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Das Atomkraftwerk Emsland nahm vor 62 Jahren als erstes AKW in Deutschland seinen kommerziellen Betrieb auf.

© dpa/Sina Schuldt

Stromüberschüsse im Winter: War der AKW-Streckbetrieb unnötig?

Monatelang stritt die Ampel über den Weiterbetrieb der letzten Atomkraftwerke – dann sprach der Kanzler ein Machtwort. Daten zeigen nun, dass Deutschland im Winter viel mehr Strom hatte als nötig.

Olaf Scholz wurde ungewohnt deutlich in dem Brief an seine Kabinettsmitglieder. „Ich habe als Bundeskanzler entsprechend Paragraph 1 der Geschäftsführung der Bundesregierung die nachfolgende Entscheidung getroffen“, schrieb Scholz am 17. Oktober an seine Umweltministerin, den Wirtschaftsminister und den Finanzminister.

Alle drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke sollten „bis längstens“ zum 15. April 2023 weiterbetrieben werden.

Es war ein Machtwort des Bundeskanzlers, der Kraft seiner Richtlinienkompetenz einen monatelangen Streit zwischen Grünen und FDP beendete. Statt zum Jahreswechsel sollten die Atomkraftwerke noch einen Winter länger in den Streckbetrieb gehen, um die Energiesicherheit zu gewährleisten.

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Wenige Tage vor dem endgültigen Aus der deutschen Atomkraft stellt sich nun jedoch die Frage, ob dieser Schritt wirklich nötig gewesen war.

Für die Versorgungssicherheit waren die Atomkraftwerke nicht relevant.

Jürgen Trittin, Grünen-Politiker

Für Jürgen Trittin ist die Sache klar. „Der Streckbetrieb war völlig unnötig. Zu Gürtel und Hosenträger haben wir noch einen weiteren Hosenträger in den Schrank gelegt“, sagte der Grünen-Politiker dem Tagesspiegel.

Der frühere Umweltminister hat schon im Herbst in der Abstimmung im Bundestag gegen den Streckbetrieb gestimmt. Nun sieht er sich bestätigt: „Für die Versorgungssicherheit waren die Atomkraftwerke nicht relevant.“

Mit Blick auf Stromdaten der Denkfabrik Agora Energiewende, die Erzeugung und Verbrauch des deutschen Stroms beobachtet und dokumentiert, scheint sich dies zu bestätigen.

Seit Januar flossen relativ konstant zwischen zwei und drei Gigawatt Atomstrom pro Tag ins deutsche Netz – bei einem täglichen Verbrauch von 60 bis 70 Gigawatt. Etwa fünf Prozent betrug demnach der Anteil des Atomstroms.

„Wie bereits in den vergangenen Jahren haben wir im ersten Quartal Strom exportiert“, sagt Jürgen Trittin. Auch hier bestätigt ein Blick in die Agora-Zahlen seine Aussage. Bis auf wenige Tage im Januar und Februar lieferte Deutschland Strom an seine Nachbarländer.

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Gigawatt Strom exportierte Deutschland mitunter pro Tag nach Frankreich.

Vor allem Frankreich, wo ein Großteil der Energie aus Atomkraft gewonnen wird, profitierte von deutschen Strom-Exporten. An Spitzentagen wurden mehr als fünf Gigawatt Strom von Deutschland nach Frankreich geliefert. Auch an Belgien, Österreich und die Schweiz lieferte Deutschland in diesem Winter überwiegend, während aus Dänemark und Norwegen regelmäßig Strom nach Deutschland importiert wurde.

Bei der FDP, die sich über Monate für den Kauf neuer Brennelemente und einen Weiterbetrieb bis mindestens 2024 ausgesprochen hatte, hält man trotz der Daten weiter an der Atomkraft fest. Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der Liberalen im Bundestag, erklärt: „Die drei verbliebenen Kernkraftwerke haben im Winter maßgeblich zur Sicherung der Energieversorgung beigetragen.“

Vor allem in den Wochen, in denen kaum Erneuerbare im Netz waren, hätten die Kraftwerke einen wichtigen Beitrag zur Grundlast geliefert. „Sie haben zudem verhindert, dass wir noch mehr klimaschädliche Kohle oder teures Gas zur Stromerzeugung nutzen mussten“, sagte Kruse. Die FDP setze sich dafür ein, dass die Kraftwerke bis ins nächste Jahr als Reserve erhalten bleiben.

Bei Überlastung werden Windanlagen abgeschaltet

Grünen-Politiker Trittin glaubt dagegen, dass der Streckbetrieb der Atomkraftwerke sogar die Erneuerbaren ausgebremst hat. „Ich vermute, dass wir wegen der Atomkraftwerke auch die ein oder andere Windkraftanlage zeitweise abstellen mussten“, sagt er mit Verweis auf einen sogenannten Redispatch. Dabei handelt es sich um einen Eingriff, um die Stromnetze vor einer Überlastung zu schützen, wenn zu viel Strom im Netz ist. Da Windanlagen einfacher abzuschalten sind als Atomkraftwerke, trifft das Phänomen vor allem Erneuerbare.

Die Bundesnetzagentur bestätigt auf Tagesspiegel-Anfrage, dass es das im Winter gegeben hat. „Die Abregelung von Windenergieanlagen war auch im vergangenen Winter immer wieder erforderlich“, hieß es. Grund hierfür sei vor allem der fehlende Ausbau im deutschen Stromnetz. 

Generell war der Winter aus Sicht der Bundesnetzagentur aber eher ruhig. Die Herausforderungen im Stromnetzbetrieb seien nicht über das hinausgegangen, was auch in anderen Winterhalbjahren an der Tagesordnung war.

„Die Bundesregierung hat umfassend Vorsorge für eine sichere Stromversorgung im vergangenen Winter getroffen“, sagte ein Sprecher. Die Übertragungsnetzbetreiber seien sehr gut auch auf schwierige Szenarien vorbereitet. „Vorsorgemaßnahmen lassen sich nicht danach beurteilen, ob das Risiko, dem vorgebeugt wird, tatsächlich eingetreten ist.“  

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