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Ärgert sich über unfairen Wettbewerb: TK-Chef Jens Baas.

© Daniel Reinhardt/dpa

TKK-Chef Jens Baas: "Länder schützen die AOK mit Privilegien"

Der Chef der Techniker Krankenkasse findet es überfällig, dass alle Kassen unter Bundesaufsicht kommen. Bisher sei das regionale AOK-System bevorteilt.

Jens Baas ist seit 2012 Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse. Zuvor arbeitete der promovierte Humanmediziner unter anderem als Unternehmensberater. Er unterstützt die Pläne von Gesundheitsminister Jens Spahn, alle Krankenkassen unter Bundesaufsicht zu stellen, da seiner Ansicht nach im aktuellen System die AOK bevorteilt werde.

Gesundheitsminister Jens Spahn möchte, dass die Allgemeinen Ortskrankenkassen künftig nicht mehr regional gebunden sind, sondern jede Einzel-AOK auch Mitglieder aus ganz Deutschland aufnehmen muss. Was bringt eine solche Reform?

Die bundesweite Öffnung der AOKen steht ja nicht als Selbstzweck im Gesetzentwurf. Es geht darum, eine einheitliche Aufsicht für alle Kassen zu etablieren. Die ist dringend notwendig, um einen fairen Wettbewerb herzustellen. Durch die bundesweite Öffnung würde grundsätzlich das Problem gelöst, dass verschiedene Aufsichten wettbewerbsrelevante Regelungen unterschiedlich interpretieren. Dass die Landesaufsichten hier oft großzügiger sind, verschafft dem AOK-System deutliche Vorteile. Die Öffnung wäre also ein großer Schritt in Sachen Chancengleichheit im Wettbewerb. Jens Spahn hat den zentralen Webfehler im Wettbewerb der Krankenkassen erkannt und geht ihn mutig an.

Was läuft denn schief im Wettbewerb mit der AOK? Wo und in welcher Weise fühlen sich die Ersatzkassen benachteiligt?

Das zeigt ein Blick auf die Frage, wer deutlich mehr Geld aus dem gemeinsamen Topf bekommt als zur Versorgung der eigenen Versicherten notwendig – und wer deutlich weniger. Die AOKen schlagen hier mit einer Überdeckung von mehr als 1,3 Milliarden Euro im Ausgleichsjahr 2017 zu Buche. Der Wettbewerb ist somit eindeutig verzerrt. Die Ersatzkassen sind in Summe mit 931 Millionen unterdeckt. Daher ist jetzt entscheidend, die Privilegien der AOK anzugehen und als zentrales Element für einen fairen Wettbewerb eine einheitliche Aufsicht zu verankern. Zudem brauchen wir funktionierende Manipulationsbremsen. Ein aktuelles Gutachten zeigt ganz deutlich, dass unzulässige Kodierberatungen durch Kassen noch immer ein strukturelles Problem sind. Das wird noch verschärft, wenn mit der Reform ein Vollmodell eingeführt wird. Dann können alle Krankheiten über den Finanzausgleich Zuschläge auslösen. Dafür muss es sehr genaue Spielregeln geben, die auch einheitlich kontrolliert werden.

Sind die Länder mit ihren Aufsichtsbehörden zu lasch gegenüber den AOKen?

Wir begrüßen einen gesunden und fairen Wettbewerb um das beste Preis-Leistungs-Verhältnis, den besten Service und ganz besonders die beste Versorgung - bundesweit und auf regionaler Ebene. Davon profitieren die Versicherten ganz konkret. Es kann aber nicht angehen, dass hier mit unterschiedlichem Maß gemessen wird. Überträgt man das Prinzip „Landesaufsicht für die AOK“ auf den Fußball, würde das bedeuten: Bei einer Fußball-WM gäbe es eine Mannschaft, die ihren Schiedsrichter aus dem eigenen Land mitbringt – und die anderen nicht. Das zeigt die Unwucht im Wettbewerb.

Müssten Betriebskrankenkassen aus Gerechtigkeitsgründen dann nicht auch zentralisiert und bundesweit geöffnet werden?

Diese Öffnung sieht der Gesetzentwurf ja auch vor - und im Gegensatz zu den AOKen scheinen die Betriebs- und Innungskrankenkassen einen Wettbewerb unter gleichen Bedingungen nicht zu scheuen. Eine sinnvolle Ausnahme bilden lediglich die geschlossenen Kassen, die beispielsweise nur für Angehörige eines Betriebs zugänglich sind. Sturm gegen die Öffnung laufen bezeichnenderweise nur die AOKen. Ganz deutlich: Es geht nicht um Zentralisierung, sondern im Gegenteil darum, bundesweiten Wettbewerb zu ermöglichen. Wir scheuen diesen Wettbewerb nicht. Von Zentralisierung zu sprechen, wenn eigentlich gemeint ist, dass sich alle an die gleichen Regeln halten müssen und diese einheitlich kontrolliert werden, halte ich für schlimme Polemik.

Aber jetzt mal aus Patientensicht: Was ist schlecht an Krankenkassen, die sich mit Hausarztverträgen und dergleichen gezielt auf regionale Bedürfnisse konzentrieren?

Die Mär, dass es nur regionalen Kassen möglich sei, sich auf regionale Patientenbedürfnisse zu konzentrieren, wird zwar von den AOKen fleißig befeuert. Sie hält aber den Fakten nicht stand. Wir als Techniker Krankenkasse etwa sind in den Bundesländern mit Landesvertretungen und Kundenberatungen präsent und mit den Versorgern hervorragend vernetzt. Wir haben zahlreiche Programme und Initiativen auf die Beine gestellt, die passgenau auf die Bedürfnisse vor Ort zugeschnitten sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: In Mecklenburg-Vorpommern setzen wir Telemedizin ein, um Versicherten schnell und ohne lange Wege auch in entlegenen Regionen Zugang zu dermatologischer Facharztversorgung zu ermöglichen. Genauso sind auch die anderen Ersatz-, Innungs- und Betriebskrankenkassen vor Ort aktiv. Wenn die AOKen jetzt behaupten, regionale Versorgung könnten nur sie selbst, so ist das an Hybris kaum zu überbieten. Zwei Drittel aller Versicherten werden von bundesweit geöffneten Kassen versorgt, und das sehr gut und selbstverständlich in der Region.

Was halten Sie von den Attacken der Länder auf Spahn in dieser Sache – mit Bayerns Regierungschef Markus Söder und der CSU vorneweg?

An der Reaktion der Länder zeigt sich sehr deutlich, wie tief die Verflechtungen sind und wie sehr die „eigene“ AOK mit ihren Privilegien geschützt wird. Das hat mit fairem Wettbewerb nichts zu tun und zeigt gerade, wie dringend notwendig es ist, hier gegenzusteuern. Es ist dreist, hier das Drohszenario eines Zusammenbruchs der regionalen Versorgung aufzubauen. Gute Versorgung bedeutet nicht, Versicherte nach dem Wohnortprinzip auszuschließen, sondern Versorgung aktiv so zu gestalten, dass sie auch in Zukunft den Bedürfnissen der Versicherten in den Regionen gerecht wird. Wie das geht, zeigen bundesweit geöffnete Kassen jeden Tag.

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