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Rund 60 Prozent der Bevölkerung sind für ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen wie hier an der A81 in Baden-Württemberg.

© Patrick Seeger/dpa

Auswege aus der Gaskrise: Tausche Tempolimit gegen Akw-Laufzeiten

Die Freiheit zu rasen und die Angst vor Atomkraft sind spezielle deutsche Glaubensfragen. Grüne und Liberale sollten sich der Mehrheit beugen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Schönheit liegt im Auge des Betrachters, sagt ein englisches Sprichwort. Ähnlich emotional und subjektiv wirken auf viele die Argumente pro und contra Tempolimit sowie eine Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke. Was den Einen höchst rational erscheint, halten die Anderen für reine Ideologie.

Wegen der Gaskrise wird nun über ein politisches Tauschgeschäft spekuliert: Die FDP schluckt ein Tempolimit, wenn die Grünen eine Verschiebung des Atomausstiegs mittragen.

Beide Vorstöße können sich auf klare Mehrheiten in der öffentlichen Meinung stützen. Gut 60 Prozent der Bevölkerung unterstützen den vorläufigen Weiterbetrieb der Akws, die zum Jahresende abgeschaltet werden sollten; annähernd 60 Prozent 130 km/h Höchstgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen.

Schaut man sich in Europa um, ist die fast religiöse Aufladung des Streits ein Unikum. Nirgendwo sonst gilt freie Fahrt für freie Bürger. Alle anderen Staaten haben Tempolimits.

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Der Streit betrifft zwei deutsche Sonderwege in Europa

Beim Umgang mit dem Atomausstieg steht Deutschland ähnlich einsam da. Italien ist das einzige Land in Europa, das Atomstrom genutzt und komplett abgeschaltet hat. Andere, die den Ausstieg beschlossen haben wie Schweden oder die Schweiz, lassen ihre Akws am Netz. Weitere Länder steigen in die Atomkraft ein oder bauen sie aus, auch zum Klimaschutz.

Eine große Mehrheit der Bürger befürwortet eine Verlängerung der Laufzeit der Akws wegen der Gaskrise. Die Grünen sind dagegen.
Eine große Mehrheit der Bürger befürwortet eine Verlängerung der Laufzeit der Akws wegen der Gaskrise. Die Grünen sind dagegen.

© Uli Deck/picture alliance/dpa

Die Gegenwehr kommt von Gruppen, die in der Gesamtbevölkerung eine Minderheit bilden, in ihrer organisierten Interessenvertretung jedoch eine Mehrheit. Die FDP überhöht die Ablehnung des Tempolimits zur Freiheitsfrage und damit zum Identitätskern, die Grünen die Unaufschiebbarkeit des Atomausstiegs.

Beide gehören der Regierung an. Deshalb lässt sich ihr Widerstand nicht ignorieren und erfordert dessen Überwindung eine Gegenleistung.

Argumente, die nur die Gleichgesinnten überzeugen

Diese strukturellen Parallelen geben der Idee eines Tauschgeschäfts ihren Reiz. Liberale wie Grüne müssten über ihren Schatten springen. Ihre Anhänger wären gezwungen, ihre Argumente zu überprüfen: Sind diese so unschlagbar, wie die Gleichgesinnten glauben, oder überzeugen sie auch Andersdenkende?

Hängt Freiheit davon ab, ob man auf manchen deutschen Autobahnabschnitten rasen darf, und würden Amerikaner, Europäer oder Chinesen, die daheim an Tempolimits gewohnt sind, weniger deutsche Autos kaufen, wenn auch in Deutschland ein Limit gilt?

Und umgekehrt: Führt eine begrenzt längere Laufzeit von ein bis drei Akws zu Folgen für Brennelemente, Atommüll, Sicherheitsstandards oder Fachpersonal, die nicht lösbar sind? Die Arbeitsverträge für Kohlekraftwerke, die schließen sollten, konnte man verlängern. Warum nicht auch für Akws?

Die FDP gibt bei diesem Deal mehr und bekommt weniger

Jenseits solcher Parallelen dürfte das Einlenken für die FDP schwieriger werden als für die Grünen – wegen der Relation zwischen den Zumutungen für die eigenen Anhänger und dem Nutzen für die Allgemeinheit. Der Atomausstieg würde nur verzögert, das Tempolimit käme wohl für immer.

Prozentual ist die Einsparung an Sprit und Emissionen durch 130 km/h Höchstgeschwindigkeit bescheiden. Geringer jedenfalls als der Gewinn an Stromproduktion und Versorgungssicherheit durch den Weiterbetrieb der Akws.

Den politischen Druck verringert das kaum. In der neuen Zeit der Knappheit und der Einschränkungen wirkt das Festhalten an Glaubensfragen nicht konsequent. Sondern stur.

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