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Erdogan-Anhänger bei dessen besuch 2014 in Köln

© dpa/Henning Kaiser

Türkischer Präsident in Deutschland: Erdogans Besuch ist eine Chance zur Wiederannäherung

Der türkische Präsident braucht deutsche Unterstützung so sehr wie Deutschland seine. Erdogans Besuch ist kein Zeitpunkt für Ehrenverweigerung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Dieser Staatsbesuch wird der wohl emotionalste seit Langem in Berlin. Muss ausgerechnet der Präsident der Türkei, Recep Erdogan, der so spalterisch agiert, die Ehre eines Staatsbesuchs bekommen? Die Bundesregierung erklärt das nicht. So zeigt dieser Streit wieder einmal die tiefe Kluft zwischen den Welten der Regierenden und der Regierten.

In der Außen- und Sicherheitspolitik ist die besonders groß, weil deren komplexe Motive und Wirkungen so weit vom Alltag der Bürger entfernt sind. Warum also legt die Kanzlerin ihre Beweggründe nicht dar: Muss man einen Mann, der gegen jede Art von Opposition – Kurden, Gülen-Anhänger, Umweltaktivisten, Journalisten – repressiv vorgeht, mit protokollarischen Ehren belohnen?

Man muss nicht. Aber gute Gründe sprechen dafür, ihm die international übliche Respektbezeugung nicht zu verweigern. Die Ehre erweist Deutschland nicht ihm als Einzelperson, die zuletzt schwere Vorbehalte provoziert hat, sondern dem gewählten Präsidenten von 81 Millionen Türken. Drei Millionen Menschen mit Wurzeln in der Türkei leben hierzulande. Viele von ihnen meinen, dass es an Respekt ihnen gegenüber mangelt. Wäre es da klug, diese emotionale Verletzung zu vertiefen?

Selbstverständlich muss es prinzipielle Grenzen geben. Der Syrer Baschar al Assad, der Krieg gegen seine Bürger führt, der Nordkoreaner Kim Jong Un, ein Wladimir Putin mitten im Ukrainekrieg und manche andere mehr dürfen nicht auf Ehrung hoffen. Chinas Präsident Xi hingegen, der ja auch Opposition und Medien drangsaliert, nicht zu reden von Tibet, bekam zwei Mal in den vergangenen vier Jahren die Respektsbezeugung eines Staatsbesuchs. Denn Deutschland hat neben Prinzipien auch Interessen. Die Türkei ist ein Nato-Verbündeter, auch wenn Erdogan sich nicht immer so verhält; sie hat eine strategische Lage; sie ist ein verlässlicher Partner in der Migrationskrise.

Was will Deutschland erreichen?

Die Frage sollte also lauten: Was will Deutschland bei dieser Gelegenheit erreichen, und wie erreicht es das am besten? Hilft die Ehre eines Staatsbesuchs vielleicht sogar, oder schadet sie eher, weil gerade dieser Aspekt so viel Unmut und verschärfte Proteste auslöst, worauf wiederum die Behörden bei Fahrtroute und Sicherheitsvorkehrungen reagieren?

Erdogan sagt, er suche einen „Neuanfang“; er wolle die Spannungen hinter sich lassen. Da liegt die Herausforderung für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Merkel. Ein Ende der schrillen Wortwahl und der kaum verhüllten Strategie, deutsche Staatsbürger zu verhaften, um sie als Verhandlungsmasse zu missbrauchen, wünschen auch sie.

Ein „Vergeben und Vergessen“ darf es nicht werden. Von normalen Beziehungen ist man weit entfernt. Es hängt vom Verhalten der Türkei ab, wie sich der Umgang entwickelt. Viele Oppositionelle sind noch immer in Haft, aus deutscher Sicht zu Unrecht. Im besten Fall hilft der protokollarische Respekt Steinmeier und Merkel, dies offen anzusprechen.

Erdogans Besuch ist auch ein Hilferuf. Seine Politik hat die Türkei in eine Wirtschaftskrise geführt. Er braucht deutsche Unterstützung mindestens so sehr wie Berlin seine Hilfe für deutsche Belange. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt: Er findet keine besseren Partner als Europa und die USA. Dies ist kein Zeitpunkt für Ehrenverweigerung, die viele Türken als Brüskierung empfänden. Es ist eine Chance zur Wiederannäherung.

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