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Vertreter der Türkischen Gemeinde Deutschland empfangen Christian Wulff mit Applaus

© dpa

Türkische Gemeinde ehrt Wulff: Bundespräsident der Herzen

Er berief Deutschlands erste türkeistämmige Ministerin und nannte den Islam einen Teil Deutschlands. Die Türkische Gemeinde hat Christian Wulff jetzt geehrt. Nicht nur dafür.

Es sei schon seltsam mit der Türkischen Gemeinde, sagt Armin Laschet. "Da treffe ich immer die Nettesten der anderen Parteien." Das sind diesmal Aydan Özoguz, die Integrationsbeauftragte im Kanzleramt und der Grünen-Parteivorsitzende Cem Özdemir. Und obwohl er die Linken eigentlich nicht so richtig möge Auch dass Gregor Gysi hier sei, freue ihn, sagt der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und frühere Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen. Und Frank-Walter Steinmeier, von dem er gerade besonders froh sei, "dass.er unser Außenminister ist". Es ist Europawahlkampf und in der ersten Reihe der Ehrengäste beim Bundeskongress der Türkischen Gemeinde sitzt, Laschets Lieblinge oder nicht, die Politprominenz.an diesem Sonnabend besonders dicht.

Den Liebling der Versammlung hat der Redner nicht erwähnt. Der ist nämlich kein politischer Gegner, sondern Christdemokrat wie er: Christian Wulff, von 2010 bis 2012 Bundespräsident und kürzlich erst juristisch von allen Korruptionsvorwürfen freigesprochen, die seinerzeit seinen Auszug aus Schloss Bellevue erzwangen. In der türkischen Community war dies sowieso nie das beherrschende Thema. Heute ehren sie ihn als den Mann, der nicht nur Aygül Özkan als erste türkeistämmige deutsche Ministerin überhaupt in sein Kabinett berief, der nach der Selbstenttarnung der NSU-Mörder die Angehörigen von dessen Opfern im Bellevue empfing und der jenen inzwischen berühmten Satz sprach: "Auch der Islam gehört inzwischen zu Deutschland." Wulff war nicht der erste; der damalige Innenminister Schäuble hatte Jahre zuvor fast wörtlich das Gleiche gesagt. Aber Wulff sprach als Bundespräsident und er tat es zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit am 3. Oktober 2010. Das brachte ihm die Feindschaft vieler Landsleute ein und die Zuneigung vieler Deutscher und Nichtdeutscher mit Migrationshintergrund. "Sie sind unser Bundespräsident der Herzen", sagt Ayse Demir, die stellvertretende Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, in ihrer Laudatio. Und lässt durchblicken, dass sein Rücktritt und jene Rede für sie nicht ohne Zusammenhang sind: "In einem türkischen Sprichwort heißt es: Wer die Wahrheit sagt, wird aus neun Dörfern vertrieben." Aber, fügt sie hinzu: "Zum Glück gibt es ja mehr als neun Dörfer."

Wulff, sichtlich bewegt, als sich der Saal zum Applaus für ihn erhebt, will in dem, was Demir gerade an ihm lobte, "nichts Besonderes" sehen. "Ich habe einfach versucht, anderen mit soviel Respekt und Wertschätzung entgegenzutreten, wie ich mir das für mich selbst wünsche." Die Sache mit den mehr als neun Dörfern bestätigt er vor den "lieben Freunden der TDG" aber: "Wenn es mir in den letzten Jahren besonders schlecht ging, dann war ich froh, dass es in der Gastronomie in so viele Migranten gibt, die mir sagten, dass sie sich von mir verstanden und willkommen geheißen gefühlt hätten."

Versammlungen auch der TGD sind freilich der Beweis, dass die Gastronomie schon lange nicht mehr allein steht: Minister, Senatorinnen - aus dem Berliner Senat ist Dilek Kolat dabei - Fraktions- und Parteichefs, alle mit türkischen Namen: "Wir sind doch heute die Aufnahmegesellschaft", hat Aydan Özoguz in ihrer Rede gesagt und zum Wählen am 25. Mai aufgerufen. Gerade nach der "unglaublichen Lähmung", die die Entdeckung der NSU-Morde bei vielen Migranten bewirkt habe, sei es desto wichtiger, sich für eine europäische Volksvertretung zu engagieren, in der Rechtsextreme und Rechtspopulisten, "Menschen mit menschenverachtendem Weltbild" ganz neue Chancen der Zusammenarbeit untereinander bekämen. "Es ist nicht deren Europa, es ist unser Europa!" "Ein extremer Schaden" sei es, den das Bundesverfassungsgericht mit der Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde für die Europawahl angerichtet habe, ergänzt Armin Laschet. Töne, wie sie der Niederländer Geert Wilders gegen die Marokkaner im Land spucke, "kennen wir in Deutschland nur von Goebbels und aus dem Sportpalast". Dagegen helfe nur eine hohe Wahlbeteiligung. "Entscheidend ist jetzt nicht der Streit unter uns, sondern dass diese Typen nicht im europäischen Parlament landen."

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