona

Nach Gründung der Türkischen Republik war das Gebäude per Kabinettsbeschluss im Jahr 1934 in ein Museum umgewandelt worden; der Beschluss trat 1935 in Kraft. Heute steht die Hagia Sophia unter dem Schutz der UN-Kulturorganisation Unesco und wird von fast vier Millionen Touristen im Jahr besucht.

Doch türkische Islamisten haben gegen den Museumsstatus geklagt. Rechtsexperten erwarten, dass der Verwaltungsgerichtshof die Befugnis der Regierung betonen wird, über die Verwendung historischer Bauten als Museum oder Gotteshaus zu entscheiden. Wenn das Urteil so ausfällt, steht einem Beschluss von Erdogans Kabinett zur Umwidmung der Hagia Sophia nichts mehr im Wege.

Die Hagia Sophia ist ein Wahrzeichen Istanbuls.
Die Hagia Sophia ist ein Wahrzeichen Istanbuls.

© Murad Sezer/Reuters

Umfragen zeigen, dass mehr als 70 Prozent der Türken die Umwandlung in eine Moschee befürworten, aber die Besucher vor der Hagia Sophia wenige Tage vor dem Verwaltungsgerichtsurteil sehen das ganz anders. Mehti Sönmez und Gizem Yalcin aus der zentralanatolischen Stadt Konya, einer für ihre islamische Frömmigkeit bekannten Stadt, finden, die Hagia Sophia müsse ein Museum bleiben: „Moscheen haben wir doch genug.“

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog . Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Ähnlich äußerte sich auch Erdogan noch bis vor Kurzem. Die Moschee-Anhänger sollten es erst einmal schaffen, die neben der Hagia Sophia gelegene Blaue Moschee mit Gläubigen zu füllen, sagte der Präsident noch im vergangenen Jahr. Inzwischen hat er seine Meinung geändert. Angesichts ungünstiger Umfragewerte für seine Partei AKP und einer Diskussion über vorgezogene Neuwahlen will er um islamistische und nationalistische Wähler werben.

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Der Nachbar Griechenland, der die Hagia Sophia als Symbol des orthodoxen Christentums verehrt, ist entsetzt. Athen schaltete die Unesco ein, die Ankara daran erinnerte, dass jede Veränderung im Status eines Denkmals des Weltkulturerbes wie der Hagia Sophia nur mit Zustimmung der UN-Kulturorganisation möglich ist. Ankara gibt sich jedoch unbeeindruckt. Über die Hagia Sophia entscheide nicht die internationale Politik, sondern die Türkei allein, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Von der armenischen Kirche in der Türkei kam inzwischen der Vorschlag, bei einer Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee auch den Christen in der ehemaligen Kirche einen Bereich für Gottesdienste und Gebete zur Verfügung zu stellen. Erdogan hat sich dazu bisher nicht geäußert. Es ist aber unwahrscheinlich, dass seine islamistischen Wähler applaudieren würden, wenn die Hagia Sophia mit den Christen geteilt wird.

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